„Die Würde erlangen …“

Ein Interview mit Virgilio Pérez Calderón einem Projektpartner der Dreikönigsaktion über die Arbeit von SCIDECO auf der Finca La Florida.

Guatemala ist ein fruchtbares Land. Warum brauchen die Menschen trotzdem unsere Unterstützung?
Guatemala ist ein Land mit kulturellem Reichtum und reich an Bodenschätzen. Es ist jedoch auch ein Land, wo wenige Menschen den Großteil des Landes besitzen, ein Land mit extremer Armut. Große Teile der Bevölkerung können ihre Grundbedürfnisse nicht decken und haben keine Gesundheitsversorgung. Sie können kein würdiges Leben führen. In unserer Region arbeiten die Mehrheit der Einwohner/innen als landwirtschaftliche Arbeiter und Arbeiterinnen auf den Kaffeeplantagen, wo ihre Arbeitsrechte auf jede erdenkliche Art mit Füßen getreten werden. Die offizielle Politik orientiert sich am ausbeuterischen kapitalistischen System und hat viele ehemalige Arbeiter/innen in der Landwirtschaft in die Schuldenfalle getrieben.

Wie hat die Arbeit auf der Finca La Florida begonnen?
2001 sind die Weltmarktpreise des Kaffees gefallen und es kam zu einer schweren Krise der Kaffeeproduktion. Es war schwer, Arbeit zu finden. Viele Fincas waren schwer verschuldet und haben keine Landarbeiter und Landarbeiterinnen mehr angestellt. Für arme Familien war es aber nahezu unmöglich, eigenes Land zu finden und sich ein Überleben zu sichern. Aus dieser Not heraus machten sich die Familien von SCIDECO auf die Suche nach Alternativen. Sie wählten die Finca La Florida aus und besetzten diese kurzerhand. Sie war wegen der guten Böden, dem vielen Wasser und der Infrastruktur ideal. Nachdem der ursprüngliche Besitzer verschuldet war, wurde eine Bank Eigentümerin der Finca. Diese hatte aber wenig Interesse am Besitz des Landes und war daher bald verkaufsbereit. Die Finca La Florida ist also ein Beispiel für eine erfolgreiche Landbesetzung.

Wie unterstützt deine Organisation SCIDECO die Bauernfamilien auf der Finca La Florida?
Das Land der Finca La Florida wird heute sowohl gemeinschaftlich als auch individuell bewirtschaftet. Durch die Bewirtschaftung soll die Nahrung für die Familien gesichert werden. In erster Linie für den Eigenbedarf, der Überschuss ist für die Schaffung eines kleinen Familieneinkommens. Angebaut werden verschiedene Bohnensorten, Mais, Kürbis, Malanga, Yucas, Bananensorten, Soya, Chili, Zitrusfrüchte, Kakao, Guanaba oder Amaranto. Die Lebensbedingungen der Familien auf der Finca La Florida sind immer noch prekär, aber sie befinden sich in einem Prozess, in dem sie wieder ihre Würde erlangen. Zur Erreichung der Nachhaltigkeit ist aber immer noch eine gehörige Portion Kapital, Arbeit und Unterstützung notwendig.

Ihr habt viele Jahre um das Land gekämpft. Habt ihr nie daran gedacht aufzugeben?
Wir glauben, dass eine würdige und gesunde Welt möglich ist, eine humanere Welt mit geschwisterlichen Beziehungen unter den Menschen, im Umgang mit dem Land und allem, was uns umgibt.

Welche Botschaft willst du nach Österreich übermitteln?
Im Namen von allen Bauernfamilien ein herzliches Dankeschön für die Unterstützung. Wir versichern, dass die erhaltenen Mittel gut investiert sind, um die wirtschaftliche Situation der Familien zu verbessern. Den Kindern wollen wir zu dieser Liebesgeste gratulieren und ihnen sagen, dass ihr Beitrag dazu dient, die nachhaltige Entwicklung auf der Gemeinschaftsfinca La Florida voranzubringen.

Blitzlichter aus Guatemala

Der Bürgerkrieg ist seit vielen Jahren Geschichte, extreme gesellschaftliche Gegensätze sind geblieben: Guatemala verzeichnet seit Jahren nicht nur einen Rückschritt im Index der menschlichen Entwicklung (HDI), sondern gilt als eines der von größter Ungerechtigkeit geprägten Länder auf der Welt, mit der tiefsten Kluft zwischen den Ärmsten und den Reichsten des Landes. Ca. 2-3 Prozent der Bevölkerung besitzen rund 70 Prozent des fruchtbaren Landes. Die Folge: Zwei Drittel der Gesamtbevölkerung leben in bitterer Armut. Besonders betroffen sind die indigene Bevölkerung (22 Maya Ethnien), sowie Frauen und Kinder in Guatemala.

  • Fläche: 108.890 km , 1,3 mal so groß wie Österreich (Ö: 83.871 km²)
  • Bevölkerung: 13 Millionen (Ö: 8,3 Millionen)
  • Sprachen: Spanisch, 21 Mayasprachen
  • Bevölkerungswachstum: 2.11% (Ö: 0,14 %)
  • Analphabetismus: 69.1%; (Männer 63.3%, Frauen 75.4%;)
  • Armut (UNDP): 61% der Bevölkerung leben in Armut (Einkommen unter 54 Euro pro Person pro Monat)
  • Landverteilung: 1,5% der Bevölkerung besitzen 65% der landwirtschaftlich genutzten Fläche
  • Human Development Index (HDI): Rang 122 von 182 (Österreich: Rang 14)

aus dem kumquat "AlT" 4/2010