Kooperativ Leben
Zwei Beispiele aus der Praxis
Unser Wirtschaftssystem ist darauf aufgebaut, dass jede/r für sein/ihr eigenes Fortkommen sorgt. Mit einer guten Ausbildung in einem gefragten Berufsfeld ist das meist auch kein Problem. Nur bleiben in diesem System all jene auf der Strecke, die das nicht haben, die sich ihr Leben mit nur einem Job nicht leisten könnten oder deren Arbeit auch einfach nicht als solche anerkannt wird. (So sind beispielsweise die wöchentlichen Arbeitsstunden einer/s Hausfrau/-mannes erheblich höher als die eines Firmenchefs.)
Auch abseits des Erwerbslebens begegnen wir einer immer stärker werdenden Individualisierung. Das ist einerseits gut, da man den eigenen Weg gehen und das eigene Leben gestalten kann, wie man das möchte. Doch andererseits nimmt auch die Anteilnahme an den anderen ab und jede/r kocht sein/ihr eigenes Süppchen.
Mittlerweile gibt es jedoch vielerorts Bestrebungen, Alternativen zu dieser Entwicklung zu suchen. Es wurden unzählige Experimente im (vorerst) kleinen Rahmen gestartet, die sich zum Teil schon zu richtigen Systemen im System entwickelt haben. Zwei davon möchte ich euch hier vorstellen:
Tauschen statt kaufen
Das Prinzip, nach dem so genannte Tauschkreise arbeiten, ist das einer erweiterten Nachbarschaftshilfe: Nicht jede/r kann Rasenmäher reparieren oder Kindern Gleichungen mit zwei Variablen erklären, dabei braucht man oft (teure) Hilfe von Expert/innen oder in diesem Bereich Talentierten. Ist man Mitglied in einem Tauschkreis, findet man entweder auf einer Online-Plattform, in einer Zeitschrift in Anzeigenform oder auf einem Tauschtreffen Menschen, die die Leistungen, die man braucht, anbieten.
Angeboten werden Talente, Erfahrungen, Know-How, Dienstleistungen und Güter aller Art – sei es Babysitten, Fliesen verlegen, Marmelade kochen, Vorhänge nähen oder Gartenzaun streichen. Die im Zuge eines Tausches geleistete Arbeit wird in Zeit verrechnet: Eine Stunde ist eine Stunde ist eine Stunde. Dabei ist es nicht relevant, ob die eingebrachte Fähigkeit durch eine Ausbildung erworben wurde oder nicht, ob es sich um körperliche oder um geistige Arbeit handelt, wie sie üblicherweise von der Gesellschaft bewertet wird, ob sie von Frauen oder von Männern geleistet wird – den in der Wirtschaft leider immer noch existenten Lohn-/Gehaltsunterschied für gleiche Arbeit gibt es in den Tauschkreisen nicht.
Die Mitglieder bringen ihre Fähigkeiten ein und tauschen sie untereinander aus. Dadurch, dass alle Talente gleich viel wert sind, kann man sich durch Tauschen auch Dinge leisten, die sonst oft unerschwinglich sind, beispielsweise Maßmöbel oder eine professionelle Steuerberatung. Die eigenen, oft von der Wirtschaft gering geschätzten Fähigkeiten werden gewürdigt und sind etwas „wert“.
Der Vorteil eines organisierten Tauschkreises ist, dass die konsumierten Leistungen nicht sofort und personengebunden mit einer anderen Leistung „zurückgezahlt“ werden müssen, sondern auch später (oder schon vorher) bei anderen Tauschpartner/innen. Dazu führt man ein „Talente“-Konto, auf dem die Tauschaktionen vermerkt werden. Pro gearbeiteter Stunde werden 100 „Talente“ gutgeschrieben, für eine Stunde, die man in Anspruch genommen hat, werden 100 „Talente“ abgezogen. Für Guthaben oder Schulden werden keine Zinsen verrechnet, also macht es auch keinen Sinn, „Talente“ zu horten.
In Österreich gibt es seit einigen Jahren in allen Bundesländern so genannte Tauschkreise. Die meisten davon haben sich zum österreichweiten „Talentetauschkreis“ zusammengeschlossen, wobei in jedem Bundeland mindestens eine Regionalstelle vorhanden ist, die eine Zeitung mit den aktuellen Anzeigen herausgibt, die die Online-Plattform verwaltet und so genannte Tauschtreffen organisiert, bei denen man sich wie auf einem Markt mit anderen Mitgliedern des Tauschkreises trifft und Talente tauscht.
Wenn du mehr über Tauschkreise wissen willst, z.B. wie man Mitglied wird oder wie das mit dem Tauschen jetzt ganz genau funktioniert, findest du unter http://tauschkreis.at viele nützliche Infos.
Wohnen in der Sargfabrik
Eine Gruppe von engagierten Menschen hat sich Mitte der 80er-Jahre zusammengetan und den „Verein für integrative Lebensgestaltung“ (ViL) gegründet, der im 14. Wiener Gemeindebezirk ein alternatives Wohnprojekt betreibt: Die Sargfabrik (auf dem Gelände einer ehemaligen Sargtischlerei, daher auch der eigenwillige Name).
Entstanden ist diese Idee des gemeinschaftlichen Wohnens durch die Unzufriedenheit mit dem Wiener Wohnstil, der oft teuer und fast immer für Kleinfamilien bestehend aus Vater-Mutter-Kind geplant ist. Dort ist kein Platz für individuelle Wohngestaltung, die auf unterschiedliche Lebenskonzepte und verschiedene kulturelle Besonderheiten Rücksicht nimmt. Menschen, die in der Sargfabrik wohnen, bezeichnen das Lebensgefühl dort als „Urlaub“ oder als „Dorf in der Stadt“.
Nach langen Jahren der Planung und Konkretisierung des Projektes wurde es 1996 in die Realität umgesetzt und die Sargfabrik entstand als Wohnhaus und Ort der Begegnung für Menschen, die in ihrer Vielfalt aus Herkunft, Alter und Persönlichkeit zusammenleben. Wohnt man in der Sargfabrik, so hat man zwar eine eigene ganz „normale“ Wohnung, aber zusätzlich noch verschiedenste kulturelle und soziale Einrichtungen in der Anlage, die die Bewohner/innen und andere interessierte Leute nutzen können.
Konkret sind das ein barrierefreies Wohnhaus, im dem im Moment ca. 150 Erwachsene und 60 Kinder und Jugendliche wohnen, ein Kulturhaus mit Veranstaltungsbereich, in dem Konzerte, Theater, Kinderprogramm, Lesungen und vieles mehr stattfinden (z.B. einige Jahre lang das Boarding Now), ein Badehaus samt Sauna, Whirlpool und Kneipp-Becken, in dem auch betreutes Schwimmen für Kinder oder Menschen mit Behinderung angeboten wird, ein Seminarhaus, ein Montessori-Kindergarten und Hort sowie ein Café-Restaurant mit Schanigarten, das öffentlich zugänglich ist.
Im Jahr 2000 wurde aufgrund des großen Erfolgs dieses Projekts zwei Straßen weiter die kleine Schwester „Miss Sargfabrik“ mit Wohnhaus, Bibliothek samt PCs und Internetanschluss, Gemeinschaftsküche und Clubraum eröffnet.
Nähere Informationen zur Sargfabrik und ihren Angeboten findest du unter www.sargfabrik.at.
Das waren nur zwei Bespiele, wie Kooperation im alltäglichen Leben Einzug halten kann, damit alle Beteiligten davon profitieren. Wenn ihr in eurer Umgebung die Augen offenhaltet, findet ihr bestimmt noch weitere Möglichkeiten, Kooperation zu leben.
Sandra Fiedler
kumquat "und" 3/2008