Ein Einblick in die Gewaltfreie Kommunikation
Konflikte, Streitereien und Meinungsverschiedenheiten begleiten uns beinahe täglich. Mit ihnen umzugehen, ist nicht immer leicht - Konflikte werden oft als Machtkämpfe ausgetragen. Wer sich durchsetzen kann, „gewinnt“. Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK), die Marshall Rosenberg 1963 entwickelte, bietet Möglichkeiten, bei jeder Begegnung, auch in Konfliktsituationen, etwas über sich und den/die andere/n zu erfahren. GFK ist ein Weg, um konfliktfähig zu werden: Konflikte angehen (statt sie zu vermeiden), herausfinden woum es ALLEN Beteiligten tatsächlich geht (statt zu interpretieren) und Lösungen zu finden, die ALLE zufriedenstellen (statt Kompromisse zu schließen, die niemanden so richtig glücklich machen).
Worum geht es in der GFK?
Wie sieht das Haus aus, in dem du gerne leben würdest? Wäre es groß und bunt, eckig oder rund? So wie sich jedes Traumhaus in seiner Form, Größe und Einrichtung unterscheidet, unterscheiden uns auch wir Menschen in Form, Größe und „Einrichtung“ (Wertvorstellungen, Vorlieben und Herangehensweisen). In der GFK werden diese Unterschiede als „Strategien“ bezeichnet. Strategien sind Verhaltensweisen, konkrete Handlungen. Hinter (oder über) diesen Strategien stehen (universelle, für jeden Menschen gleiche) Bedürfnisse. Die Bedürfnisse nach Ruhe, Entspannung, Wachstum, Bewegung, Nähe, ... Die Wege um Bedürfnisse zu erfüllen sind vielfältig.
Für das Bedürfnis nach Liebe gibt es ganz viele Wege, es zu stillen. Wie erfüllt sich das Bedürfnis nach Liebe bei dir? In Form einer Umarmung, eines Telefonanrufes, Erdbeeren geschenkt bekommen, stundenlange Gespräche,... Oder bei Kindern? Vielleicht durch eine Lieblingsnachspeise, eine Umarmung, durch in Ruhe gelassen werden, durch die Gewissheit, wütend sein zu dürfen?
Bedürfnisse können unabhängig von Personen oder Dingen erfüllt werden. Ich habe nicht das Bedürfnis nach Ruhe in einer Hängematte - sondern nach Ruhe. Sind wir uns bewusst, welche Bedürfnisse wir mit unseren Strategien zu erfüllen versuchen, dann können wir die Strategien ausweiten.
Konflikte entstehen auf der Ebene der Strategien und nicht auf der Ebene der Bedürfnisse. Das Verhalten der anderen ist der Auslöser aber nie die Ursache eines Konfliktes. Die Ursache der Konflikte sind unsere unerfüllten Bedürfnisse. Wir handeln nicht, um andere einzuschränken oder zu verletzen sondern, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen. In der GFK wird davon ausgegangen, dass die Bedürfnisse aller Menschen zur selben Zeit gestillt werden können. Es steht uns nicht ein Mangel zur Verfügung, um den wir kämpfen müssen sondern ein Reichtum, der für alle Menschen zugänglich ist. Nicht nur für einige wenige.
Die GFK bietet drei Möglichkeiten, um Bedürfnisse zu stillen: Wir machen uns auf die Suche nach dem, was uns wichtig ist (Selbstempathie), und sagen dem anderen, was los ist und wie sie unser Leben schöner machen kann (Aufrichtigkeit), und wir hören was bei unserem Gegenüber los ist (Empathie).
Bausteine für die Jungscharstunde
Das methodische Hilfsmittel der GFK, um Selbstklärung, -ausdruck oder -empathie zu praktizieren ist der „Giraffentanz“, der aus vier Tanzschritten besteht. Giraffentanz deshalb, weil die Giraffe das Säugetier mit dem größten Herzen ist (ihr Blut muss ja durch den langen Hals in den Kopf und zurück zum Körper gepumpt werden - dafür braucht es ein großes Herz). Außerdem isst sie vegetarisch und tötet niemanden, ist quasi gewaltfrei. Deshalb ist sie das Symbol der Gewaltfreien Kommunikation.
Jeder Schritt des Giraffentanzes kann auch in der Jungscharstunde „geübt“ werden.
Wenn ich sehe/ höre ...Tanzschritt 1 (Symbol: Kopf)
Im Alltag ist unsere Kommunikation geprägt von Bewertungen, Urteilen, Vergleichen und Interpretationen. Jemand ist frech, ungeduldig, laut oder gemein. Zuschreibungen sind wenig hilfreich, um miteinander in Kontakt zu kommen. Die GFK schlägt vor, konkrete Fakten und Handlungen jedes Beteiligten wahrzunehmen und zu beobachten (hören, sehen, riechen,...) statt zu interpretieren, zu urteilen oder zu bewerten.
Spiele, bei denen es um genaue Beobachtungen oder Schärfung der Sinne geht, trainieren diesen ersten Schritt. Ein mögliches Spiel für die Jungscharstunde ist „Schau genau“. Alle Mitspieler/innen stehen im Kreis und schauen sich ganz genau an. Ein Kind, das mag, geht irgendwo hin, wo es die anderen nicht sehen, und verändert dann etwas an seinem/ihrem Aussehen (Haare aufmachen, Ärmel hochkrempeln, Knopf öffnen/zumachen usw.). Es kommt zurück in den Kreis und die anderen erraten, was es verändert hat. Das kann gespielt werden, so lange es spannend ist.
... fühle ich (mich)/bin ich ... Tanzschritt 2 (Symbol: Herz)
Gefühle sind die Wegweiser, die uns zu dem führen, was uns wichtig ist. Jedes Gefühl hat eine immense Kraft - Trauer hilft uns, anzunehmen, was uns nicht gefällt, Wut gibt uns Kraft, um etwas zu verändern, Freude zeigt uns, was für uns stimmig ist und gibt uns Sinn und die Angst zeigt uns Unbekanntes. Gefühle sind nicht positiv oder negativ. Ohne Wut gäbe es auf der Welt keine Veränderung - Wut gibt uns Kraft, etwas zu gestalten. Ohne Angst würden wir keine neuen Erfahrungen machen und könnten nicht lernen. Im Alltag sind Gefühle oft verpönt und wir tun uns nicht so leicht, sie auszudrücken. In der Jungschar kann Raum geschaffen werden, um Gefühle zuzulassen. Ihr könnt zum Beispiel eine Gefühlsuhr basteln, auf der jedes Kind einen eigenen Zeiger hat. Am Beginn der Gruppenstunde könnt ihr darauf schauen, wie es jedem Kind gerade geht. Die Position der Gefühlszeiger kann während der Jungscharstunde verändert werden.
... weil ich ... brauche. Schritt 3 (Symbol: Bauch)
Bedürfnisse wollen in erster Linie gehört, verstanden und ernst genommen werden! Bedürfnisse stehen in der GFK im Mittelpunkt - sie werden als Motor gesehen, der uns antreibt. Alles was wir tun, dient der Erfüllung „hungriger“ Bedürfnisse. Auch wenn wir kratzen, beißen, zwicken. Zerstört ein Kind den Legoturm eines anderen, kann es sein, dass es das Bedürfnis nach Zugehörigkeit hat und dass ihm gerade nur diese Aktion einfällt, um dieses Bedürfnis zu erfüllen. Leider wird dieses Verhalten nicht zur Bedürfnisbefriedigung beitragen. Wir als Begleiter/innen können das Kind darin unterstützen, sein Bedürfnis herauszufinden und in weiterer Folge so auch die Möglichkeit schaffen, neue Wege zu finden wie das Bedürfnis gestillt werden kann.
Dass hinter jedem Verhalten, schöne, positive Bedürfnisse stehen, ist uns oft nicht bewusst. Um das in der Jungscharstunde zu üben, könnt ihr „Was braucht der Böse?“ spielen. Ihr sammelt gemeinsam Geschichten, Filme und Märchen, die ihr kennt. Für jede Geschichte malt ihr ein Symbol auf ein Kärtchen. Wenn ihr einige Kärtchen habt, mischt ihr diese und ein Kind, das mag, zieht ein Kärtchen. Dann stellt es den Film/die Geschichte pantomimisch (ohne zu reden) dar. Habt ihr es erraten, erzählt ihr euch kurz, um was es geht. Und dann stellt ihr euch die Frage, warum der/die Böse das tut, was er/sie tut. Warum verhext Ursula Arielle? Vielleicht weil sie gemocht werden will (Bedürfnis nach Wertschätzung und Liebe). Warum will Joker Batman vernichten? Vielleicht weil er gerne der Held sein will (Bedürfnis nach Wertschätzung, nach gebraucht werden, nach gesehen werden). Wichtig: Es gibt nicht die eine richtige Antwort!
Würdest du bitte ...? - Tanzschritt 4 (Symbol: Beine)
Der vierte Schritt ist das Formulieren von konkreten Bitten, die uns und anderen helfen, unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Bitten sollten konkret statt abstrakt („Bitte schau nach rechts und links und sag mir, ob ein Auto kommt“ statt „sei vorsichtig“) und positiv formuliert sein („Bitte such dir ein anderes Spiel bis er fertig ist“ statt „Bitte stör ihn nicht“.) Bitten sind offen für ein Nein.
Da es gar nicht so einfach ist, mit einem „Nein“ umzugehen, könnt ihr das bei dem Spiel „Hüpf doch mal!“ üben: Ihr steht im Kreis. Ein Kind bittet ein anderes Kind etwas zu tun - z.B.: „Bitte hüpf auf einem Bein/ lauf im Kreis/ summ ein Lied.“ Das Kind, das gefragt wird kann entweder „Ja“ sagen und das Gesagte durchführen, oder „Nein“ sagen und es nicht machen. Bei einem „Nein“ kann das Kind, das fragt, jemand anderen fragen oder sich eine andere Bitte überlegen. Auch hier gilt: Das Spiel ist aus, wenn ihr genug habt.
Don‘t be nice - be real!
Manchmal wird von der GFK angenommen, dass man den Giraffentanz perfekt beherrschen muss oder dass man nicht stark oder bestimmt auftreten darf. Das stimmt so nicht. Perfekt sein ist kein Anliegen der GFK. Klarheit und die eigenen Grenzen wahren schon. Man darf stark auftreten. Gewaltfrei heißt nicht, ruhig und objektiv zu sein. Ein Trainer Kelly Bryson fasst das für mich in seinem Buchtitel mit „Don‘t be nice - be real!“ (Sei nicht nett, sei echt!) zusammen! Viel Spaß beim tanzen und echt sein üben :-)
Betti Zelenak
kumquat "Ghandi & Malala" 3/2014