Neben den Gebeten, die individuell verfasst werden, gibt es eine Vielzahl von überlieferten Gebeten. Ein sehr bedeutendes hat Jesus selbst gebetet und gebeten, es mit ihm zu seinem und unserem Vater zu beten: das Vater Unser. Dieses ist in der Bibel in zwei Versionen überliefert [Mt 6,9-10 und Lk 11,2-4].
„Unser Vater im Himmel,
dein Name werde geheiligt,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe
wie im Himmel so auf der Erde…“
Mt 6,9-10
Was kann „wie im Himmel so auf der Erde“ bedeuten?
Die zwei Begriffe Himmel und Erde sind nicht als Gegensatz oder als Ortsbestimmung zu sehen, Himmel schließt Erde nicht aus und umgekehrt. Himmel ist so etwas, wie ein wünschenswertes Ziel, ein bestmöglicher Ausgang. Diese Möglichkeit steckt in jedem und jeder von uns.
Erde meint das Leben, den Alltag und die täglichen Herausforderungen, mit denen wir leben. Himmel hingegen beschreibt konkret das Reich Gottes, das nicht irgendwo oder irgendwann weit weg von uns und unserem Leben, im Verborgenen und Unerreichbaren existiert. Es ist genau dort, wo wir sind und uns bemühen zuzulassen, dass Gott in unserem Leben und in dem, was wir tun, „mitreden“ darf, ohne uns etwas vorschreiben oder befehlen zu wollen.
Gott ruft uns, um das Reich Gottes mit ihm zu bauen. Das Vater Unser ist die Antwort und Zusage darauf und noch mehr die Bereitschaft, bewusster zu leben und zu handeln und somit Gott Raum zu schenken in unserem Leben. So können wir versuchen, das Reich Gottes zu verwirklichen.
Gott fordert nicht das „Ziel Himmel“ von uns, weil es ihm so gefällt, sondern weil wir Menschen dadurch besser zusammenleben können. Wenn wir diese Einladung annehmen, werden wir selbst davon profitieren.
Darum ist das Vater Unser das Grundgebet und eigentlich eine Zusammenfassung des ganzen Evangeliums. Das heißt, dass alles Wichtige darin enthalten ist, was Jesus und Gott uns erzählen und zeigen möchten. Das bewusste Beten des Vater Unser kann ein Anfang zum Mitbauen am „himmlischen Zustand auf Erden“ sein, es kann ein Signal der Bereitschaft sein, ein „Hallo, hier bin ich und höre dir zu.“
Sabine Kräutelhofer und Gerhard Labschütz