gierig und flüchtig

Kolonialismus als Abenteuer

„Unser Auge schweifte gierig und flüchtig zugleich über die nächsten Details hinweg, dem Ufer entlang, bis dieses in unabsehbarer Ferne im Norden verschwand. Lange und schweigend blieben wir in den grossartigen An­blick vertieft, gab es ja doch für uns da eine ganz neue Welt zu entdecken.“
Rudolf Ritter von Höhnel: Die Afrika-Reise des Grafen Samuel Teleki. 1889.

Ende des 19. Jahrhunderts erreichte der europäische Kolonialismus seinen Höhepunkt. Fast die gesamte Welt war zwischen Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien aufgeteilt, auch wenn in den beiden Amerikas mittlerweile bereits unabhängige, postkoloniale Staaten entstanden waren. Abenteuer spielte in vielen kolonialen Unternehmungen eine wichtige Rolle. Wohl ging es darum, die europäischen Metropolen mit Rohstoffen zu versorgen oder Handelsrouten abzusichern. Doch folgte die koloniale Expansion oft mehr der Neugier und dem Einfallsreichtum der (männlichen) Eroberer, als einer politischen Planung in den Metropolen. Entdeckungsfahrten gingen nahtlos in Erberungen über.

Denken wir zunächst an Christoph Columbus, den Prototypen des Entdeckers, auch wenn er gewiss nicht der erste war, der große Seeabenteuer unternahm. Seine Figur faszinierte breite Massen in Europa. Bis heute wird er in einem bekannten Volkslied besungen, das deutlich macht, wie Ruhm (Gloria), die Flucht vor Problemen (Sorgen) und Eroberung (neues Land im Meer) zusammenhängen:

Ein Mann, der sich Kolumbus nannt,
Widewidewitt bum bum.
War in der Schifffahrt wohlbekannt,
Widewidewitt bum bum.
Es drückten ihn die Sorgen schwer,
Er suchte neues Land im Meer.
Gloria, Viktoria, widewidewitt juchheisassa.
Gloria, Viktoria, widewidewitt bum bum.

Die Eroberungen der Spanier in Mexiko und später in Südamerika wurden in Europa mit großer Neugier verfolgt. Die Berichte von den Conquistadoren, den spanischen Eroberern, beflügelten die Phantasien. Das sagenumwobene El-Dorado, ein Land, in dem alle Häuser aus Gold gebaut wurden, war nur ein Höhepunkt der kollektiven Phantasien. Berichte von grausamen Ritualen und von Menschfressern gaben dem ganzen einen prickelnden Beigeschmack, ungefähr so, wie heute in Science Fiction Filmen die bösen Außerirdischen meist besonders grotesk (und damit schön-schaurig-unterhaltsam) dargestellt werden.

Die Abenteuer der Österreicher/innen

Österreich hatte keine Kolonien, da die Expansionspolitik der Habsburger mehr auf Zentral- und Südosteuropa gerichtet war. Dennoch beteiligten sich viele Österreicher/innen an kolonialen Abenteuern und Entdeckungsfahrten. Eine der berühmtesten Reisenden war die Wienerin Ida Pfeiffer (1797-1858), die zweimal um die ganze Welt reiste. Die Bücher Ida Pfeiffers wurden populär als Unterhaltungslektüre für das gehobene Bürgertum. Ihrer Autorin erlaubten sie, jeweils neue Reisen zu finanzieren. So bewundernswert ihr Mut auch war, als Frau solche außergewöhnlichen Reisen zu unternehmen, so wenig sollte vergessen werden, dass diese nur dank des weltweiten Netzes europäischer Kolonialniederlassungen möglich waren. (Siehe dazu auch den Artikel „Wir fürchten uns vor nichts!“)

Ende des 19. Jahrhunderts unternahmen zwei Österreicher ausgedehnte Forschungsreisen nach Ostafrika. Einer davon war Rudolf Ritter von Höhnel, von dem das Zitat am Beginn des Artikels stammt. Er begleitete die Afrika-Reise des zweiten, des Grafen Samuel Teleki, ein reicher Adeliger aus Siebenbürgen, der die abenteuerliche Forschungsreise finanzierte. Mit Höhnel hatte Teleki gemein, dass sie beide „Tatendrang und Abenteuergeist“ mehr oder weniger in den „Dienst der Erforschung des dunklen Kontinentes“ stellten. Aus Telekis Jagdaufzeichnungen geht hervor, dass er allein 73 Büffel und 76 Nashörner erlegte. Die Jagd diente ja nicht zuletzt zur Nahrungsmittelversorgung der Expedition, die über 200 Menschen umfasste. So ließen sich Pflicht und Neigung geschickt unter einen Hut bringen.
Ihre Reise verdient Aufmerksamkeit und soll hier als Beispiel für die unbehagliche Verquickung von Abenteuer, Forschung und Kolonialismus dienen.

„Conquistadores“ – Entdecker wie Eroberer

Teleki und Höhnel trafen sich im November 1886 in Sansibar. Dort wurden 200 Träger angeworben und mehrere Tonnen Traglasten Ausrüstung und Tauschware verteilt.
Die Expedition marschierte über das Hochland von Tanganjika zum Kilimandscharo-Massiv. Zwischendurch kam es immer wieder zu Desertionen von bis zu 50 Trägern. Diese Infragestellung ihrer Autorität ließen Höhnel und Teleki nicht auf sich sitzen:

„Wir fürchteten weitere Massendesertionen, wenn wir der ersten untätig zusehen würden: ich begab mich daher zurück zur Küste und nach Zanzibar, um deren möglichst Viele wie­der einzufangen.“

Trotz aller Bekenntnisse zur Wissenschaft als alleinige Motivation zur Reise kann der kon­quistadorische (Eroberungs-) Charakter der Expedition kaum verborgen werden: Die Expeditionsmannschaft war ein genau organisiertes soziales Gefüge, das man am ehesten mit einer Privatmiliz vergleichen kann, die sich in jedem Falle bedingungslos dem Willen der Befehlshaber, Höhnel und Teleki, zu unterwerfen hat. Die an der Ostküste angeworbenen Träger fühlten sich ja keinesfalls wohl, in die Tiefen des auch für sie unbekannten Kontinents zu tauchen, mangelte es ihnen noch dazu ja an dem Forscherdrang, der Ruhmsucht und dem Ehrgeiz des österreich-ungarischen Forscherpaares. Dessen ungeachtet muss die Expedition im Kikuyuland seine Qualität als Gefechtseinheit beweisen. Mit beschönigender Sprache wird die Brutalität der Expedition getarnt:

„Trotz oft täglich mehrmaliger Bedrohungen kam es nur dreimal zu blutigen Zusammenstössen, bei welchen wir immer dank unserer grösseren Zahl von Gewehren siegreich waren. Ganz in Ruhe liess man uns jedoch erst als wir in ländlich-sittlicher Weise unser feindliches Vorgehen auch auf deren Dörfer und ihren sonstigen Besitz ausdehnten.“

„Der höchste Berg Afrikas war bezwungen“

Einen Höhepunkt erreichte die Abenteuerreise von Höhnel und Teleki mit der Besteigung des Ki­limandscharo. In Europa wusste man wenig über dieses Bergmassiv. Die Nachrichten, die über das geheimnisvolle Schneegebirge im tropischen Süden bis nach Europa drangen, stammten meist aus dritter oder vierter Hand. Als Produkt aus Mythos und Phantasie wurden sie immer mehr angezweifelt. Das Vorhandensein hoher Schneegipfel im tropischen Afrika wurde lange hindurch bezweifelt.
Als Höhnel und Teleki sich aufmachten, den Berg zu besteigen, war es gerade erst vierzig Jahre her, dass dessen Existenz sichergestellt war und nur wenige Jahre zuvor waren erste Bestei­gungsversuche gemacht worden. Man hatte es damals bis an die Eisgrenze geschafft.
Höhnel berichtet, dass der Aufstieg unter „unaussprechlichen Anstrengungen“ erfolgt sei. Die niederen Temperaturen überraschten, die Höhe des Berges war bisher unterschätzt worden. Man nächtigte auf einem Sattel auf 4.220m Höhe. In der Nacht fiel dort das Thermometer auf -11°C.

Höhnel musste hier aufgeben: „Mich überfiel Mattigkeit, Schlafsucht, Gleichgiltigkeit bei brennendem Durstgefühl und ich erklärte, nicht mehr weiter gehen zu wollen. Die zusammenliegenden Eis- und Schneemasse lagen noch weit ab, Schnee kam nur in einzelnen kleinen isolierten Flecken vor.“

Teleki gelangte noch etwas weiter: „Er war bis zum zusammenhängenden Schnee in eine Höhe von 16.780 Fuss (5.626m) gelangt, hatte sich jedoch dort auch durch den Einfluss grosser Luft­dünne zur Umkehr gezwungen gesehen.“

Der Gipfel wird keineswegs erreicht. Trotz der Enttäuschung, den Berg nicht „bezwungen“ zu haben, hatte Teleki eine Rekordmarke erreicht. Die Voraussetzungen der beiden zum Bergsteigen waren ja die denkbar schlechtesten: Teleki stammte aus dem ungarischen Tiefland, Höhnel war am Meer aufgewachsen. Die Schulung und das Training für eine derartige Bergtour waren sehr gering bzw. hatten gar nicht stattgefunden.

Zurück im Tal trafen sie auf den Leipziger Geographen Hans Meyer, der ebenfalls den Berg besteigen wollte. Er nahm zwar dankbar Hinweise entgegen, sein Vorhaben glückte jedoch auch ihm nicht. Auch sein zweiter Anlauf war erfolglos, beim dritten Mal. 1889 gelang es endlich: „Nach fünfzig (!) Vorgänger-Versuchen war Hans Meyer der erste geworden, dem die Besteigung dieses größten Bergriesen des Kontinents gelang.“
Diesmal war Meyer mit einem österreichischen Alpinisten, mit Ludwig Purtscheller, unterwegs gewesen: „Der höchste Berg Afrikas war bezwungen und gerade der österreichische Anteil daran war bei all diesen vier Unternehmungen besonders groß gewesen - vom Anfang bis zur erfolgreichen Vollendung des Vorhabens.“

Das erstmalige Besteigen von Bergen hat ähnlich wie das Gewinnen von Fußballländerspielen eine enorme symbolische Bedeutung, die weit über den sachlichen Wert im rationalen Sinn hinausgehen, an der sich nationale Identitäten weiterentwickeln bzw. bestätigen können. Die Erstbesteigung ist wie kaum ein anderer Punkt von Forschungsunternehmungen dazu geeignet, den Akteuren den Nimbus der Sieger zu verleihen. „Der höchste Berg Afrikas war bezwungen“ steht auch dafür, dass Afrika an sich wieder einmal ein Stück mehr bezwungen war.

Diese Herangehensweise ist damals wie heute conquistatorisch, von männlichem Eroberergeist durchtränkt. Diese Reise von Österreichern in Ostafrika war „gierig und flüchtig“ zugleich, denn um ein besseres Verstehen der Einheimischen ging es den Forschern ja nun wirklich nicht.

Gerald Faschingeder

Quelle: Alle Zitate zur Reise von Höhnel und Teleki stammen aus:
Rudolf Ritter von Höhnel: Die Afrika-Reise des Grafen Samuel Teleki. Von seinem Begleiter L. Ritter von Höhnel, k.k. Linienschiffs-Lieutenant. In: Mittheilungen der kais. königl. geographischen Gesellschaft in Wien. Band 32. 1889, S. 533-566.

kumquat "Abenteuer" 3/2011