Haben sollen

Gestern habe ich mich in einem Elektrogeschäft verloren. Oder zumindest kam ich mir sehr verloren vor. Zwischen all den Dingen und Preisschildern, werbenden Verkäufer/innen und gehetzt kaufenden Menschen. Eigentlich war ich dort, um für eine neu einzurichtende Wohnung die notwendigen Geräte auszusuchen. Ziemlich schnell haben wir den Mediamarkt dann wieder verlassen, draußen aufgeatmet.

„Da drinnen erstickt man vor lauter Habensollenkaufenmüssen!“ meint mein Begleiter und schüttelt sich ein wenig. Ich grüble. Für mich ist der Grad zwischen dem Notwendigen und dem Luxus ein schmaler, noch nicht ganz klarer. Brauche ich einen Fernseher mit 50 Zoll? Eine Soundanlage um 4000 Euro? Ich fühle mich ein wenig eigenartig. Ich versuche mir vorzustellen, welche Gründe in den Köpfen der Menschen auftauchen, um sich Dinge zu leisten, die über das Notwendige hinausgehen. Vielleicht „Wenn Besuch kommt bewundern sie, was ich mir alles leisten kann!“ oder „Endlich kann ich so viel Geld wie ich will für Dinge ausgeben, die ich nicht haben wollte!“. Ist gesellschaftliche Akzeptanz von Besitz abhängig?

Sich viele Dinge leisten zu können ist ein Zeichen von Wohlstand und anscheinend wollen viele Menschen besitzen. In der Bibel steht bei Matthäus: „Ihr sollt nicht Schätze sammeln auf Erden.“ Und Kohelet, der Prediger, schreibt: „Wer den Reichtum liebt, wird keinen Nutzen davon haben.“ Und trotzdem – eine schöne Wohnung mit vielen tollen Dingen macht doch glücklich – oder?

Grübelnd verbringe ich meinen Nachmittag zu Hause, und mache mir einen Spaziergang mit einer guten Freundin aus. Als sie am frühen Abend läutet, hab ich immer noch keine Klarheit in meine Gedanken gebracht. Bibelworte fliegen mir durch den Kopf: „Und sie gaben ihr ganzes Geld den Armen.“, „Und sie verließen alles und folgten ihm nach.“. Beim Spazierengehen werde ich ruhiger. Wir gehen die Strecke über den Friedhof. Still und friedlich ist es hier – ganz anders als im Elektrogeschäft – und setzen uns auf eine Bank.

Ich muss wohl schweigsamer als sonst gewesen sein, denn schon nach ein paar Minuten hatte sie mir – nach mehrmaligem Nachfragen bezüglich meiner Nachdenklichkeit – mein Elektrogeschäfterlebnis entlockt.

„Weißt du“, meint sie nach einer kurzen Pause „ich glaub es ist wichtig, dass es einem gut geht. Darauf sollte man nicht aus schlechtem Gewissen verzichten. Denn, wenn es einem selbst gut geht, dann strahlt das auf andere aus. Und es gibt viele Dinge, bei denen man was tun kann ohne Geld –  und Zeit haben und gern geben, weil es einem selbst gut geht – für mich hat das gleichen Wert.“

Am Abend – gemütlich im Bett liegend – habe ich die ganze Sache noch einmal durchgedacht. Es darf uns gut gehen – das Verhängnis ist nicht, dass ich mir Dinge kaufe. Sondern dass ich auf die Dankbarkeit darüber vergesse, dass ich das kann und auf die anderen Menschen, denen es nicht so gut geht. Und dass ich Hände, Herz und Worte dafür einsetze, dass sich an Ungerechtigkeit etwas ändert.

Sara Dallinger