Auf der Suche

Kinder im NS-Regime

Die Auseinandersetzung mit dem Grauen der Shoah und den Hintergründen des II. Weltkrieges ist ein schmerzhaftes und mühsames Vorhaben. Angesichts von schwelender Fremdenfeindlichkeit und rechtsradikalen Ausschreitungen sollte in der Kinder- und Jugendarbeit verstärkt auf Vergangenheitsbewältigung eingegangen werden.


Fragen von Kindern stehen oft sehr unvermittelt im Raum: Was ist ein Nazi? Oder: Warum soll denn mein Uropa jemanden umgebracht haben? Die Ereignisse des II. Weltkrieges und die Schreckensherrschaft der Nazi-Diktatur sind zwar in den Geschichtsstunden Thema, manchmal erzählen noch lebende Angehörige von ihren Eindrücken aber die Distanz der nachfolgenden Generationen zu dieser Zeit wird immer größer. Einerseits eröffnet diese Distanz neue Wege der Analyse und schonungslosere Aufarbeitung der historischen Belege. Andererseits hat sich der Schock, der Schmerz und die Verantwortung für die Katastrophe der Vernichtung von über sechs Millionen Menschen, davon in etwa 1,5 Millionen Kinder, im Staub der vergangenen Jahrzehnte verloren. Wie kann man sich im Rahmen einer Gruppenstunde adäquat mit den Ereignissen dieser Zeit auseinandersetzen?

Der erste Schritt ist die eigenständige Erarbeitung von historischen Zusammenhängen, also eine intensive Beschäftigung mit den Abläufen, den Ereignissen, den Geschichten dieser Zeit. Es gibt Unmengen an Literatur, Filmen, Serien etc., da fällt der Durchblick oft sehr schwer. Eine ausführliche Liste an vor allem für junge Menschen gut geeignetem Material findet man auf der Homepage des deutschen Instituts für Friedenspädagogik. Um Kindern den Einstieg in diese Zeit zu ermöglichen, empfiehlt sich als zweiter Schritt, an die Schicksale der Kinder und Jugendlichen in dieser Zeit anzuknüpfen.

Spuren

Die Lebensrealitäten von Kindern in den Jahren 1938 bis 19451 waren sehr unterschiedlich, eine Gemeinsamkeit könnte im Begriff der „Fremdbestimmung“ liegen. Kinder funktionierten einerseits  als Propaganda-Instrumente, das heißt: In den Kindern wurde die Zukunft und die „Reinheit des Volkes“ gesehen. Dementsprechend grausam war der Schluss, dass alle Kinder, die nicht der Norm (ob aufgrund ihrer Herkunft, Religion, ihres Aussehens, Verhaltens oder „Behinderung“) entsprachen, kein Recht auf Leben haben. Andererseits wurde die Arbeitskraft bzw. das Leben von Kindern in den Lagern, in der Rüstungsindustrie und schließlich als Soldaten ausgebeutet bzw. geopfert. Kinder waren aber auch durch ihre (Zwangs-) Mitgliedschaft in den Nationalsozialistischen Kinder- und Jugendverbänden Teil des Regimes, oft waren sie schon im Kleinkindalter mit Nazi-Propaganda in Kinderbüchern konfrontiert.

Dieser zweite Schritt, das Entdecken und Erkunden der Schicksale von Kindern und Jugendlichen erfordert viel Mut und Zeit, um auch im eigenen Umfeld, bei Verwandten oder Bekannten ein wenig nachzuforschen. Es besteht auch noch die Möglichkeit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu einem Gespräch in die Gruppenstunde bzw. in die Pfarre einzuladen, damit Fragen direkt beantwortet werden können. Der österreichische Gedenkdienst bietet laufend ähnliche Veranstaltungen an und kann auch im Bedarfsfall Kontakt zu einer Zeitzeugin, einem Zeitzeugen herstellen. 

Befreiungsfeier Mauthausen

Die Befreiungsfeier 2010 des Konzentrationslagers Mauthausen in Oberösterreich war den inhaftierten und ermordeten Kindern und Jugendlichen gewidmet. Die Katholische Jungschar beteiligt sich zwar jedes Jahr an der Gedenkfeier beim Kinder- und Jugenddenkmal, der besondere Schwerpunkt in diesem Jahr fordert uns aber zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit dem Thema der Rolle von Kindern und Jugendlichen während des Nationalsozialistischen Regimes auf.

www.mauthausen-memorial.at
www.gedenkdienst.at

Linda Kreuzer

1 In diesen Überlegungen führe ich zwar eine zeitliche Beschränkung des Regimes (seit dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland) an, gleichzeitig muss aber immer der geschichtliche Kontext mitgedacht werden. Die politischen Entwicklungen sind nicht ausreichend nachvollziehbar, ohne zum Beispiel den I. Weltkrieg und die Zeit des Austrofaschismus mit einzubeziehen. Vor allem was die Struktur und die pädagogische Linie der verbandlichen Organisationen in der NS-Zeit betrifft, wurde auf vorhandene Konzepte zurückgegriffen.

Buch- und Filmtipps zum Thema

Das Tagebuch der Anne Frank (ab 12 Jahre)


Anne Frank wurde 1929 als Kind jüdischer Eltern in Frankfurt am Main geboren. Ihre Familie flüchtete 1933 vor dem Terror der Nationalsozialisten nach Amsterdam. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in die Niederlande versteckten sich Anne Frank und ihre Familie in einem Amsterdamer Hinterhaus. Dort schrieb Anne Frank ihr weltberühmtes Tagebuch. Nach dem Verrat ihres Verstecks 1944 wurden Anne Frank und ihre Familie deportiert. Anne Frank starb 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen im Alter von 15 Jahren. Anne Frank ist durch die Veröffentlichung ihres Tagebuchs zum Symbol für Millionen von Juden geworden, die der rassistischen Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. (www.annefrank.de)

Kinder- und Jugendbücher

Das deutsche Institut für Friedenspädagogik stellt online eine ständig aktualisierte Liste von Kinder- und Jugendbüchern zum Thema Nationalsozialismus zur Verfügung.
www.friedenspaedagogik.de

Der Junge mit dem gestreiften Pyjama (erhältlich auf DVD, ab 12 Jahre)

Diese Verfilmung des gleichnamigen Romans von John Boyne zeigt die Geschichte zweier Buben auf verschiedenen Seiten des Zaunes. Die fiktive Geschichte der beiden erlaubt mit dem Blick durch Kinderaugen das Grauen der Vernichtungslager des NS-Regimes auf eine neue Weise zu betrachten. Für Erwachsene wie für Kinder gleichermaßen geeignet.
www.derjungeimgestreiftenpyjama.de