Rassismus oder Sexismus, also die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihres Geschlechts sind als Begriffe weit verbreitet und hinreichend bekannt. Doch was ist Adultismus?
Adultismus kommt vom lateinischen Wort adultus (Erwachsener) und ist die ungerechtfertigte Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres (jüngeren) Alters. Auf den ersten Blick erscheint das weniger wie ein Problem, als vielmehr wie eine absurde Fragestellung. Es ist doch wohl logisch, dass Kinder und Jugendliche (noch!) nicht alles dürfen, was Erwachsene dürfen. Sie können ja schließlich auch noch nicht alles, was Erwachsene können. Einleuchtend, oder? Mit derselben Logik wurde und wird allerdings auch rassistisch oder sexistisch argumentiert: „Menschen mit schwarzer Hautfarbe haben ein kleineres Gehirn als Weiße – da ist es Verschwendung, ihnen Schulbildung zu ermöglichen.“ oder „Frauen können von Natur aus besser mit Kindern umgehen – da ist es nur logisch, dass sie daheim bleiben, während die Männer das Geld verdienen.“
Es zahlt sich also auf jeden Fall aus, einen Blick darauf zu werfen, wovon wir da ausgehen: Kinder wissen zwar in einigen Dingen weniger als Erwachsene, kennen sich aber in anderen besser aus. Das bringt ihnen nur oft nichts, denn es sind Erwachsene, die entscheiden, was wichtig und wissenswert ist. Diejenigen, die diese Entscheidungsgewalt haben, sind in einer sehr mächtigen Position. Macht bringt es mit sich, dass Ungerechtigkeiten zugunsten der Mächtigen gerne unhinterfragt hingenommen werden. Es ist nämlich recht bequem, Kinder und Jugendliche nicht nach ihrer Meinung zu fragen, sondern Gehorsam zu verlangen. Es ist angenehm, Respekt entgegengebracht zu bekommen, ohne selbst respektieren zu müssen.
Das klingt ziemlich gewaltvoll und genau so ist es auch. Aber es wäre falsch, zu glauben, Erwachsene (oder ältere Kinder und Jugendliche) verhalten sich immer nur aus böser Absicht heraus adultistisch. Oft ist sogar genau das Gegenteil der Fall. Wenn ein Kind etwas besonders gut macht, das man ihm oder ihr nicht zugetraut hätte und die Reaktion ist etwas in Richtung „Was du schon alles kannst in deinem Alter“ oder „Du bist aber schon erwachsen“, dann ist das zwar gut gemeint, hat aber denselben Effekt: Er/Sie lernt nach und nach, da solche Botschaften ja an der Tagesordnung stehen, dass er/sie weniger kompetent, klug, vertrauenswürdig und im schlimmsten Fall sogar weniger wert ist. Erwachsene haben das Sagen und die Meinung von Kindern zählt nicht. So funktioniert die Welt. Diese Verinnerlichung kann sich nicht nur verheerend auf das eigene Selbstwertgefühl auswirken, sondern legt auch den Grundstein für weitere ähnlich argumentierte Benachteiligungen. Kinder lernen früh (und zwar gerade auch von den Menschen, die sie lieben), dass Unterdrückung in Ordnung ist. Dieses Muster wird dann auch in Bezug auf andere Gruppen (Mädchen/Frauen, Menschen mit Behinderung, Migrant/innen, etc.) angewendet. Da wir alle selbst Diskriminierung erfahren haben, die mit natürlichen Gegebenheiten argumentiert wird, ist dieses gelernte Schema für uns „normal“. Wenn nun woanders ebenfalls aufgrund von „Naturgegebenem“ eine Rangordnung zwischen dem Wert verschiedener Personen(gruppen) hergestellt wird, fällt es uns oft nicht einmal auf. Das macht die Ungleichbehandlung von Menschen ziemlich einfach begründbar und damit extrem schwierig zu verändern.
Was also tun?
Ein erster Schritt ist es, sich den eigenen Umgang mit Kindern und (jüngeren) Jugendlichen einmal genau anzuschauen und sich einige Fragen ehrlich zu beantworten:
- Respektiere ich die Meinungen, Einstellungen und Entscheidungen von Jüngeren?
- Müssen Kinder und (jüngere) Jugendliche gehorchen oder gebe ich Erklärungen und nachvollziehbare Begründungen für die Grenzen, die ich setze?
- Frage ich sie nach ihren Ideen und Vorschlägen, bevor ich Ratschläge erteile oder ihre Konflikte „löse“?
- Überlasse ich Kindern und (jüngeren) Jugendlichen die Verantwortung für ihre eigenen Handlungen – orientiert an ihren tatsächlichen Fähigkeiten?
- Lasse ich es zu, dass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen? Auch und besonders dann, wenn ich vermute, dass sie damit falsch liegen?
- Ziehe ich in Betracht, dass Kinder und (jüngere) Jugendliche nicht nur von mir lernen können, sondern auch umgekehrt?
- Werden Richtlinien und Regeln in meiner Gruppe gemeinsam vereinbart oder werden sie von mir vorgegeben?
- Was mache ich am Häufigsten? Nachfragen, erklären, belehren, befehlen/verbieten?
Wenn ich mich diesen Überlegungen stelle, heißt das nicht, dass ich jegliche Verantwortung abgebe und die Kinder oder Jugendlichen sich selbst überlasse. Es bedeutet nur, dass ich mich darum bemühe, ihren Persönlichkeiten und Fähigkeiten gerecht zu werden sowie die Beziehung zu ihnen so fair wie möglich zu gestalten.
Kinder wissen viel, können viel und haben ein gutes Gespür für Gerechtigkeit. Wir können einerseits viel lernen und andererseits auch einige Konflikte vermeiden, wenn wir versuchen, von unseren verinnerlichten Wahrheitsansprüchen herunterzusteigen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.
Da sagte ich: Ach, mein Gott und Herr, ich kann doch nicht reden, ich bin ja noch so jung. Aber der Herr erwiderte mir: Sag nicht: Ich bin noch so jung. Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen, und was ich dir auftrage, das sollst du verkünden. (Jer 1,6-7)
Sandra Fiedler
kumquat "Ghandi & Malala" 3/2014