Das Lagerparlament
Eine mögliche Form der Mitbestimmung ist das Lagerparlament. Hierunter ist ein regelmäßiges Treffen aller Interessierten am Lager zu verstehen, bei dem Themen, die alle betreffen, zur Sprache gebracht werden können. Beim Lagerparlament sollte auf ein partnerschaftliches Klima geachtet werden, in dem jede/r mit dem Gefühl teilnimmt, seine/ihre Erfahrungen und Ideen äußern zu können.
Das Lagerparlament ist also nicht der richtige Ort, um Konflikte, in die nur einige Teilnehmer/innen involviert sind, zu lösen, da Konflikte immer nur mit den Personen besprochen werden sollen, die tatsächlich betroffen sind (z.B. bei einem Streit in einem Zimmer). Beim Lagerparlament kann aber z.B. ausgemacht werden, wann und wo sich eine von einem Konflikt betroffene Gruppe zusammensetzt.
Die Form des Lagerparlaments
Das Anliegen des Lagerparlaments ist so wichtig, dass es ein eigenständiger Programmpunkt sein soll, der täglich als Fixpunkt stattfindet. Der fixe Rahmen erleichtert es den Kindern, sich darauf einzustellen und darauf zu konzentrieren, was jetzt gemeinsam getan wird und in welcher Art und Weise das gemacht wird.
fixer Zeitpunkt:
Da besonders für jüngere Kinder ein Tag schon ein längerer Zeitraum ist und sie ihre Anliegen ungern erst übermorgen besprechen wollen, sollte das Lagerparlament einmal am Tag stattfinden. Als günstig hat sich ein Zeitpunkt kurz vor oder nach dem Nachtmahl erwiesen. Von der Dauer her sollte das Lagerparlament weder ein kurzer Formalakt noch ein abendfüllender Programmpunkt sein. Je nach Teilnehmer/innen-Zahl wird eine Zeitdauer von 20 bis 40 Minuten passend sein.
fixer Ort:
Der Ort sollte so gewählt werden, dass er möglichst während des ganzen Lagers gleich bleiben kann und auch von jenen, die nicht am Lagerparlament teilnehmen wollen, nicht als störend empfunden wird. Ist ein solcher Platz gefunden, so kann das nötige Material dort für das ganze Lager platziert werden: Plakatwände, methodisches Material für Beurteilungs- und Sammelvorgänge, Pölster bzw. Hocker, etc.
Bei der Sitzordnung sollten darauf geachtet werden, dass bei den Kindern keine unnötigen Assoziationen zur Schule geweckt werden. Hier wird kein Lernstoff präsentiert, sondern es geht um Sachen, die alle gemeinsam ausmachen müssen. Alle sollten also einen gleichwertigen Sitzplatz haben, von wo aus sie möglichst alle anderen sehen können.
fixer Ablauf:
Hier geht es darum, einen gleich bleibenden Ablauf zu entwickeln, sodass die verschiedenen inhaltlichen Teile des Lagerparlaments für die Kinder gut erkennbar sind.
Es ist sinnvoll, ein bestimmtes Signal zu verwenden, das den Beginn des Lagerparlaments kennzeichnet (Fanfare; Musik, die am ganzen Lagerplatz zu hören ist; Versammlung singt, bis alle da sind; Rhythmusklatscher,...). Es kann ebenfalls einen ritualisierten Abschluss geben (Klatschen, Lagerlied, akustisches Signal, bestimmtes Spiel,…). Hinweise zu den inhaltlichen Schwerpunkten findest du im nächsten Punkt beschrieben.
Das Lagerparlament sollte auch einen gemeinsam ausgesuchten Namen bekommen, z.B.: Lagerparlament, Palaver, Werwowaswiewarium, usw.
Die inhaltlichen Schwerpunkte des Lagerparlaments
Eine Gliederung in drei Hauptbereiche erscheint zweckmäßig:
1. Rückschau
Wenn mehrere Leute etwas gemeinsam unternommen haben, so hat im Nachhinein jede/r aufgrund seiner/ihrer eigenen Erlebnisse und Gefühle eine bestimmte Meinung dazu: Es war vielleicht für den/die eine/n ganz toll, für den/die andere/n aber leider langweilig. Diese Einzelmeinungen sollen beim Lagerparlament artikuliert werden können. Das hat erstens den Vorteil, dass ihr euch als Gruppenleiter/innen ein Gesamtbild der Stimmungslage bei gewissen Programmpunkten verschaffen könnt. Zweitens ist es besser, Dinge, die nicht gefallen haben, zu äußern, als den Groll „runterzuschlucken“ und aufeinander grantig zu sein. Ein solcher Feedback-Prozess ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn sein Ergebnis einen für alle nachvollziehbaren Einfluss auf das zukünftige Miteinander hat: Positive Erlebnisse werden verstärkt und mit negativen Eindrücken Behaftetes nach Möglichkeit vermieden.
Der Bereich „Rückschau“ beginnt mit dem Durchschauen des Tagesablaufplakates. Hierbei soll die gemeinsam verbrachte Zeit nochmals in den Köpfen ablaufen. Dabei sollte ein trockenes Aneinanderreihen von Kurzmeldungen vermieden werden, sondern vielmehr an das Geschehene in netter Weise erinnert werden. „Angreifbare“ Ergebnisse (z.B. von einer Bastelaktion) können hier vorgestellt werden, Personen aus dem Geländespiel treten nochmals in Verkleidung auf und geben einen kurzen Erlebnisbericht und es kann ein unkonventioneller Blick auf das gemeinsame Tun geworfen werden (Schrittanzahl beim Ausflug, Länge des vermalten Papiers, Anzahl der vertilgten Zwetschkenknödel, usw.).
Danach ist eine gleich bleibende ritualisierte Form der Stellungnahme zu jedem gemeinsam erlebten Programmpunkt empfehlenswert. In für Kinder ansprechender Art soll hier rasch ein ungefährer Gesamteindruck gewonnen werden. Zur Bewertung sind mehrere Möglichkeiten denkbar: aufstehen und niederhockerln (sehr gut – weniger gut gefallen); durchsichtige Behälter, in denen verschiedenfarbige Papierknödel gesammelt werden (rote Knödel – weniger gut gefallen, orange – ganz gut gefallen, grüne – sehr gut gefallen), Meinungskärtchen mit Smilies, usw.
Durch diesen raschen gemeinsamen Bewertungsvorgang erübrigt es sich jedoch nicht, die Kinder danach sehr herzlich zu individuellen Stellungnahmen einzuladen. Jede/r einzelne soll den Raum haben, sehr konkret das loszuwerden, was ihm/ihr gefallen oder weniger gefallen hat. Der/die Gruppenleiter/in sollte gerade hier auf ein wirklich sanktionsfreies Klima achten, d.h. dass jede Meinung respektiert wird. Wenn der Mut zur Äußerung eines individuellen Standpunktes mit Gelächter und Abwertung beantwortet wird, wird ein Prozess echter Mitbestimmung unmöglich gemacht.
Die Rückschau ist kein Selbstzweck, sondern es muss für die Kinder deutlich werden, dass ihre Meinungsäußerung etwas bewirkt. Wenn die Kinder etwas als sensationell gut oder aber als langweilig erachten, muss diese Feststellung auch eine konkrete Auswirkung auf die zukünftige Lagergestaltung haben.
2. Vorschau
Die gemeinsame Vorschau auf den nächsten Tag ermöglicht es den Kindern zum einen, sich auf das, was sie erwarten wird, einzustellen, andererseits bekommen sie dadurch die Möglichkeit, auf das geplante Programm Einfluss zu nehmen und ihre Wünsche zu äußern.
Beim ersten Lagerparlament sollte der von den Gruppenleiter/innen entwickelte Wochenplan umrissartig vorgestellt und besprochen werden. Darauf aufbauend gilt es, bei jedem Lagerparlament den geplanten Tagesablauf des nächsten Tages im Detail vorzustellen. Hier ist eine möglichst anschauliche Präsentation wünschenswert: Material und Gegenstände, die bei der Bastelaktion verarbeitet werden sollen, können hergezeigt werden, die Schlüsselfigur des Geländespiels kann erstmals verkleidet auftreten und bei Ausflügen können Landkarten und Prospekte hergezeigt werden.
Nun ist es Aufgabe des/der Gruppenleiters/in, der/die das Gespräch leitet, das Parlament aufzufordern, Rückfragen, Änderungsvorschläge sowie weitere Ideen zur Sprache zu bringen. Änderungs- und Alternativvorschläge sollen dabei nicht als Missachtung der Vorbereitung des Lagerteams verstanden werden, sondern als ein produktiver Beitrag zur gemeinsamen Gestaltung des Lagers! Auch wenn nicht jeder Wunsch, den ein Kind äußert, verwirklicht werden kann, müssen die Vorschläge ernst genommen und diskutiert werden.
Das Ergebnis der Diskussion wird auf einem Plakat (z.B. auf der Wandzeitung) festgehalten, damit sich auch die Kinder, die nicht dabei waren, informieren können.
3. Weiteres
Nicht nur beim Programm, sondern auch im Alltagsablauf können Wünsche oder Anliegen auftreten, z.B. kann es vorkommen, dass man immer eine halbe Stunde lang die Schläger suchen muss, bevor man Federballspielen kann; oder jemand ist in der Nacht vom Lärm am Gang aufgeweckt worden, usw. Dieser Punkt soll jedem die Möglichkeit geben, seine Zufriedenheit aber auch Unzufriedenheit mit bestimmten Umständen des Zusammenlebens zu artikulieren.
Als Gesprächsgrundlage ist das Jö-Pfui-Plakat (siehe „Kommunikation – Wandzeitung“) sehr empfehlenswert, auf dem die Kinder notieren können, was ihnen gut bzw. weniger gut gefällt. Auf das Durchgehen der Anliegen auf dem Jö-Pfui-Plakat sollte sich der/die Gruppenleiter/in vorbereiten, d.h. er/sie sollte das Plakat vorher durchlesen, sich besonders mit den Punkten vertraut machen, die nicht so gut gelaufen sind, und evtl. mögliche Lösungsvorschläge überlegen.
Nach dem Durchgehen und Diskutieren der Punkte am Jö-Pfui-Plakat können in einem nächsten Schritt nun weitere Anliegen angesprochen werden. Für jeden angesprochenen Problempunkt wird nach einer für alle akzeptablen Lösung gesucht. Das von euch beschlossene Ergebnis wird allen Kindern, z.B. auf der Wandzeitung, bekannt gemacht.
Hier ist auch der Ort, an dem andere wichtige Punkte eingebracht werden können (z.B. Vorstellen neuer Spielmaterialien, usw.).
Der/die Gruppenleiter/in als Gesprächsleiter/in
Beim Lagerparlament kann es immer wieder dazu kommen, dass sich die Gemüter erhitzen, Meinung gegen Meinung steht und eine Einigung nur schwer vorstellbar ist. Wenn das Lagerparlament an so einem Punkt beendet wird und die Teilnehmer/innen frustriert auseinander gehen, bleibt nicht nur das Grundanliegen der Mitbestimmung unverwirklicht, sondern es werden dadurch auch die vielfältigen Möglichkeiten des sozialen Lernens im Lagerparlament nicht wahrgenommen.
Damit das gemeinsame Tun und Diskutieren auch im Lagerparlament zu einem positiven Miteinander wird, ist eine partnerschaftliche Grundatmosphäre nötig. Gerade auf diesen Stil des Miteinander-Redens hat der/die Gruppenleiter/in, der/die das Gespräch leitet, maßgeblichen Einfluss. Dabei sollten die vier folgenden Grundsätze beachtet werden:
Auf ein Klima des Zuhörens achten
Damit ein Klima der Wertschätzung entstehen kann, ist es wichtig, den Beiträgen der einzelnen Kinder Raum zu geben und Beachtung zu schenken. Gerade der/die Gesprächsleiter/in kann hier Vorbildwirkung haben, indem er/sie aktiv zuhört und dem Anliegen bewusst Aufmerksamkeit schenkt. Beim Lagerparlament muss keine absolute Ruhe herrschen, leise Einzelgespräche usw. können das aktive Teilnehmen auch fördern. Wichtig ist, dass die Aufmerksamkeit bei dem gerade besprochenen Punkt liegt und die Wortmeldungen dazu im Mittelpunkt stehen.
Meinungen aufgreifen und zusammenfassen
Bei der Diskussion ist es Aufgabe des/der Gesprächsleiters/in, darauf zu achten, dass alle Meinungen Berücksichtigung finden. Nicht nur die lautesten Vorschläge bekommen hier Platz, sondern auch zaghafte Stellungnahmen sollen nicht durch den Druck der Mehrheit untergehen, sondern ihren Platz in einer Zusammenfassung aller genannten Ideen und Vorschläge vor der tatsächlichen Entscheidungsfindung bekommen.
Erweitern des Lösungsspektrums
Hat sich eine Entscheidungssuche in eine Sackgasse bewegt, so ist eine „Kampfabstimmung“ nicht die geeignete Lösung. Ziel ist es ja, dass alle Beteiligten und nicht nur etwas mehr als die Hälfte mit der Entscheidung zufrieden sind. Bevor es soweit kommt, müssen also neue Ideen zur Sprache kommen, denen alle zustimmen können. Hier kommt den Gruppenleiter/innen eine wichtige Vorreiter/innenrolle beim Finden innovativer Lösungen zu, z.B. kann man vielleicht zwei Programmideen auch nebeneinander oder hintereinander durchführen oder verknüpfen,…
Konkrete Hilfestellungen bei der Entscheidungsfindung geben
Der/die Gruppenleiter/in, der/die das Gespräch leitet, kann durch Hilfestellungen Druck aus der Diskussion nehmen, z.B.: Er/sie kann vorschlagen, für drei Minuten eine Murmelphase einzuschieben, in der sich die Kinder mit ihren Nachbar/innen über die verschiedenen Vorschläge austauschen können. Nicht alles muss im Plenum ausdiskutiert und zu Ende gebracht werden. Bei manchen Alltagsproblemen (z.B. bei der Frage „Wohin mit den Schuhen?“, usw.) ist es oft möglich, die Entscheidung auf den nächsten Tag zu verschieben. Eine kleine Gruppe (natürlich mit Kindern) kann bis dahin eine Idee entwickeln, die dem Lagerparlament am nächsten Tag vorgestellt wird.