Miteinander statt nebeneinander leben

Anfang des Sommers war ich auf Besinnungstagen, wo ich eine sehr spannende Bibelstelle kennen gelernt habe. Sie ist aus dem Alten Testament und ich habe bezüglich der Thematik einige Parallelen zur Gegenwart gesehen, was mich immer wieder positiv überrascht. Es handelt sich um einen Brief des Propheten Jeremia, den er an die Personen schickt, die von Jerusalem vertrieben und ins Exil nach Babylon verbannt wurden. Einen kleinen Auszug mag ich euch vorstellen: „Baut Häuser und richtet euch darin ein! ... Heiratet und zeugt Kinder! ... Eure Zahl soll zunehmen und nicht abnehmen. Seid um das Wohl der Städte besorgt, in die ich euch verbannt habe, und betet für sie! Denn wenn es ihnen gutgeht, dann geht es euch gut.“ (Jeremia 29, 5-8)

Die Gruppe ist gezwungen im Ausland/im Exil zu wohnen und kann nicht mehr in die eigene Heimat zurück. Obwohl sie dort nicht bleiben wollen, gibt ihnen Jeremia den Rat, sich dort niederzulassen, Häuser zu bauen und einzurichten, weil es doch für längere Zeit ist. Ein Haus baut man nicht so einfach, wenn man vorhat das Land wieder zu verlassen. Es ist auch sehr spannend, da Jeremia ihnen die Hoffnung gibt, wieder nach Jerusalem zurückzukehren. Trotzdem sollten sie sich in der Zwischenzeit einrichten, um sich vielleicht zu Hause zu fühlen. Es ist aber sicher schwierig sich auf etwas einzulassen, wenn man es eigentlich nicht will. Die Frage bleibt für mich offen, wieso Jeremia überhaupt so vorgeht. Würde es nicht für alle Beteiligten einfacher sein, sich mit einer ungewollten Situation abzufinden, weil man eben keine andere Wahl hat, keine Umkehrmöglichkeit? Beziehungsweise kann man doch sein Leben nicht an einem bestimmten Ort einrichten, wenn man sowieso wieder weg will? Also wieso nennt er ihnen einen Weg und prophezeit etwas Widersprüchliches?

Aber zurück zum Einrichten – für mich gehört natürlich mehr dazu, als nur ein Haus. Auch die Umgebung und die Menschen um mich herum sind wichtig um mich an einem Ort wohl zu fühlen. Dafür hat Jeremia aber auch einen Rat, nämlich sich zu „vermehren“. Nicht nur heiraten und Kinder bekommen, sondern eine Familie haben, das eigene Leben nach eigenen Vorstellungen leben und mit Menschen zu tun zu haben, einen wertschätzen und die offen sind für neue Begegnungen. Dann kann man sich vielleicht mehr zu Hause fühlen. Aber wie oft habe ich heutzutage schon das Vorurteil gehört, dass „Ausländer/innen so viele Kinder bekommen“, als ob das etwas Schlechtes wäre?! Kinder (eigentlich Menschen allgemein) sind doch immer eine Bereicherung! Mit ihnen lebt Gemeinschaft, Geschichte und Religion.

Das Spannendste kommt aber zum Schluss. Jeremia empfiehlt ihnen nicht, nur in ihrer Gemeinschaft zu bleiben, sich zu isolieren und nichts mit den anderen zu tun zu haben. Nein! Er sagt sogar, sie sollen sich auch um die anderen kümmern, für sie beten. Nur miteinander kann es allen gut gehen. Hier sind aber auch diejenigen gefragt, die neue Mitglieder in ihre Gemeinschaft aufnehmen.

Wie schön wäre es, wenn Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und Religion akzeptiert werden. Grenzen sollten dabei keine Rolle spielen. Dazu müssen natürlich wir alle beitragen, damit wir gemeinsam ohne Konflikte und Vorurteile nebeneinander und MITeinander leben können.

In der Menschenrechtserklärung steht, dass alle Menschen gleichwertig sind. Wieso fällt es uns offenbar so schwer, das auch so zu leben? Miteinander leben, füreinander sorgen – sollte das nicht Ziel einer gut funktionierenden Gesellschaft sein?

Denn wenn es ihnen gut geht, dann geht es euch gut!

Lisi Straßmayr