Betteln in Wien

Wenn ich in der Früh zur Arbeit fahre, begegne ich fast jedem Morgen auf den Stiegen zur U-Bahn Menschen, die mich um Geld bitten. Meist sind es Frauen, selten auch Männer, manchmal haben sie Kinder dabei, sie sind jung oder alt.

Meine Unsicherheit, wie ich reagieren kann ist groß. Was mir an mir selber auch auffällt ist, dass ich nicht die Menschen dahinter sehen kann (selten kommt es ja zu einer tatsächlichen Interaktion und das Machtverhältnis scheint unaufbrechbar), sondern sie schnell zu einer Kategorie zusammenfasse: Bettler/innen.

Dann steige ich in die U Bahn und höre (bis ich an meinem Ziel angekommen bin manchmal sogar zweimal) eine Durchsage mit folgendem Inhalt:
„Viele Fahrgäste fühlen sich durch organisiertes Betteln in der U-Bahn belästigt. Wir bitten Sie, dieser Entwicklung nicht durch aktive Unterstützung Vorschub zu leisten, sondern besser, durch Spenden an anerkannte Hilfsorganisationen zu helfen. Sie tragen dadurch zur Durchsetzung des Verbots von Betteln und Hausieren bei den Wiener Linien bei.”

Die Durchsage macht mich aus mehreren Gründen wütend, nicht zuletzt, da sie zu unsolidarischem Verhalten gegenüber armen Menschen aufruft. Gott sei Dank gibt es auch viele andere Menschen, die sich nicht von den Bettler/innen, sondern von der Durchsage belästigt fühlen und die das auch laut kundtun. So hat sich z.B. die BettelLobby gegründet, die die Durchsage kritisieren und zu einer Protestmailaktion aufgerufen haben (alle Infos auf: bettellobbywien.wordpress.com/).

In der Durchsage, die stündlich von den Wiener Linien gespielt wird, wird vorgeschlagen man möge besser an anerkannte Hilfsorganisationen spenden. Da es in Wien aber keine Organisation gibt, die bettelnde Menschen direkt unterstützt, ist das wohl kaum eine Handlungsalternative zu einer Spende an Menschen, die betteln. Es legt außerdem nahe, dass ihnen ohnehin geholfen wird und eine Spende deshalb nicht notwendig ist. Dies trifft aber nicht zu, sondern bettelnde Menschen sind auf die Gaben anderer angewiesen, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu sichern.

Des Weiteren behaupten die Wiener Linien mit ihrer Durchsage, dass bettelnde Menschen alle „organisiert“ sind. Damit werden Menschen nicht nur pauschal kriminalisiert, sondern es ist auch eine Unwahrheit, denn bislang hat nicht mal die Wiener Polizei Nachweise für „Bettelbanden”. So wird ein nicht bestätigtes Vorurteil bekräftigt und zur Herabwürdigung bettelnder Menschen beigetragen. Das ist besonders bedenklich, wenn man sich überlegt, dass die Wiener Linien mit ihren Durchsagen täglich mehr Menschen erreichen, als sämtliche Zeitungen und damit eine große soziale Verantwortung gegenüber der öffentlichen Meinungsbildung haben.

Aus einem weiteren Grund stören mich die Durchsagen gewaltig. So werde nämlich auch ich, wenn ich mich zu einer Spende entschließe, indirekt kriminalisiert und gerate unter Rechtfertigungsdruck dafür, solidarisch sein zu wollen.

Die rechtliche Seite ist bei diesem Thema auch interessant. Wird ja in der Durchsage darauf verwiesen, dass Betteln und Hausieren in den Wiener Linien verboten sei. Im Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes lautet der diesbezügliche § 2.: (1) Wer an einem öffentlichen Ort a) in aufdringlicher oder aggressiver Weise oder als Beteiligter einer organisierten Gruppe um Geld oder geldwerte Sachen bettelt, oder b) eine unmündige minderjährige Person zum Betteln, in welcher Form auch immer, veranlasst oder diese bei der Bettelei mitführt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis 700 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche zu bestrafen.

Wer also – wie dies auch meistens der Fall ist – unaufdringlich um etwas Geld bettelt, macht sich nicht strafbar und ist auch dann nicht strafbar, wenn er dies in den öffentlichen Verkehrsmitteln tut. Einem/r Einzelnen kann auch nicht „organisiertes Betteln”, wie dies bei der Durchsage der Wiener Linien ausgedrückt wird, unterstellt werden.

Die Folge der Durchsage ist nicht nur eine Verstärkung der Vorurteile gegenüber bettelnden Menschen, sondern auch eine zunehmende Entsolidarisierung der Gesellschaft. Es prägt unsere Bilder und Einstellungen gegenüber Bettler/innen, jedoch ohne auch nur das geringste über die Menschen zu erfahren, die dahinterste-cken. Wie und unter welchen Umständen leben Menschen, die in Wien betteln? Wer sind diese Menschen, was denken und hoffen sie? Von ihnen zu erfahren, ihre Geschichte, soziale Situation ein wenig zu verstehen, kann helfen, die einseitig geprägten Bilder über sie zu ersetzen, und wieder den Menschen hinter der „Kategorie Bettler/in“ ein Stück weit sehen zu können. Einen ersten Einblick können die Kurzvideos auf der Homepage der Wiener BettelLobby sein, so z.B. einige Videoreportagen und Portraits über rumänische Familien, ihren Herkunftsort, ihre Geschichte und ihre Motivation nach Wien zum Betteln zu kommen.

Bettler/innen in der U-Bahn oder einem anderen öffentlichen Raum haben auch eine weitere Funktion: sie machen soziale Missstände sichtbar. Die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich und ihr Sichtbarwerden in Städten wie Wien. Das löst vielleicht Unbehagen, Ohnmacht und Unsicherheiten aus, macht aber den Zustand unseres Gesellschaftsmodells, sichtbar. Diese Unrechtsituation ist kriminell und nicht die davon betroffenen Menschen.

Webtipps:
Auf der Website der Katholischen Aktion Wien finden sich die „Wiener Bettlerinnen Mythen“: www.ka-wien.at/betteln

Mehr Infos zur Bettellobby Wien mit interessanten Videobeiträgen: bettellobbywien.wordpress.com

Filmtipp: Natasha, 2008 (seit April im Kino).
Ulli Gladnik begleitet Natasha bei ihrem Leben als Bettlerin zwischen Wien und Rumänien. Der Filmemacher zum Film: „Bettler/innen erzeugen Scham und machen Angst. Man will sie nicht sehen, weicht aus und hat alle möglichen Vorurteile. Bettler/innen sind die Unberührbaren unserer Gesellschaft. Mit dem Film wollte ich einen Menschen aus dieser Anonymität herausholen und zeigen, wer das ist - quasi dessen Berührbarkeit vermitteln - und ich danke Natasha für ihre Geduld und Bereitschaft, den Film möglich zu machen“ (Ulli Gladnik).
www.natasha-der-film.at

Clara Handler