Über Landraub und was die Projektpartner/innen der DKA dagegen tun
Tagtäglich werden kleinbäuerliche Familien und Gemeinschaften von ihren Feldern verdrängt oder gewaltsam vertrieben, um Agrarunternehmen oder finanzstarken Investor/innen zu weichen, die das Land zur Produktion für den Weltmarkt nutzen. Dieses Phänomen das gemeinhin als Landgrabbing oder Landraub bezeichnet wird sorgt seit einiger Zeit für großes Aufsehen. In den vergangenen 15 Jahren haben rund 45 Mio. Hektar Land auf diese Weise ihre Besitzer/innen gewechselt – das entspricht ca. 5 mal der Gesamtfläche Österreichs.
Doch in ihren Grundzügen ist diese Verdrängung Kleiner durch Große tief in der kapitalistischen Art zu wirtschaften verankert und damit alles andere als neu. Wenn Geld und Reichtum zum höchsten Ziel des guten Lebens werden, scheint nützlich nur, was am Markt zu Profit gemacht werden kann.
Kleinbäuerliche Familien folgen jedoch oft einer anderen Logik: sie produzieren nicht für den Markt, sondern hauptsächlich für den eigenen Bedarf und die lokale Gemeinschaft. Außerdem zwingt die Konkurrenz auf diesem Markt die Unternehmen dazu, immer weiter zu wachsen, um sich im Wettbewerb behaupten zu können. Doch wer immer mehr produziert, die/der braucht auch immer neue Ressourcen – Land, Rohstoffe und Arbeitskräfte. Und so werden seit Jahrhunderten Menschen in allen Ecken der Welt vertrieben, verdrängt, enteignet.
Die jüngste Welle von Landnahmen begann mit dem Ausbruch der globalen Wirtschaftskrise vor rund zehn Jahren. Während die einst himmelstürmenden Aktienkurse in sich zusammenfielen, erlebten die Preise für Lebensmittel und andere landwirtschaftliche Güter plötzlich einen ungeahnten Aufschwung. Inmitten dieser wirtschaftlichen Turbulenzen wurde somit Land zur ebenso lukrativen wie sicheren Finanzanlage. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Zum einen sorgt der wirtschaftliche Aufstieg einst armer Länder wie China, Indien oder Brasilien dafür, dass sich auch der westliche Lebensstil und Ressourcenverbrauch globalisiert. Die aufstrebenden Industrien benötigen Rohstoffe und die Ernährungsgewohnheiten der Menschen ändern sich. So entsteht ein enormer Bedarf an Land, etwa um Futtermittel für die wachsende Fleischproduktion zu erzeugen.
Doch auch der Klimawandel spielt eine wesentliche Rolle. Neben dem Verlust von Agrarflächen durch Dürren und Naturkatastrophen haben vor allem die Maßnahmen der internationalen Klima- und Umweltpolitik zu Landnahmen geführt, die mittlerweile auch als „Green Grabbing“ bezeichnet werden. Die gesetzliche Förderung von Agrartreibstoffen in vielen europäischen Staaten etwa, hat den Bedarf an Ackerland massiv erhöht und verdrängt vielerorts die Produktion von Lebensmitteln. Ähnliche Auswirkungen hat der sogenannte Emissionshandel. Dieser Mechanismus ermöglicht Unternehmen durch Investitionen in vermeintlich klimafreundliche Projekte, Lizenzen für zusätzliche CO2-Emissionen zu erwerben und hat dafür gesorgt, dass Land im „Globalen Süden“ zur Kompensation des übermäßigen CO2-Ausstoßes im „Norden“ genutzt wird.
All diese Faktoren lassen die Nachfrage nach Ackerflächen steigen und machen sie so zu einem beliebten Spekulationsobjekt. Manche Investor/innen haben gar nicht erst die Absicht, das Land zu bewirtschaften, sondern hoffen, es später zu einem höheren Preis wieder verkaufen zu können.
Von ihren Verteidiger/innen aus Politik und Wirtschaft wird die Landnahme oft als historische Notwendigkeit dargestellt. Die Methoden der Kleinbäuerinnen und –bauern gelten ihnen als „rückständig“ und wenig produktiv. Um die wachsende Weltbevölkerung auch in Zukunft ernähren zu können, brauche es, ihrer Meinung nach, daher eine umfassende Modernisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft.
Dabei ist eine regionale, kleinbäuerliche Landwirtschaft langfristig betrachtet sogar effizienter. Denn die Agrarindustrie zielt auf kurzfristige Ertragssteigerungen und Profite. Monokulturen, chemische Düngemittel und Pestizide zerstören aber Böden und Gewässer und machen das Land für die kommenden Generationen nutzlos.
Trotzdem unterstützen viele Regierungen die Investitionen der Agrarindustrie. Denn für die Staaten bedeuten diese eine neue Einnahmequelle und die häufig sehr undurchsichtigen Verkaufsprozesse bieten lokalen Entscheidungsträger/innen Gelegenheit, sich persönlich zu bereichern. So wird Land oft einfach über die Köpfe der Betroffenen hinweg vergeben. Die kleinbäuerlichen Familien wiederum besitzen nur selten einklagbare Eigentumsrechte wie Besitzurkunden für die Äcker, die sie seit Generationen bewirtschaften. Und gegen die hochbezahlten Anwält/innen der Gegenseite sind ihre Chancen vor Gericht ohnehin gering. Zum Teil wird die lokale Bevölkerung aber auch einfach gewaltsam von ihrem Land vertrieben oder mit falschen Versprechungen von Geld, Jobs, Schulen oder Straßen, zum Verkauf gedrängt.
Ein Schauplatz dieses globalen Kampfes um die Äcker ist Tansania, das Schwerpunktland der heurigen Sternsinger/innenaktion. Hier leben rund 70 % der Menschen am Land – von Ackerbau, Viehzucht, Fischerei und Jagd. Eigenes Land besitzen und bebauen ist für die Familien dort lebenswichtig, denn viele von ihnen sind Selbstversorger/innen und die kleinbäuerlichen Betriebe produzieren den Großteil der Lebensmittel für die hiesige Bevölkerung.
Doch die Regierung hat andere Pläne. Mittels großer Investitionsprojekte möchte sie die Landwirtschaft industrialisieren und für den Wettbewerb am Weltmarkt fit machen. Sie vergibt riesige Flächen an die Agrarindustrie, die dort Mais und Soja für den Export pflanzt. Als Futtermittel oder Basis für Agrartreibstoffe landen die Produkte auch in unseren Tanks und auf unseren Tellern.
Den Bauernfamilien wird ihr Land oft ganz einfach weggenommen - gegen bestehendes Recht. Mit der Vertreibung ist ihr Überleben bedroht. Unterernährung und Hunger sind die dramatischen Folgen. Ohne ein regelmäßiges Einkommen sind aber auch die medizinische Versorgung und der Schulbesuch der Kinder nicht mehr möglich.
Jetzt schließen sich die Bäuerinnen und Bauern zusammen, um den „Landraub“ zu verhindern. MIICO, eine Partnerorganisation der Dreikönigsaktion, unterstützt sie dabei. Sie fördert die Selbstorganisation und Vernetzung der Bäuerinnen- und Bauernfamilien und schult sie in rechtlichen Fragen, damit diese ihren Zugang zu Land besser einfordern und durchsetzen können. Lobby- und Medienarbeit bringt die skrupellosen Praktiken von Investor/innen und lokalen Entscheidungsträger/innen ans Licht der Öffentlichkeit. Auf diese Weise konnten viele Landflächen wieder zurückgewonnen und die Armut in der Region erheblich verringert werden. Dank ihres unermüdlichen Einsatzes und die Unterstützung von MIICO haben die tansanischen Bauernfamilien so bereits viele kleine Siege im globalen Kampf gegen Landgrabbing errungen – und sie kämpfen weiter.
Subsistenzwirtschaft
Ein großer Teil der ländlichen Bevölkerung in Tansania und vielen anderen Ländern des Globalen Südens lebt von Subsistenzwirtschaft. Das bedeutet, dass sie die Dinge, die sie zum Leben brauchen (Nahrung, Kleidung, Unterkunft) weitgehend selbst produzieren, statt sie für Geld zu kaufen. Im Gegensatz zu bezahlter Arbeit, arbeiten Menschen in der Subsistenzproduktion also nicht, um einen möglichst hohen Profit oder Gehalt zu erzielen, sondern um ihre grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen. Meist ist es aber nicht möglich alle Dinge, die sie zum Leben und Arbeiten brauchen, selbst herzustellen. Deshalb müssen sie einen Teil ihrer Produkte verkaufen, um etwa Werkzeuge, Maschinen oder bestimmte Lebensmittel am Markt zukaufen zu können.
Jonathan Scalet
kumquat "sternsingen" 4/2016