Warum spielen Kinder?

„Allzu oft wird Spiel als Zeitvertreib betrachtet, um Kinder ruhig zu halten bis sie erwachsen sind. Allzu oft wird Spiel auch als ein Bildungswerkzeug angesehen. Aber nur selten ist man sich der Tatsache bewusst, dass Kinder beim Spielen für das Leben lernen“
(Jan van Gils, 2005 Präsident  der „International Play Assoziation“).

 

Das Thema Spielen begleitet die Menschen schon seit ewiger Zeit. Ob in der Steinzeit, der Antike, im alten Ägypten oder dem Mittelalter, überall gibt es Bilder, Aufzeichnungen oder Berichte, die zeigen, dass spielen seit jeher ein menschliches Phänomen ist. Wenn das Spiel immer schon ein fester Bestandteil im Leben der Menschen war, muss es wohl auch eine gewisse Funktion haben. Genau diese „sinnbesetzte“ Funktion wird in der heutigen Zeit immer gefragter. Ging es in der Erziehung von Kindern vor wenigen Generationen noch um Sittsamkeit, steht heute nämlich die individuelle Kompetenzförderung von Kindern im Mittelpunkt.

Damit rückten die Fragen „Welche „skills“ können Kinder durch Spiele erwerben?“, „Welche Spiele eignen sich am besten dafür?“ und „Auf welche Art und Weise steigert das die Leistung der Kinder in der Schule oder im späteren Berufsleben?“ in den Mittelpunkt. Da wir als Jungschar das Spielen als zentrales Element des Gruppenlebens definieren, sind wir insbesondere durch Eltern immer wieder mit diesen Fragen konfrontiert.

Haben die Kinder denn etwas davon, wenn wir mit ihnen „nur“ spielen?

Am heutigen Stand der Forschung ist man sich einig, dass das Spiel in einem entscheidenden Maße einen Einfluss auf die Erweiterung des kindlichen Lernpotentials besitzt und damit vielfältige Kompetenzen des Kindes erweitert. Kinder gewinnen auf diese Art und Weise Erkenntnisse und entwickeln Sichtweisen bzw. Einstellungen, entdecken neue Facetten ihrer Talente, bauen durch Versuch und Irrtum unterschiedliche Fähigkeiten auf und entwickeln in zunehmendem Maße Fertigkeiten, die ihnen helfen, ihre eigenen Wünsche zielgerichtet um- und durchzusetzen.

Das Spielen bringt also nicht nur eine ganze Menge, die Kinder tun es noch dazu freiwillig! Ein kleines Kind spielt bis zu neun Stunden pro Tag, wenn es die Möglichkeit dazu erhält - und das braucht es auch. Bis zum sechsten Lebensjahr benötigt ein Kind für eine gute Entwicklung ca. 15.000 Stunden Spiel. Das sind sieben bis acht Stunden jeden Tag.

Spielen – Wie geht das?

Um gut spielen zu können gibt es allerdings einige Voraussetzungen und genau an diesem Punkt können wir als Jungschar auch ansetzen. „Raum für Kinder“, so lautet eines der Handlungsfelder der Jungschar in dem es genau darum geht. Raum kann in diesem Fall auch gleich wörtlich verstanden werden. Platz,  so selbstverständlich es klingen mag, der auf die Bedürfnisse von Kindern abgestimmt ist, ist rar. Die Angst, dass etwas kaputt gehen oder dreckig werden könnte, voll möblierte Wohnungen und wenig Grünflächen im städtischen Bereich, machen Raum für Kinder zur Mangelware. Im Kontrast dazu steht Material. Spielzeug steht den Kindern in den meisten Fällen in Fülle zur Verfügung. Doch vieles davon eignet sich zum Spielen leider nicht. So kann, im klassischen Verständnis des Spiels, zum Beispiel  mit einer Spiel-Konsole kaum gespielt werden. Voraussetzung für das Spielen ist nämlich, dass Materialien auch immer wieder entgegen ihrer funktionalen Bestimmung zweckentfremdet werden können und veränderbar sind, Neugierde provozieren und die Fantasie des spielenden Kindes anregen. Aus diesem Grund scheiden auch „Lern- und Übungsspiele“ aus. Der absolute Mangel an Entscheidungsfreiräumen in diesen „Spielen“ nimmt zumeist nicht nur einen großen Teil der Motivation und des Spaßes. Piaget, einer der namhaftesten Entwicklungspsychologen des 20. Jahrhunderts, formulierte sogar noch deutlicher: „Alles was wir Kinder lehren, können sie nicht mehr selbst entdecken und somit wirklich lernen!“.

Im Spiel geht es immer darum, den Kindern so viel Entscheidungsfreiraum zu geben wie möglich. Das heißt nicht, dass wir keine Regelspiele verwenden dürfen, aber es bedeutet, dass wir im Rahmen dieser Regeln so frei als möglich agieren sollen, oder diese auch nach den Wünschen und Ideen der Kinder zu verändern. Im Spiel sollen Kinder die Konventionen des Alltags hinter sich lassen dürfen. Es soll die Möglichkeit geben, in neue Rollen zu schlüpfen, ob im Rollenspiel oder auch als Eisbär und Pinguin im Fangspiel. Dabei sollen alle Dinge einem neuen Zweck zugeordnet und alles ausprobiert werden können. Natürlich muss beim Austesten der Küchenmesser, zum Schutz der Kinder, ein gewisser Rahmen geschaffen werden, doch je freier dieser ist, desto mehr Entwickeln und Lernen ist möglich.

Das wahre Lernen passiert bei Kindern nicht am Tisch oder auf der Schulbank, sondern dort wo das Leben pulsiert. Dort wo sie spielen. An Orten an denen sie Zusammenkommen mit anderen, wo gelaufen wird und geschrien, an denen sie zu Abenteurer/innen und Held/innen werden, an Orten an denen sie Spaß haben und Feiern. Aus diesem Grund steht das Spiel bis heute im Zentrum der Jungschararbeit. Nicht das Vermitteln von Wissen, sondern das individuelle Entfalten jedes einzelnen Kindes auf seinem eigenen Weg macht Jungschar aus. Denn Wissen ist, dass Tomaten Obst sind. Weisheit ist, sie nicht in Obstsalat zu tun, und darauf kommt es doch an.

Benni Dittmoser-Pfeifer

kumquat "Spiel MIT mir!" 3/2016