Gratis Gnade

Gratis, aber nicht umsonst: Das hört man öfter, wann man etwas geschenkt bekommt. Gratis klingt immer cool, weil es nichts kostet und man etwas davon hat. Als kritische Konsument/innen wissen wir natürlich, dass nicht alles, was als gratis angepriesen wird, auch wirklich nichts kostet. Oft wird die 6. Flasche „gratis“ zu den fünf ersten Flaschen angeboten, oder es sind 20 Prozent mehr von was auch immer „gratis“ in einer Schachtel drinnen, für die man aber eh ganz normal zahlen muss. „Gratis“ klingt aber gut und ist ein modernes Wort.

Gnade ist hingegen ein altes, ein antiquiertes Wort. Wir kennen diesen Begriff vielleicht aus Ritterfilmen, wo ein Übeltäter vom König verschont wird, indem er diesen begnadigt. Zu Weihnachten spricht der österreichische Bundspräsident auch heute noch Weihnachtsamnestien für Häftlinge aus, die damit begnadigt werden. Gnade hat mit Recht und Verbrechen zu tun. Sie wird von einer mächtigen Person gewährt – oder vorenthalten, je nach dem. Diese Idee, dass ein Herrscher einem niedriggestellten Menschen Gnade gewähren könnte, wurde in der Frühzeit des Christentums auf Gott übertragen: Er schenkt Gnade. Damit ist gemeint, dass Gott den Menschen ihre Sünden erlassen kann und sie in sein Reich aufnimmt, obwohl sie es nicht verdienen. Gott ist eben gnädig.

Was hat gratis aber Gnade zu tun? Ist Gnade gratis? Gewiss ist sie das, denn man kann sie nicht mittels Dauerauftrag oder Kreditkarte bezahlen. Interessant an den beiden Begriffen erscheint mir, dass „gratis“ mit dem lateinischen Begriff für Gnade, „gratia“ etymologisch, also wortgeschichtlich, verwandt ist. „Gratis“ gibt es mit derselben Bedeutung auch als lateinisches Wort, das von „gratia“, abgeleitet ist. Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm schreibt dazu:

„die wesentliche qualität der christlichen ‚gratia‘, ihre sogenannte ‚gratuität‘, vermittelt das charakteristische merkmal, durch das gnade seit seinem auftreten in althochdeutscher zeit bis in die jüngsten und entlegensten weltlichen bedeutungen hinein als etwas aus unverdientem wohlwollen, ‚gratis‘ empfangenes, auszergewöhnliches und von der norm abweichendes gekennzeichnet und dadurch von den synonymen huld, gunst, neigung unterschieden ist.“

„Gratia“, die Gnade, gibt es also gratis! Bis ins 19. Jahrhundert war im Deutschen der Begriff „Gratist“ (oder Gratuist) gebräuchlich. Damit wurde einer bezeichnet, der etwas, vor allem Unterricht und Kost, umsonst empfängt, also ein Freischüler. Damals was es üblich, dass besser gestellte Familien einzelnen ärmeren Kindern einen Platz zum Wohnen anboten. Johann Sebastian Bach zum Beispiel war ein Freischüler der Partikularschule des Michaelisklosters, musste dafür aber in deren Chor mitsingen – gratis, aber nicht umsonst.

Der spätmittelalterliche Mystiker Meister Eckhart schrieb über die gratis Gnade:
„dar umbe enist in got umbe iriu werk unde umbe ir geben nihtes niht schuldic, er enwellez denne gerne tuon von sîner gnâde unde nicht umbe iriu werk“
Meister Eckhart d. dt. w. 1, 8, 3 Quint“

In heutigem Deutsch bedeutet das:
„Deshalb ist Gott es ihnen (den Menschen) nicht schuldig, ihnen irgendetwas für ihre Werke oder ihre Gaben zu geben. Er tut dies aber gerne, aus seiner Gnade heraus und nicht wegen ihrer Werke.“

Gnade – was soll das sein?

Was aber ist damit gemeint, wenn wir als Christ/innen sagen, dass uns Gott seine Gnade gratis schenkt? Die Gnadenlehre war einer der historisch am stärksten umstrittenen Punkte in der christlichen Glaubenslehre. Im 16. und 17. Jahrhundert zerstritten sich Katholik/innen und Protestant/innen unter anderem in dieser Frage. Während die Katholik/innen meinten, dass man sich die Gnade Gottes, sein Erbarmen, verdienen müsse, indem man die Sakramente empfange, meinte Luther, dass Gott seine Gnade dem gläubigen Menschen ohne Voraussetzung gewähre, gratis also. Die einzige Bedingung war, dass man an Christus glaubt. „Gratis Gnade“ gab es auch im Denken des Protestantismus nur für Christ/innen. Die zwischen Mensch und Gott durch die Sünde gestörte Beziehung wird allein von Gott her wieder hergestellt, weil er sich dem Menschen aus seinem freien Willen heraus in Gnade zuwendet. Gute Werke eines Menschen sind dann Frucht und Folge des Glaubens, so die Sicht der Protestant/innen. Luther brachte das mit dem Slogan auf den Punkt: allein aus Glaube, allein aus Gnade - sola fide, sola gratia – so wird der Mensch vor Gott gerechtfertigt, also mit ihm versöhnt.

Aus der damaligen Sicht der Katholik/innen war göttliche Gnade nicht gratis, sondern zu verdienen: Gute Menschen kommen in den Himmel, böse in die Hölle. Das sei gerecht. Die Katholische Kirche bot damals auch an, dass man einen Ablass kaufen könne. Das war ein Papier, das bestätigte, dass man etwas weniger Monate oder Jahre im Fegefeuer zum Verbüßen der eigenen Sünden verbringen werde. Das war keineswegs gratis, auch wenn die wenig begüterten Menschen sich einen Ablass auch durch eine Wallfahrt oder durch Gebete erarbeiten konnten. So konnte man sich zwar einen Ablass verdienen, ohne zu zahlen, aber der Zeitaufwand war doch höher, als wenn man sich einen Ablass kauft.

Doch das ist Geschichte. Heute kann man keinen Ablass mehr gegen Geld bekommen und auch die Katholische Kirche lehrt, dass die Liebe Gottes an keine Vorraussetzung gebunden ist. Andernfalls wäre ja Gott in seiner Freiheit eingeschränkt, denn er könnte uns gar nicht lieben, wenn wir es uns nicht verdient hätten. Also liebt er uns ohne Voraussetzung, daher gratis. Für Christ/innen gilt daher die Zusage Gottes: Du hast einen Wert - vorgegeben, unverfügbar, geschenkt - egal, was du leistest.

Schon der Kirchenlehrer Augustinus schrieb im 4. Jahrhundert: „Du bist ein Kind der Gnade. Wenn Gott dir die Gnade deshalb gab, weil er sie umsonst gab, so liebe ihn auch umsonst. Liebe Gott nicht um Lohn, er selbst sei dein Lohn!“

Gott hat alles gratis gemacht

So wie mit der Gnade ist es auch mit der Schöpfung: Auch die kommt „gratis“ von Gott – gratis, aber nicht umsonst. Die Jungschar vertreibt T-Shirts auf denen dieser Spruch drauf steht: „Gott hat alles gratis gemacht!“ Hier geht es um mehr, als nur darum, an die Gratuität der Schöpfung zu erinnern. Es ist auch ein konsumkritisches Statement. Der Spruch „Gott hat alles gratis gemacht“ ist eine scharfe Kritik an einer kapitalistischen Welt, in der es immer weniger Bereiche des Lebens gibt, die nicht kommerzialisiert sind und der Logik des Kapitalismus und seinem Profitstreben unterworfen sind. Schön, dass die Jungschar einer davon ist!

Gerald Faschingeder