Die Geschichte vom Jesus und der Gewalt
Mit dem Jesus und der Gewalt ist das so eine Sache: Ein bisschen weiß jede/r ganz genau, wie das zu verstehen ist. Alles scheint ganz klar und eindeutig zu sein. Und die Sache Jesu hat ja immer Konsequenzen: Wie Jesus mit Gewalt umgegangen ist, so sollen, so können auch wir es mit der Gewalt halten. Und auf einmal machen die einen Kreuzzüge oder ähnliches, und zwar im Namen Jesu. Und die anderen machen einen Sitzstreik, oder einen Hungerstreik, protestieren gewaltfrei gegen Gewalt und berufen sich dabei auf Jesus. Und die dritten, viel häufiger, machen einfach gar nichts. Oder rufen eine Gebetsstunde für den Frieden in der Welt aus, formulieren allgemein gehaltene Fürbitten, die jede/r zu seinen/ihren Gunsten auslegen kann und wenig am Weltunfrieden ändern.
Es scheint, dass es doch nicht so einfach ist, wie die Sache Jesu im Hinblick auf die Gewaltfrage zu verstehen ist. Ich will daher im Folgenden mit drei Bildern versuchen, die Idee Jesu vom guten Umgang mit Gewalt zu illustrieren.
Bild 1: Christus triumphiert
Dieses Bild zeigt den Christus Pantocreator. Er ist der Mit-Schöpfer der Welt, gemeinsam mit Gottvater, dem Herrgott selbst. Der Schöpfer der Welt ist aber auch der Sieger am Ende der Zeiten. Dereinst, wenn das Buch mit den Sieben Siegeln geöffnet wird und die Apokalypse losgeht, wird es zu einem gewaltigen Kampf zwischen Christus und dem Antichristen kommen. Klar, dass das Gute am Ende siegt. All die mittelmäßigen Hollywood-Filme, die das Motiv des Endkampfes aufgreifen, orientieren sich am Klassiker der Johannesoffenbarung. Dieses aus meiner Sicht ausgesprochen rätselhafte und schwierige Buch wurde gegen Ende des 1. Jahrhunderts geschrieben, um den jungen christlichen Gemeinden in Kleinasien Trost zuzusprechen. Ich persönlich kann mir zwar gut einen besseren Trost als solcherlei Untergangs- und Weltengerichts-Kitsch vorstellen, aber gut, Geschmäcker sind verschieden. Was historisch aber daran wichtig bleibt, ist, dass diese Erzählung vom apokalyptischen Endkampf immer wieder von Konfliktparteien aufgegriffen und natürlich zu ihren Gunsten interpretiert wurde. Der Antichrist, das waren immer die anderen. Protestant/innen und Katholik/innen wurden im 16. Jahrhundert nicht müde, sich gegenseitig als Antichrist zu verteufeln; aber auch die Rede von der „Achse des Bösen“, wie sie der US-Präsident George W. Bush führte, greift dieses Motiv auf. So dient(e) diese Trosterzählung der Rechtfertigung von Gewalt.
Wenn man nun solche historischen Geschehnisse neben die Worte Jesu aus der Bergpredigt legt, dann wird man den Eindruck nicht los, dass jede Rechtfertigung von Gewalt von Jesus her ein gewaltiges Missverständnis sein muss. Daher zu einem zweiten Bild.
Bild 2: Christus leidet
Ecce homo, so heißen jene Darstellungen des leidenden Jesus, in denen sich die Menschen ab dem Hochmittelalter besonders wiedererkannten. Der triumphierende Christus der Romanik war nicht länger das Leitbild, als sich in der Gotik die Theologie dem Menschen in seiner schlichten Menschlichkeit zuwandte. Ecce homo, so spricht Pilatus von Jesus (Joh 19,5), bevor dieser seinen Weg auf den Berg Golgotha zurücklegt. Der Weg von Leben zur Hinrichtung. Vorher bereits wurde Jesus gegeißelt, gefoltert, verhöhnt. Wenig später stirbt er am Kreuz, und es ist nicht einmal ein besonders origineller Tod, denn hunderte Menschen wurden in dieser Zeit von der römischen Besatzungsmacht so hingerichtet.
Diese Schande und dieser Tod zeigt die Machtlosigkeit des Menschen Jesu, der keine besonderen Winkelzüge einsetzt, um der misslichen Lage zu entkommen. (Ein Faktum, das mich als Kind immer besonders verwundert hat. Wie kann man, als Gott noch dazu, so „blöd“ sein, und nicht einfach davon laufen?) Jesus will das Leben der Menschen teilen, und dazu gehört auch dieser Tod. Und entsprechend dem in seinen letzten Lebensjahren verkündetem Programm verhält sich Jesus komplett gewaltfrei. Jenem Jünger, der dem Malchus bei der Verhaftung das Ohr abhieb, befiehlt er, das Schwert wegzustecken, und der Malchus bekommt sein Ohr zurück (lk 22,51). Ein letztes Wunder des Gewaltverzichtes. Sagte nicht Jesus selbst in der Bergpredigt: „Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben.“ (Mt 5,5)
Aus dieser Logik des Gewaltverzichts versuchten viele Christ/innen zu handeln. Franz von Assisi nahm an einem Kreuzzug teil, ohne zu kämpfen, sondern traf sich zum theologischen Disput mit dem Sultan. Franz Jägerstätter weigerte sich aus Glaubensgründen, für die Deutsche Wehrmacht in den Krieg zu ziehen. Es gibt viele Beispiele, wie sehr Christ/innen Kraft aus dem Ideal der Gewaltlosigkeit bezogen.
Und doch bleibt ein Fragezeichen, wie denn jesuanische Gewaltlosigkeit zu verstehen ist. Besteht hier nicht die Gefahr, dass sich Christ/innen passiv der Gewalterfahrung hingeben, aus einer Art Leidensverehrung heraus, ohne dabei etwas zu bewirken? Passivität war nun wahrlich kein Charakterzug Jesu, wie das nächste Bild zeigt.
Bild 3: Christus handelt
Jesus war nicht passiv. Diese einfache Feststellung vergisst leicht, wer nur das Bild des leidenden Christus betrachtet. Denn der leidende Christus leidet, obwohl er unschuldig ist. Er hat eigentlich nichts getan. Und er nimmt dieses Leid auf sich, obwohl er nicht muss. Es wirkt, als wäre er die Passivität an sich. Doch das Bild täuscht.
Jesus handelt. Er ist eigentlich ein sehr aktiver Mensch, über Jahre hinweg, immer wieder. Er beruft die Jünger. Er verkündet das Reich Gottes. Er heilt Blinde und Aussätzige. Er wirft die Händler aus dem Tempel. Der Typ ist wirklich nicht passiv. Es spricht einiges dafür, dass er seinen Tod nicht grundlos erlitten hat, sondern dass seine Verurteilung eine Folge seines Handelns war. Denn sein Handeln war immer wieder provokant: Heilungen am Sabbat gehörten da noch zu den harmloseren Dingen. Sein Handeln stellte das sture Befolgen von Geboten ebenso infrage wie systemkonforme Lebenskonzepte.
Familienfreundlich war seine Predigt nicht, gebot er seinen Jünger/innen doch, ihre Familien hinter sich zu lassen und fortan mit ihm durch Galiläa zu ziehen.
Dabei war Jesus kein politischer Aktivist, wie manche seiner späteren Anhänger, die sich in christlichen Parteien engagierten oder sonst wie die Welt im christlichen Sinne zu gestalten versuchten. Jesus hielt sich aus den politischen Dingen heraus, wollte damit aber gleich auf das Wesentliche kommen – auf die Frage des Lebens selbst: Wann lebe ich wirklich? Was bedeutet Freiheit im Angesicht Gottes? Wirkliche Antworten auf diese Fragen konnten aber beim besten Willen nie unpolitisch ausfallen. Seine Jünger/innen entzogen sich jeder Logik der ökonomischen Verwertbarkeit, ließen sich in kein politisches Kalkül einspannen und gehorchten auch den konventionellen religiösen Autoritäten nicht mehr. Also wenn das nicht politisch ist.
Und ist das gewaltfrei? Ja und nein. Jesus verzichtete immer auf direkte Gewalt. Und doch war sein Auftreten so, dass die Leute ihm große Gewalt zusprachen. Zuletzt zeigt sich in jener Szene, als Jesus kurz vor dem Paschafest die Händler aus dem Tempel vertreibt, dass Jesus nicht ohne Aggressionen war. Der Mann hatte Energie. Seine Gewaltfreiheit war keine Antriebslosigkeit, keine Passivität, keine Aggressionslosigkeit. Es lebte eine konstruktive Aggression, die Christ/innen auch heute gut anstehen würde, wollten sie tatsächlich die Welt christlich mitgestalten. Der Heilige Thomas von Aquin meinte, viele Jahrhunderte später, dass die größte Sünde des Menschen, nein: nicht irgendwas mit Sex oder dergleichen sei, sondern die Antriebslosigkeit. Die Unlust, etwas anzugehen, jene selbstzufriedene Passivität, die acedia, die sich als Melancholie zeigt und schnell auch in Depression wandeln kann, die ist das größte Übel, so Thomas von Aquin (ca. 1225-1274). „Mangel an Zorn ist ohne Zweifel Sünde,“ meinte Thomas, denn: „Die Leidenschaft Zorn ... dient dazu, dass der Mensch mit mehr Entschlossenheit das ausführe, was die Vernunft befiehlt.“ Hier hatte er wohl seinen so handlungsfähigen Herrn Jesus Christus vor Augen. Es wäre ein gewaltiges Missverständnis anzunehmen, Jesus hätte nur abgewartet, bis sich der Wille Gottes erfüllt, ohne diesen selbst zu tun. Das verlangt einiges an Vertrauen.
Gerald Faschingeder
Bilder und Bildrechte:
1: Christus Pantocreator, in Apsis des Markusdoms von Venedig. Foto: Gerald Faschingeder.
2: Ecce Homo, von Antonello da Messina, ca. 1473; Quelle: Wikipedia; GNU-Linzenz
3: Christus vertreibt die Händler aus dem Tempel, von El Greco, ca. 1600. Quelle: www.andrewgrahamdixon.com/archive/readArticle/116; Creative Common Licence