Seit Anfang des Jahres 2011 hat sich ein Wort immer wieder in den Schlagzeilen finden lassen: Revolution. Es häuften sich Berichte über politische Umwälzungen und Demonstrationen in arabischen und islamischen Staaten – von Nordafrika bis in den Nahen Osten. Viele Menschen sind unzufrieden: oft haben junge Menschen in den betroffenen Ländern eine gute Ausbildung – aber kaum berufliche Möglichkeiten und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Gleichzeitig gibt es starke staatliche Unterdrückungsmechanismen, die z.B. die Gleichstellung von Frauen unterbinden. Viele Rechte, die in einer Demokratie selbstverständlich scheinen, sind nicht garantiert. In den betroffenen Staaten sind die Machtinhaber korrupt, fälschen sogar Wahlergebnisse oder arbeiten zum Vorteil der reichen Oberschicht. Wenn sich einige Menschen in einer solchen Situation trauen, auf Veränderungen zu drängen und gegen die herrschenden Zustände aufzutreten, kann eine ganze Bewegung entstehen, die die existierenden Strukturen aufbricht und die Herrschenden zum Rücktritt zwingt.
Aber was heißt es eigentlich, wenn „die Revolution ausbricht“? Was bedeutet das für die Menschen, die im Land leben und selber „revoltieren“?
Sehen wir uns das doch an! Lassen wir Sabah Eskander zu Wort kommen- sie ist Ägypterin, arbeitet als Sozialarbeiterin und Vorsitzende der dortigen katholischen ArbeiterInnenbewegung. Hier sind Auszüge aus einem Interview mit ihr, das sie der Katholischen Arbeitnehmer/innenbewegung (KAB) gegeben hat:
Sabah, welche Entwicklungen und Ereignisse haben die Demonstrationen ausgelöst?
„Vor dem Beginn der Demonstrationen im Jänner gestaltete sich das Leben in Ägypten von Monat zu Monat immer schwieriger. Ich spreche hier für 85% der ägyptischen Bevölkerung, die unterhalb der Armutsschwelle leben müssen, die wenige politische Rechte haben und insbesondere keine Demonstrationsfreiheit und deren Kinder eine mangelnde Erziehung und Bildung erfahren. Die Oberklasse hat es geschafft, der Bevölkerung eine latente Hoffnungslosigkeit einzuflößen. Den letzten Ausweg sah man darin, zum Tahrirplatz zu ziehen und hinauszuschreien: ‚Jetzt reicht’s!‘.
Für den 25. Jänner 2011 waren die ersten großen Demonstrationen angekündigt. Bereits am Vorabend war die Polizei auf dem Platz präsent und die ersten Demonstranten wurden mit Tränengas beschossen. Das Internet und die Mobilfunkverbindungen wurden gesperrt und eine nächtliche Ausgangssperre wurde verhängt.“
Hast Du auch an den Demonstrationen teilgenommen?
„Als ich gehört habe, dass der Platz besetzt wird – ich wohne direkt an der Straße, wo die Demonstrationen durchgezogen sind – ging ich, auch motiviert durch Kollegen und Freunde, zu Platz. Ich habe zwei Wochen in den Zelten auf dem Platz gelebt und mich insbesondere um die Essensversorgung gekümmert. Wir wurden in den ersten Tagen mit Tränengas und Wasserwerfern angegriffen. Es hat dabei auch Tote gegeben. Trotzdem war es gut, dass dies keine Gegengewalt der Demonstranten provoziert hat.
Es gab auch ganz außerordentliche Erfahrungen: Als die ganze Stadt geplündert und bekannt wurde, dass dies von der Regierung bezahlte Plünderer waren. Sofort haben sich in den Straßen Bürgerkomitees gebildet, die die Häuser beschützt haben. Ich habe mich erstmals mit meinen muslimischen Hausnachbarn auf der Straße getroffen, um gemeinsam unsere Wohnungen zu beschützen.“
In Ägypten und auch in Tunesien gelang es den revoltierenden Menschen mit Mut, Zusammenhalt und Durchhaltevermögen -und großteils ohne Gewalt!- dass die Machtinhaber aus ihren Ämtern enthoben wurden. Nachdem die Herrscher in Tunesien und Ägypten abtreten mussten, keimten im gesamten arabischen Raum Freiheitsbewegungen auf – auch andere Menschen schöpften Hoffnung auf Veränderung. Doch nicht überall verliefen die Proteste so friedlich und erfolgreich: in Libyen schreckte das Regime nicht davor zurück, mit brutaler Gewalt gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen. Auch in Bahrein und im Jemen wurde die Situation für Demonstrierende sehr gefährlich.
Ägypten steht nach der erfolgreichen Revolution am Beginn einer schwierigen Entwicklung- doch mutige Menschen wie Sabah haben gezeigt, dass eine andere Zukunft möglich ist.
Sabah Eskander ist verheiratetet, hat ein Kind und arbeitet als Sozialarbeiterin in Ägypten. Außerdem ist sie Vorsitzende der „Action Catholique Ouvrière“ (Katholische ArbeiterInnenBewegung) und geistliche Leiterin der Christlichen Arbeiterjugend Ägyptens.
Musiktipp:
Der Wunsch nach Veränderung und einer „besseren Welt“ bewegt viele Menschen. Einige Musiker versuchten, diesem Wunsch auch mit ihrer Musik Ausdruck zu verleihen und so zum Nach- oder Umdenken anzuregen. Vielleicht hast du ja Lust, einen dieser Tracks zum Thema anzuhören, während du weiterschmökerst?
Revolution – Bob Marley
I asked when is the revolution – Brett Dennen
Talkin‘ bout a revolution – Tracy Chapman
aus dem kumquat "Abenteuer" 3/2011