Das NEIN von Kindern akzeptieren
Ein Kind muss viel öfters NEIN sagen als Erwachsene, damit es von diesen auch gehört und für „wahr“ genommen wird. Einwände und Beanstandungen von Kindern werden von Erwachsenen oft abgetan mit, „das kannst du noch nicht“, „dafür bist du noch zu klein“, „ich weiß, was gut für dich ist“!
Selbstbestimmung als Prävention
Kinder wollen sehr früh, durch das Bedürfnis nach Neuem, möglichst viel ausprobieren, lernen, erfahren und können dadurch viele Fähigkeiten entwickeln. Dies ist für Kinder eine Notwendigkeit, um auch die Fähigkeit zu Selbstständigkeit zu entwickeln. Sie üben und üben, versuchen Neues und freuen sich selbst am meisten über jeden Erfolg. Das heißt jetzt nicht, dass sie dann unabhängig sind und niemanden bräuchten, zu einer gesunden Entwicklung gehören gute und vertraute Beziehungen, in denen Distanz und Nähe erlaubt sind, in denen gestritten und gelacht werden darf. So wie Kinder mit Spielsachen experimentieren, müssen sie dies auch mit Beziehungen tun. Dabei ist es wichtig, ihnen immer wieder zuzugestehen, dass ihre eigenen Gefühle und ihre Intuition der Maßstab sind, an dem sie sich orientieren können. Wenn ein Kind einfach keine Lust hat in die Musikschule zu gehen oder bei einem Spiel in der Gruppenstunde mitzumachen, oder eben auch der Oma kein „Bussi auf Kommando“ geben will, ist das ein gutes Zeichen von Selbstbestimmung. Zu wissen, was das Kind will, bedeutet auch, seine eigenen Grenzen nach außen ziehen zu können. Erwachsene musizieren, spielen und küssen auch nur dann wenn sie es wollen, warum sollte diese Selbstbestimmung dem Kind vorenthalten werden?
Nein zu sagen, gehört dazu, wenn Erwachsene etwas vom Kind möchten, was es selbst nicht will. Wenn die Haltung von Erwachsenen Kindern gegenüber Respekt und Achtung beinhaltet, wird ihnen ein Nein akzeptabel erscheinen. Als Gruppenleiter/in wird du nichts an deiner Autorität verlieren, wenn du Kindern eben auch erklärst, dass du heute ein anderes Spiel vorbereitet hast und ihr erst später das gewohnte Ballspiel spielen werdet. Im Gegenzug solltest du aber auch akzeptieren, dass Kinder deinen Vorschlägen ein NEIN entgegen bringen können – hier ist es nicht notwendig und schon gar nicht sinnvoll Kinder zu überreden.
Wichtig für die Selbstbestimmung von Kindern ist auch die Förderung ihrer Körperwahrnehmung. Je deutlicher sie durch unterschiedliche Erfahrungen ihren Körper erleben, umso differenzierter können sie positive und negative Körpererfahrungen unterscheiden. Wenn dir ein Kind bei einem Ausflug erklärt, dass es eigentlich nicht mehr weitergehen will, ist dieser Einwand ernst zu nehmen und mit dem Kind gemeinsam zu überlegen, ob es nur eine Rast braucht oder bereits so erschöpft ist oder auch eben keine Lust mehr hat weiterzugehen.
Kinder haben das Recht, NEIN zu sagen!
Wenn ihnen etwas nicht gefällt, in Situationen, in denen sie sich unwohl fühlen. Nein sagen heißt nicht, „frech zu sein“ oder „Widerworte zu geben“, sondern selbstbewusst zu sein, die eigene Meinung zu vertreten, über sich und seinen Körper selbst zu bestimmen und sich durchzusetzen. Kinder, die am Jungscharlager nicht abwaschen wollen, weil ihnen das jetzt ein/e Gruppenleiter/in aufträgt sind nicht frech oder verzogen, sondern sehen vielleicht auch nicht ein, warum sie und nicht der/die Gruppenleiter/in abwaschen sollen.
Das Nein von Kindern mag für dich vielleicht manchmal unbequem sein, weil du dir jetzt was neues, was anderes einfallen lassen musst, weil dein vorbereiteter Plan nicht so durchzuführen ist, wie du ihn geplant hast. Aber was spricht dagegen einen neuen Plan mit Hilfe der Kinder zu entwerfen? Dort wo Kinder in den Planungs- und Mitbestimmungsprozess einbezogen werden, kommt es viel seltener vor, dass sie mit etwas konfrontiert werden, das ihnen nicht passt! Das NEIN von Kindern akzeptieren, bedeutet sie ernst zu nehmen in ihrer Meinung, Eigenständigkeit und Individualität und diesen wichtigen Entwicklungsprozess solltest du wo immer es dir möglich ist fördern.
Die Ermutigung zum NEIN sagen darf allerdings nicht verschweigen, dass auch ein noch so lautes Nein manchmal nichts nützt, weil der/die andere stärker oder größer ist, weil er/sie nicht hören will oder einem Angst macht. Mädchen und Buben dürfen niemals das Gefühl bekommen, es sei ihre Schuld, dass sie sich nicht wehren konnten. Es ist die Verantwortung der Erwachsenen, das Nein eines Kindes zu respektieren. Das gilt auch für ein leises oder gar ein stummes Nein.
Bernhard Binder
aus dem kumquat "AlT" 4/2010