„Die armen Kinder in Afrika“
Wie wir durch unser Konsumverhalten und unsere Wahrnehmung von Afrika das Leben anderer beeinflussen
„Iss auf, weil in Afrika verhungern Kinder!“ Mit dieser bedrohlichen Aussage wurden vermutlich viele von uns im Laufe der Kindheit aufgefordert, unseren Teller zu leeren. Auch wenn kein direkter Zusammenhang zwischen unserem Aufessen und Hungersnöten sowie humanitären Krisensituationen gegeben ist, also kein Kind in Afrika dadurch mehr Essen zur Verfügung hat, beeinflusst unser Lebensstil und Konsumverhalten gewiss die Lebensrealität unserer Mitmenschen, sowohl nah als auch fern.
Während westliche Konsument*innen das ganze Jahr über im Supermarkt aus einem weit gefächerten Sortiment an Bananen, Avocados und Kakao wählen können, welche einen weiten Transportweg hinter sich haben, fehlt es in vielen Regionen der Welt an Basisnahrungsmitteln. Dabei werden vielerorts fruchtbare Böden und Nährstoffe, Wasserreserven sowie Arbeitskraft für intensive Landwirtschaft von Produkten verwendet, welche zum Export bestimmt sind. Oftmals existiert für Güter wie Kaffee und Kakao kaum ein lokaler Markt – ein Überbleibsel der ehemals kolonialen Strukturen, die primär auf westliche Bedürfnisse abzielten. Überdies geht intensiver Anbau zumeist mit langfristig nachteiligen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt in Anbaugebieten einher. Weiterverarbeitende Prozesse, welche sowohl Arbeitsplätze und Knowhow als auch Wertschöpfung schaffen, finden dabei in der Regel im globalen Norden statt. Neben Lebensmitteln werden auch Rohstoffe wie beispielsweise Gold, Kobalt und Platinum für die Elektronikindustrie in afrikanischen Ländern abgebaut. Besonders profitable Stufen der Wertschöpfungskette spielen sich ebenfalls nicht dort ab, wo materielles Kapital und Humanressourcen ausgebeutet werden. Gefährliche Arbeitsbedingungen und fehlende Umweltstandards machen in westlichen Ländern oftmals erst dann Schlagzeilen, wenn Unfälle und Katastrophen passieren. Diese dramatischen Negativmeldungen veranlassen impulsiv unsere tiefe Betroffenheit, führten aber bisher nicht zu holistischen, also ganzheitlichen, Lösungen. Jene Businessmodelle, die erhöhte Lebensstandards durch Ausbeute anderer ermöglichen, kann man heutzutage unter einem Begriff klassifizieren: dem sogenannten Neokolonialismus.
Afrika: ein vielfältiger Kontinent
Die verbreitete Darstellung von Afrika durch Bilder von verarmten Kindern mit aufgeblähtem Hungerbauch, reduziert einen diversen Kontinent voller Innovation, Engagement, Expertise und mannigfaltiger Kulturen auf ein beschränktes, eindimensionales Bild. Daraus entspringt unter anderem eine anhaltende Pauschalisierung von People of Color, welche nicht zuletzt Rassismus und Micro-Aggressionen befeuert. Im Gespräch mit einem kenianischen Studenten in Wien erzählt mir dieser von subtilem Rassismus, dem er in europäischen Ländern immer wieder begegnet. Dabei wird er beim Einkauf und Verlassen von Geschäften vermehrt kontrolliert und im Auge behalten. Außerdem beschreibt er zu beobachten, wie Passagiere in öffentlichen Verkehrsmitteln vermeiden den Sitzplatz neben ihm einzunehmen - selbst zu Stoßzeiten, wenn die U-Bahn überfüllt ist. Eine besonders interessante Beobachtung, welche der aus Kenia stammende Student anstellt, betrifft die Erwartung von Afrikaner*innen an europäischen Rassismus. „Afrikaner*innen rechnen mit einer gewissen Art von Behandlung…“, so der junge Kenianer. Trotz Mikro-Aggressionen, welchen er in Europa begegnet, bewahrheitete sich die Annahme vieler Afrikaner*innen nicht, üblicherweise offenem Rassismus zu begegnen. Neben der Reduzierung von 54 unterschiedlichen Ländern auf eine „Schublade“ namens Afrika, die oft von fest verankerten Vorurteilen geprägt ist, kann man überdies ein wiederkehrendes Schema in Bezug auf die Darstellung von People of Color in den Medien erkennen. Dabei werden diese vermehrt repräsentativ für negativ behafteten Thematiken dargestellt. Nicht zuletzt veranschaulichten internationale Medien wie Reuters, BBC und ABC News Meldungen zur Verbreitung von Affenpocken in westlichen Ländern mit Bildern von People of Color.
Demnach existieren Diskriminierung von Afrikaner*innen und Rassismus nach wie vor. Trotz vieler Fortschritte leben wir in einer Welt, welche von gesellschaftlichen Hierarchien und Ungleichheiten auf unterschiedlichen Ebenen geprägt ist, sei es in Bezug auf Geschlechteridentität, Hautfarbe, Herkunft, Religion oder auch Weltanschauung.
Welche Macht zur Veränderung haben wir als Individuen in Europa?
Wir mögen als Individuum oftmals das Gefühl haben, ein Zahnrad im komplexen System zu sein und systemischen Wandel nur schwer vorantreiben zu können. An dieser Stelle erinnern wir uns an einen weisen Ausspruch von Dalai Lama: „Falls du glaubst, dass du zu klein bist, um etwas zu bewirken, dann versuche mal zu schlafen, wenn eine Mücke im Raum ist.“ Wir können uns aktiv gegen Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus entscheiden und darüber hinaus unser Umfeld durch aktiven Diskurs prägen. Unsere Lebensweise und Konsumentscheidungen beeinflussen überdies Ungerechtigkeiten auf globaler Ebene. So ist das Bestellen eins Kalbsschnitzels nicht nur eine geschmackliche Entscheidung, sondern auch eine politische. Sogar wenn das Rind das heimische Qualitätssiegel trägt, stehen die Chancen gut, dass es mit Kraftfutter aus Südamerika großgezogen wurde. Hierfür werden weite Flächen des Regenwaldes gerodet, indigene Menschen vertrieben sowie artgeschützte Tiere bei lebendigem Leibe verbrannt. All das, um Nahrung für unsere Nahrung zu produzieren. Genmodifizierte Monokulturen, besprüht mit Pestiziden sichern temporäre Rekorderträge, während Trinkwasserquellen verschmutzt werden, Keimresistenzen exponentiell steigen und der natürliche Hormonhaushalt beeinträchtigt wird. Nicht zuletzt führt die Wahl des Kalbsschnitzels zu deutlich größerem Treibhausgasausstoß im Vergleich zum direkten Verzehr pflanzlicher Energiequellen. Deutlich werden globale Ungerechtigkeiten insbesondere durch das Ausmaß an Klimakrisenfolgen, welche den afrikanischen Kontinent und andere vulnerable Regionen unverhältnismäßig stark treffen. Insbesondere westliche Länder, die jahrzehntelang das globale CO2-Budget ausgereizt haben, müssen eine systemische Transformation vorantreiben. Es bedarf jede* und jeden* - dich so wie mich. Mit gutem Beispiel schreiten die Kinder bereits voran und reagieren auf die initial zitierte Aufforderung zum Aufessen zum Beispiel folgendermaßen: „Liebe Eltern, ich habe mich zu einem nachhaltigeren Lebensstil entschlossen und möchte daher gerne von nun an mehr vegane, regionale, saisonale und ökologisch produzierte Lebensmittel konsumieren. Die übrig gebliebenen Kartoffeln werde ich am Abend als Rösti verwerten. Ich hoffe, ihr versteht und unterstützt meine Entscheidung!“
Literaturhinweis:
„Traurige Kinderaugen werben um Spenden“ auf www.dw.com
„Which are Africa´s biggest exports?“ auf www.weforum.org
„Stop using images of Black people to illustrate monkeypox stories“ auf qz.com
Theresa Aigner
kumquat "Antirassismus" - 1/2022