Gelingendes Zusammenleben in der Gruppe
Jungschar ist Gemeinschaft. Doch was heißt das genau? Reicht es, gemeinsam Dinge zu tun? Wenn wir uns an Gruppen erinnern, in denen wir uns wohl gefühlt haben oder immer noch wohl fühlen: Was haben die gemeinsam? Ist es „nur“ die gemeinsame Tätigkeit? Wahrscheinlich fallen uns hier in erster Linie Begriffe wie „dazugehören“ und „wir“ ein. Die Sozialpsychologie nennt dieses nicht ganz leicht zu fassende Gefühl „Gruppenkohärenz“ oder einfacher ausgedrückt Wir-Gefühl. Die Erkenntnisse, die diese Wissenschaft dazu bereits gewonnen hat, können uns in unserem Gruppenalltag weiterhelfen.
Ein starkes Wir-Gefühl kann man nicht einfach herzaubern, denn es muss sich entwickeln. Und wie bei allem, das wachsen und gedeihen soll, gibt es Hilfreiches und weniger Hilfreiches, in diesem Fall also kohäsionsfördernde und kohäsionshemmende Faktoren. Die ergeben zusammengenommen zwar kein Patentrezept, aber doch eine gute Auswahl an Handlungsmöglichkeiten, die man sich als Gruppenleiter/in vornehmen kann. Hier findest du nun eine Liste solcher Faktoren, die Wolfgang Staehle bereits vor fünfundzwanzig Jahren zusammengestellt hat und die immer wieder für gültig befunden wurden. Bei jedem Punkt steht immer auch gleich eine Idee, wie das in der Jungschar- oder Minigruppe dann konkret aussehen kann.
Häufigkeit der Interaktion
Klingt banal, ist es auch: Je häufiger man sich sieht, je mehr man miteinander zu tun hat, desto mehr fühlt man sich als Gruppe. Wer schon einmal auf einem Jungschar- oder Mini-Lager war, kann sich sicher an ein besonders intensives Wir-Gefühl dort und gleich danach erinnern. Erhalten kann man dieses Gefühl oft schlicht durch Regelmäßigkeit – Gruppen, die sich über einen längeren Zeitraum einmal wöchentlich treffen, bleiben oft noch weit über das Jungscharalter hinaus eine Gemeinschaft und setzen das zum Beispiel als Jugendgruppe fort. Während dieses kontinuierlichen Gruppenlebens helfen dann länger dauernde gemeinsame Erlebnisse wie Ausflüge oder eben Ferienlager dabei, das Wir-Gefühl noch weiter zu stärken.
Gruppengröße
Ein Gruppengefühl funktioniert nur dann gut, wenn sich die Gruppenmitglieder untereinander kennen. Ab einer gewissen Gruppengröße ist das nur mehr schwer oder irgendwann auch gar nicht mehr möglich. Wer kann schon 40 andere wirklich kennen? Im Gruppenalltag werden kaum jemals so viele Kinder in einer Gruppe sein, dass das ein Problem darstellen könnte. Auf Jungschar- oder Minilagern jedoch sollten wir das im Hinterkopf behalten und darauf achten, dass sich die Kinder auch dort in einer überschaubaren Gruppe wiederfinden können. Manche Pfarren haben auf dort sogenannte Familien, in denen Kinder unterschiedlichen Alters gemeinsam zum Beispiel den Abwasch übernehmen. In anderen Pfarren sind die Gruppen, die es unterm Jahr gibt, auch am Jungscharlager irgendwie sichtbar, zum Beispiel in Form von Gruppenlogos. Die Gruppen können miteinander Aufgaben übernehmen, manche Programmpunkte zusammen verbringen (z.B. Gute-Nacht-Geschichte als Gruppe vorgelesen bekommen) oder sie bewohnen gemeinsam ein Zimmer.
Beziehung der Gruppenmitglieder untereinander
Je aufgeschlossener die Mitglieder einer Gruppe den anderen gegenüber sind, desto eher werden sie zu einer starken Gruppe. Für uns als Gruppenleiter/innen heißt das, dass wir den Kindern möglichst viel Gelegenheit dazu geben, sich kennenzulernen und in Beziehung zueinander zu treten, statt Einzelkämpfer/innen zu bleiben. Hier können wir mit gutem Beispiel vorangehen und uns für die Kinder in unserer Gruppe interessieren – fragt nach, lernt sie kennen und erzählt auch den anderen davon: „Wusstest du schon, dass Lisa drei Katzen hat?“ oder „Salim hat mir gerade erzählt, dass gern backt.“
Homogenität
Je ähnlicher die Mitglieder einer Gruppe sind, desto eher fühlen sie sich als solche. Die Kinder in unseren Gruppen haben schon einiges gemeinsam: Sie sind vermutlich etwa im gleichen Alter, sie gehen alle in die Schule, sie kommen alle in die Jungschar, ministrieren gemeinsam, sie haben vielleicht sogar ein gemeinsames Lieblingsspiel. Wenn die Gruppe gerade erst neu begonnen hat, wissen sie vielleicht noch nicht so viel von ihren Gemeinsamkeiten. Mit der Programmgestaltung können wir das fördern. Spielt doch mal „Alle die...“: Dazu stellt ihr euch im Kreis auf – vielleicht habt ihr sogar ein Fallschirmtuch, das ihr in eurer Mitte aufspannen könnt. Jemand (am Anfang am Besten du als Gruppenleiter/in, später können auch die Kinder ihre Ideen einbringen) sagt „Alle die...“ und fügt etwas ein wie zum Beispiel „...gern Pizza essen“. Alle, auf die das nun zutrifft, verlassen ihren bisherigen Platz und suchen sich einen neuen. Das geht, solange es Spaß macht und zeigt, wie viel ihr gemeinsam habt.
Dieses und viele weitere Spiele findest du in der SpieleApp.
Wettbewerb
Das Wir-Gefühl einer Gruppe ist umso stärker, je gleichwertiger ihre Mitglieder sind. Individuelle Leistungsbewertung ist hier kontraproduktiv. Bei dem Wort Leistungsbewertung denkt man an Sport und Schule, inhaltlich steckt sie aber in vielen anderen Dingen genauso. Spiele, bei denen die allgemeine Haltung eher gegen- als miteinander ist, fallen hier genauso darunter wie Sieger/innen-Ehrungen. Das Wir-Gefühl einer Gruppe kann man hingegen stärken, indem sich die Gruppe gemeinsam einem Ziel widmet. Bei Spielen bieten sich Rahmengeschichen an, bei denen es darum geht, gemeinsam etwas zu erreichen – ob es die erfolgreiche Einschulung von Außerirdischen ins Leben unter den Menschen oder gar die Rettung der Welt ist, bleibt eurer Fantasie überlassen.
Erfolg und Misserfolg
Welches von beiden verstärkend und welches abschwächend wirkt, ist offensichtlich. Wir machen gerne Dinge richtig und ungern etwas falsch. Das lässt sich zwar nicht vermeiden, aber als Gruppenleiter/in kann ich die Rahmenbedingungen so gestalten, dass eher das eine als das andere naheliegt. Das Schlüsselwort hier ist Anerkennung. Als Gruppenleiter/in will ich einerseits darauf achten, Kinder selbst Anerkennung zu schenken - und zwar nicht nur in Form von Lob, wenn sie etwas besonders gut gemacht haben, sondern insgesamt an sie als Person. Andererseits kann ich den Kindern Erfolgserlebnisse im gemeinsamen Gruppe-Sein ermöglichen. Wenn sie es zum Beispiel schaffen, Kompromisse zu schließen und Lösungen für Konflikte zu finden, unterstützt das den Aufbau einer starken Verbindung innerhalb der Gruppe. Als Gruppenleiter/in ist es also nicht meine Aufgabe, alle ihre Konflikte zu lösen oder das Ergebnis von Diskussionen vorzugeben, sondern vielmehr, sie dabei zu unterstützen, es selbst zu machen. So wachsen sie mit all ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten, Meinungen und Wünschen als Gruppe zusammen.
Die Gruppenkohärenz, dieses „Wir“, ist manchmal stärker und manchmal schwächer. Das, was wir als Gruppenleiter/innen tun, ob es die Programmgestaltung ist oder der Umgang mit den Kindern insgesamt, wirkt sich auf die Gruppe und auf die einzelnen Kinder darin aus. Wir können stark dazu beitragen, dass sich alle Kinder in unserer Gruppe (jede/r einzelne!) wertgeschätzt und zugehörig fühlen – unabhängig von ihrem Verhalten oder gar ihrer „Leistung“. Gelingt das, schenken wir den Kindern damit ein Stück Zuhause, das sie über die Jungscharzeit hinaus begleiten wird.
Sandra Fiedler