Vergangenen Juni und Juli haben sich so viele Augen wie vermutlich noch nie auf Südafrika gerichtet. Nicht aber, um die dort immer noch herrschenden großen Ungerechtigkeiten in den Blick zu nehmen, sondern um von der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 zu berichten, die erstmals auf afrikanischem Boden ausgetragen wird. Doch wie sehr verstellt der Blick auf den Sport die Sicht auf das, was abseits der neu gebauten prestigeträchtigen Stadien passiert? Wie sehr wird der „völkerverbindende“ Fußball hochgepriesen und die Schattenseiten dieser Sportindustrie negiert? Und wie viel hat die Weltmeisterschaft dem Land, aber vor allem auch dessen Leuten gebracht?
Südafrika blickt auf eine bewegte Geschichte zurück – eine Geschichte, die seit der Niederlassung der niederländisch-ostindischen Kompanie und somit den ersten europäischen Niederlassung, dem späteren Kapstadt auf Ungleichheit aufgebaut war. Sklaverei, Kolonialkämpfe, Diktatur, Apartheid – das sind nur ein paar Schlagworte aus der Geschichte Südafrikas an der sie immer noch zu kämpfen hat. Erst 1993/94 fanden die ersten freien, demokratischen Wahlen statt – und 16 Jahre später befindet sich Südafrika mit als erster afrikanischer Austragungsort einer Fußballweltmeisterschaft auf einem scheinbaren Höhepunkt.
Arbeitslosigkeit, Rassenkonflikte & Aids
Abseits der Vorbereitungen auf die WM kämpft Südafrika aber mit großen Schwierigkeiten.
Von den rund 49 Mio. Einwohner/innen, leben rund 10 Mio. in Townships oder slum-ähnlichen Verhältnissen, die Arbeitslosigkeit hält seit Jahren bei einem Niveau um die 30%, und ebenso hoch ist der Anteil der Bevölkerung, die weder lesen noch schreiben können. Seit dem Ende der Apartheid hat sich viel getan, aber immer noch ist man von Gleichstellung weit entfernt und auch die selbsternannte „Regenbogennation“ ist nicht gefeit von rassistischen Übergriffen. Wie in fast ganz Subsahara-Afrika ist auch in Südafrika Aids ein massives Problem. Nach offiziellen Angaben beläuft sich die Infektionsrate auf rund 18% der Bevölkerung.
Fußball als Hoffnungsträger
Nicht nur die südafrikanische Regierung erhofft sich durch die Fußball-WM einen Wirtschaftsaufschwung und nicht zuletzt auch einen Prestigegewinn.
Während jedoch die Stadien und die Städte für den Besucher/innenansturm herausgeputzt worden sind, sind viele anderen Dinge in Südafrika liegen geblieben. Die Landreform in etwa, die laut ANC (African National Congress) vorsah, dass bis 2014 mindestens 30% des nutzbaren Landes wieder im Besitz von Schwarzen sein sollte. Von dem Ziel ist man weit entfernt, da immer noch rund 95% im Besitz von Weißen ist, die Umverteilung somit noch nicht geklappt hat. Aber auch in den Städten ist die Lage oft dramatisch. Die Townships nahe der großen Metropolen sind zum Bersten voll. In Mamelodi etwa, die Township in der Nähe der Haupstadt Pretoria, leben nach offiziellen Angaben rund eine Million Menschen, doch angeblich sind es mittlerweile fast zwei Millionen Menschen, und acht von zehn Bewohner/innen haben kein regelmäßiges Einkommen, mehr als die Hälfte überhaupt keine Arbeit.
Dennoch ist Fußball auch Hoffnungsträger vieler Südafrikaner/innen. Einerseits erhoffen sich viele am angekündigten „Aufschwung“ teilhaben zu können, andererseits glauben vor allem viele Jugendliche an den Mythos Fußball als Ausweg aus der Armut – entdeckt zu werden und vielleicht eines Tages selber das Trikot der „Bafana Bafana“, der südafrikanischen Nationalmannschaft überzustreifen. Nur dass die Talentscouts selten bis nie in die Townships vordringen.
Die Begeisterung für Fußball macht sich aber eine andere Initiative zu Nutzen. National Youth Development through Football (YDF). Der Fußball wird hier nicht nur zum Sportgerät, sondern zum Freizeitbetreuer, zum Therapeuten und zum Lehrer. Hierbei finden nach dem Schulunterricht Trainings, Spiele und Fußballturniere statt. Nach dem Sport folgt immer noch eine Auseinandersetzung mit anderen Themen, allen voran AIDS.
Man kann kein pauschales Urteil fällen, ob die Ausrichtung der Weltmeisterschaft für Südafrikas Bevölkerung ein Gewinn war, oder ob diese eigentlich durch die Finger schauen mussten. Es braucht eine differenzierte Sichtweise auf die unterschiedlichen Auswirkugnen, von denen viele noch nicht absehbar sind, weil noch zu wenig Zeit vergangen ist.
Clemens Huber
aus dem kumquat "Autsch!" 3/2010