Ich fahre viel U-Bahn. Manchmal fühle ich mich dabei unwohl, zum Beispiel wenn mich ein Mann blöd angafft, oder wenn ich fast alleine im Wagon sitze und eine Gruppe Betrunkener einsteigt. Oder wenn ich mitbekomme, dass andere miteinander einen Konflikt haben und ich nicht weiß, ob und wie ich eingreifen kann. Im Großen und Ganzen fühle ich mich aber sehr sicher in Wien und Gott sei Dank hatte ich erst wenige unangenehme Erfahrungen. Generell kann ich ungestört in der U Bahn fahren, in Ruhe lesen und bei unangenehmen Situationen hoffe ich darauf, dass mich andere unterstützen. Diese Form von Sicherheit gilt nicht für alle Menschen, die hier leben.
Vor allem Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere wenn dieser in der Wahrnehmung anderer „offenkundig“ ist, also Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder weil sie religiöse Symbole tragen, als „fremd“ wahrgenommen werden, erleben das oft ganz anders. Sie werden nicht in Ruhe gelassen und können sich nur selten auf Unterstützung verlassen. Von diesen Erfahrungen berichtet der jährlich erscheinende Rassismus Report von ZARA (ZARA ist die Abkürzung für Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit und bietet Menschen, die mit Rassismus konfrontiert wurden, Information, Unterstützung und (rechtliche) Beratung). Der Rassimsus-Report dokumentiert rassistische Übergriffe in Österreich und macht sichtbar, in wie vielen Lebensbereichen und in welcher Form Menschen von rassistischer Diskriminierung in ihrem Alltagsleben betroffen sind. Die darin beschriebenen Fälle zeugen von dieser anderen Realität.
Im Jahr 2007 wurden von der ZARA-Beratungsstelle 831 solcher rassistischen Übergriffe bearbeitet und dokumentiert. Als rassistische Diskriminierung gilt dabei jedwede Form der Benachteiligung, die jemand aufgrund seiner Hautfarbe, seiner Sprache, seines Aussehens, seiner Religionszugehörigkeit, Staatsbürgerschaft oder Herkunft erfährt (so definiert im ZARA-Leitbild). Diese Zahlen sagen allerdings wenig über die tatsächlichen rassistischen Vorfälle in Österreich aus, denn viele Vorfälle bleiben undokumentiert und werden nicht gemeldet. Oft ist man sich ja gar nicht so sicher, ob das, was man beobachtet bzw. erlebt hat eindeutig rassistisch ist, oder man zweifelt an der Sinnhaftigkeit, den Vorfall zu melden: was bringt das denn überhaupt? Die gemeldeten Ereignisse sind also nur die sichtbar gemachte Spitze des Eisbergs, denn es braucht sehr viel Mut und Zivilcourage, um selbst erlebten oder beobachteten Rassismus zu melden und etwas dagegen zu tun. Aber: Es wird aufgezeigt in welchen Bereichen Rassismus und Diskriminierung in Österreich vorkommt, wer davon besonders betroffen ist und deutlich gemacht, in welchen Bereichen es Präventionsmaßnahmen und gesetzliche Regelungen braucht.
Rassismus ist ein Bestandteil des österreichischen Alltags
Beim Lesen der Fallbeispiele (es werden rassistische Vorfälle in den Bereichen öffentlicher Raum, Polizei, sonstige Behörden und öffentliche Institutionen, Wohnen, Arbeit, Rassismus als Reaktion auf Anti-Rassismus-Arbeit, körperliche Übergriffe aber auch rassistische Beleidigungen, Beschimpfungen und Beschmierungen dokumentiert) fragt man sich, wie es denn möglich ist, dass Menschen ohne davor persönlichen Kontakt gehabt zu haben, Gewalt und Hass entgegengebracht wird und rassistische Aggressionen selbst in aller Öffentlichkeit scheinbar ungestraft ausgelebt werden können. Offensichtlich fühlen sich Täter/innen dabei sehr sicher, rechnen nicht mit dem Eingreifen von Passant/innen oder gar mit rechtlicher Verfolgung. Es scheint, dass das Aufbauen von Feindbildern dazu geführt hat, dass Menschen sich in ihrem unmenschlichen Handeln gerechtfertigt fühlen.
Dünklere Haut, ein Kopftuch, ein Akzent reichen aus, um sich in Österreich nicht sicher fühlen zu können. Und das trägt dazu bei, dass auch ich mich zunehmend unwohl fühle. Was ich dabei besonders gefährlich finde, ist die Subtilität der Gewalt, scheinbar harmlose Aussagen, die ja „gar nicht so schlimm“ sind, aber von versteckter rassistischer Einstellung zeugen und dazu führen, dass man sich in Österreich allmählich an Rassismus gewöhnt hat und er zur Normalität wird.
Nicht wegschauen!
Bei rassistischen Vorfällen nicht wegzuschauen, rassistische Äußerungen nicht unerwidert zu lassen sondern klar Stellung zu beziehen finde ich sehr wichtig, auch wenn ein Eingreifen vielleicht oft schwierig ist. Um darin sicherer zu werden, kann es helfen, Situationen durchzudenken und auch zu „üben“, wie ein Eingreifen ausschauen könnte.
Wenn du dich mit Rassismus und Zivilcourage näher beschäftigen möchtest kannst du dich an ZARA wenden, dort werden Workshops und Weiterbildungsmöglichkeiten dazu angeboten. Alle Infos findest du auf: www.zara.or.at
Wenn dir zum Beispiel rassistische Beschmierungen auf Häuserfassaden, in den Öffis oder sonst wo auffallen, halte sie fest (zum Beispiel mit einer Handykamera) und schicke alle Infos per Mail mit genauer Ortsangabe an rs@sosmitmensch.at. Alle Infos zu dieser Aktion findest du auf www.rassismusstreichen.at. Rassistische Vorfälle zu dokumentieren ist vielleicht nur ein kleiner Schritt, aber es trägt dazu bei, dass sie nicht unbemerkt und unwidersprochen passieren.
Quelle: Rassismusreport 2007. Einzelfall-Bericht über rassistische Übergriffe und Strukturen in Österreich. ZARA: Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit.
Clara Handler