Gewalt auf allen Ebenen!?

Hören wir das Wort GEWALT, haben viele von uns sofort ein ganz konkretes Bild im Kopf - das von einer Ohrfeige zum Beispiel, oder von einer Schlägerei. Die erste Assoziation meint also oft körperliche Gewalthandlungen, doch Gewalt ist ein sehr vielschichtiges Phänomen und tritt auf den verschiedensten Ebenen menschlichen Zusammenlebens auf – in der Familie, in der Schule und in der Gesellschaft.

Nicht nur Schläge
Neben diesen ersten offensichtlichen Gewaltformen, gibt es auch noch verstecktere Arten, die uns nicht immer voll bewusst sind. Psychische und soziale Gewalt meint beispielsweise alles negative Zwischenmenschliche – das reicht von einem abwertenden Blick über ignorieren, bewusste Demütigungen bis hin zu verbaler Gewalt in Form von Beleidigungen und Beschimpfungen. (Verschiedenen Untersuchungen zufolge wurden schon oder werden zwischen 15 und 44 Prozent aller Schüler/innen in Österreich gemobbt.)

Jede/r von uns hat wahrscheinlich schon Bekanntschaft mit diesen Formen von Gewalt gemacht. Ein Witz in dem man sich wiederfindet, eine Aussage von jemandem, durch die man sich angesprochen fühlt, die einen kränkt, ein Blick beim Betreten des Raumes, der einen spüren lässt, dass man hier nicht erwünscht ist – leider passieren uns diese Dinge immer wieder – aktiv, wie passiv! Nicht immer ist es uns bewusst, dass wir überhaupt gewalttätig sind. Trotzdem können wir – auch unbeabsichtigt – andere verletzen.

Gewaltvolle Systeme
Zwar hat Gewalt immer mit Menschen zu tun, doch tritt sie nicht immer nur in Begegnungen und direkter oder indirekter Kommunikation auf. Der Schriftsteller Wolfgang Bittner definiert Gewalt als „jede Kraft- oder Machteinwirkung auf Menschen […] in negativer Weise“. Kraft ODER Macht! Machteinwirkungen sind im Verhältnis ungleich häufiger anzutreffen, leben wir doch in einer von Machtverhältnissen geprägten Welt. Auch hier in den Strukturen unseres Gesellschaftssystems finden wir Gewalt. Diese strukturelle Gewalt geht nicht von einzelnen Täter/innen aus, sondern ist das Ergebnis oder die Folge von gesellschaftlichen Bedingungen und gewaltvollen Strukturen, die verhindern, dass Menschen ihre Möglichkeiten voll entfalten können. Eingeschränkte Lebenschancen, wie sie durch Armut oder Hunger hervorgerufen werden, sind Ausdruck struktureller Gewalt, die von den Opfern nicht einmal direkt so empfunden werden muss, weil die eingeschränkten Lebensnormen bereits internalisiert sein können. Latente oder offene Ungleichstellung der Frau gehören hier ebenso dazu, wie Kinderarbeit oder Prostitution. Allem gemeinsam ist das Abbild ungleicher Lebenschancen und ungleicher Machtverhältnisse. Doch diese Strukturen sind keine Naturgesetze, sie sind gesellschaftlich entwickelt und können bewusst und gezielt verändert werden.

Was geht mich das an?
Gewalt begegnet uns immer wieder in unterschiedlichsten Ausprägungen auf vielen verschiedenen Ebenen. Es liegt an uns, nicht nur bei offensichtlich gewaltvollen Handlungen einzugreifen (als zivilcouragierte Menschen oder auch als Gruppenleiter/innen in der Kindergruppe), sondern auch hinter Situationen zu schauen, um versteckte Gewalt zu erkennen und ihr entgegenwirken zu können. In unserem täglichen Umfeld und auf struktureller Ebene sind wir alle dazu aufgerufen, zu einer friedlicheren Gesellschaft und damit zu einer besseren Welt beizutragen. Denn Frieden ist nicht die Abwesenheit von Krieg, Frieden ist ein langer Prozess, an dem sich jeder Mensch beteiligen kann. In diesem Sinn ist auch der Satz von Mahatma Ghandhi gemeint: "Es gibt keinen Weg zum Frieden – Frieden ist der Weg".


Sandra Fiedler

[aus dem kumquat "autsch!" 2010]