Schon als Kinder bekommen wir von unserer Umwelt vermittelt, was richtig oder falsch ist, gut oder böse, was sich g’hört oder was sich eben nicht gehört. Das lässt sich nicht vermeiden und ich denke, dass das bis zu einem gewissen Grad auch wichtig ist, und uns allen Orientierung gibt: Einen roten Faden zu haben, an dem wir uns entlang hanteln können, der uns hilft, verschieden Dinge und Meinungen einzuordnen. Noch wichtiger, als dass wir gesellschaftliche Normen und Regeln kennen, ist mir jedoch, dass wir diese immer wieder kritisch hinterfragen – und manchmal auch gegen geltende Konventionen handeln, wenn wir den Eindruck haben, dass vorherrschende Meinungen in die falsche Richtung gehen.
Jesus geht da mit gutem Beispiel voran: Er ist es, der an einem Sabbat einen Mann heilt (Mt 12, 9-14), obwohl das dem Gesetz nach am Sabbat eigentlich nicht erlaubt war. Jesus stellt hier ganz klar das Bedürfnis des kranken Mannes über ein vorherrschendes Gesetz. Er ist es, der zum Zöllner Zachäus geht und mit ihm gemeinsam isst (Lk 19, 1-10), obwohl Zöllner (sicherlich auch zu Recht) ganz und gar nicht beliebt bei der Bevölkerung waren und er sicherlich einiges am Kerbholz hatte. Er ist es, der mit einer Samariterin am Jakobsbrunnen ins Gespräch kommt und sie um Wasser bittet (Joh 4, 1-26). Diese Szene ist aus zweierlei Sicht bemerkenswert: Einerseits, weil ein Rabbi in der Öffentlichkeit nicht mit Frauen reden durfte und zweitens waren die Samariter ein Volk, das kein hohes Ansehen in der Gesellschaft genoss.
Das sind nur einige wenige Beispiele für das, was uns Jesus hier vorlebt: Er steht auf der Seite der Ausgegrenzten, ihm ist der Mensch wichtiger als das Gesetz, er schert sich nicht viel um das, was andere von ihm erwarten. Er stellt hier den Menschen mit seinen Bedürfnissen ganz klar in die Mitte.
Ich denke, dass das eine ganz klare Botschaft für uns als mündige Christ/innen ist, es ihm gleich zu tun und auch hier und jetzt Dinge immer wieder zu hinterfragen, obwohl – oder gerade weil – „es schon immer so war“ oder „sich so gehört“. Lothar Zenetti (ein deutscher Geistlicher) hat dazu einen Text verfasst, der dies für mich auf sehr berührende Art und Weise ausdrückt:
Was keiner wagt, das sollt Ihr wagen
Was keiner sagt, das sagt heraus,
was keiner denkt, das wagt zu denken,
was keiner ausführt, das führt aus.
Wenn keiner ja sagt, sollt Ihr´s sagen,
wenn keiner nein sagt, sagt doch nein,
wenn alle zweifeln, wagt zu glauben,
wenn alle mittun, steht allein.
Wo alle loben, habt Bedenken,
wo alle spotten, spottet nicht,
wo alle geizen, wagt zu schenken,
wo alles dunkel ist, macht Licht!
Jutta Niedermayer