„Ich bin aus Erde gemacht“

Gedanken über die Schöpfung nach Dorothee Sölle

Wenn wir die Schöpfung, all die Lebewesen, Tiere und Pflanzen betrachten, fällt auf, dass der Mensch „anders“ ist. Er ist, wie alles was Leben in sich trägt, eingebunden in den Zyklus von Tag und Nacht und kann an sich Entwicklungen (sichtbare wie das Wachsen der Haare und unsichtbare wie die zunehmende Eigenständigkeit) beobachten. Aber wie kein anderes Lebewesen hat er die Möglichkeit, das Umfeld nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten, sich über die Schöpfung zu stellen.

Cooperator Dei – Der Mensch als Mitschöpfer

Die besondere Stellung und Würde des Menschen zeigt sich nach Dorothee Sölle darin, dass er die Freiheit und die Befähigung hat, die Schöpfung zu formen. Pflanzen durchdringen das Erdreich mit ihren Wurzeln, Tiere bauen Nester und Höhlen – der Mensch aber kann sich unabhängig von seinen Instinkten entscheiden, was er tut und lässt. Für ihn geht es nicht ums bloße Überleben, sondern um eine möglichst genussvolle und leidfreie Gestaltung des Lebens. Durch technische Entwicklungen und Fortschritt ist der Mensch nicht mehr so stark wie früher von der Schöpfung abhängig: Die Errungenschaften, die dem Menschen das Leben erleichtern sollen (gemauerte Gebäude, Handel mit Lebensmitteln, …) haben die Distanz zwischen dem Menschen und der übrigen Schöpfung (Tiere, Pflanzen, Erde) vergrößert.

Der Auftrag des Menschen ist, nach Genesis 1, über die Erde zu herrschen, sie sich zu unterwerfen. Leicht kann man daraus ein ausbeuterisches Verhältnis ableiten. Bei den im Hebräischen verwendeten Vokabeln ist die Verantwortung, die der Mensch der restlichen Schöpfung gegenüber hat, viel deutlicher als die Einheitsübersetzung es wiedergibt. Der Mensch hat einen „Gärtnerauftrag“, er soll alles Geschaffene gestalten und für sich nützen, aber nicht ausnützen.

Unser Verhältnis zur Schöpfung, als Menschen im 21. Jahrhundert in Europa lebend, ist recht jung. Auf jene, die den Großteil ihrer Nahrungsmittel selbst anbauen oder weniger distanzbringenden Schutz haben (technologische Kleidung, betonierte Flächen, …), kann das Wetter größere negative Auswirkungen haben als auf uns. Die schicksalhafte Abhängigkeit von „dem um und über uns“ haben wir so weit wie möglich reduziert.

Um in einer lebendigen und gestalterischen Beziehung zur Schöpfung zu stehen, braucht es ein Bewusstsein um die eigene Verantwortung gegenüber der Erde und den anderen Menschen. Eine innere Verbundenheit, eine grundsätzlich bejahende Haltung zur Schöpfung ist, nach Dorothee Sölle, nur möglich, wenn wir an ihr teilhaben, in und an der Schöpfung tätig, Mitschöpferinnen sind. „Cooperator Dei“ ist der Mensch, der sich seiner Verantwortung bewusst ist und der Welt durch sein Handeln zu mehr Leben verhilft.

„Die Erde gehört nicht den Menschen, der Mensch gehört der Erde“ (Dorothee Sölle)

Die Leiblichkeit des Menschen (ohne lebendigem Körper kann niemand existieren) und seine gesellschaftliche Verwobenheit (allein um geboren zu werden, braucht es andere Menschen) machen deutlich, dass der Mensch in vielerlei Abhängigkeiten steht. Er ist ein soziales Wesen und an diese Welt gebunden: Die auf- und untergehende Sonne sowie die Rohstoffe braucht der Mensch, um existieren zu können. Immer wieder versuchen Menschen, gegen diese Abhängigkeiten anzukämpfen und versuchen ein System zu schaffen, in dem sie alleine bestimmen können.

Die schon vorher erwähnte größer gewordene Distanz zur Schöpfung bringt auch eine größere Distanz zu den anderen Menschen mit sich. Ein Wirtschaftssystem beispielsweise, das sich nicht an den Bedürfnissen aller Menschen orientiert, kann nicht anders als zu Lasten der Armen und der Natur zu gehen. Ein solches hierarchisches System hat nicht mehr die Schöpfung als das lebensnotwendige schenkende Gegenüber, sondern sieht sie als bloßes Objekt für die eigene Bedürfnisbefriedigung. Diese Verobjektivierung bezieht sich nicht nur auf die Schöpfung als ausbeutbare Natur, sie schließt auch jene Menschen mit ein, die eine untergeordnete Rolle in diesem System spielen. Das Verhältnis von geben und nehmen ist nicht mehr im Gleichgewicht und somit positioniert sich der Mensch außerhalb der Schöpfung. Die eigene Geschöpflichkeit und Verantwortung gegenüber dem Gesamthaushalt der Schöpfung wird vergessen.

Die Frage, wem die Erde gehört, beantwortet die Bibel eindeutig: Die Erde gehört Gott (Psalm 24). Nach dem befreiungstheologischen Ansatz gehört sie, wenn sie überhaupt Menschen gehören kann, nicht denen, die Geld haben sondern denen, die sie bearbeiten. In Ländern des Südens herrscht oft ein großes Ungleichgewicht: Wenige Reiche besitzen viel Land, das Arme für nicht angemessene Bezahlung bearbeiten. Hier macht die Befreiungstheologie deutlich, dass sich Besitz nicht aus Geld und Macht begründen kann, sondern aus Arbeit und Notwendigkeit. Also jenen, die das Land nutzen und damit ihr Überleben sichern, sollte es eigentlich auch gehören.

Nach Sölle mündet eine leibliche wie spirituelle Verbundenheit mit der Schöpfung ohne Umwege in den Widerstand gegen die Zerstörung der Natur. Wer sich als Teil der Schöpfung weiß und in der Natur ein geistvolles Du sieht, kann nicht ruhig bleiben, wenn das kostbare Erdöl in der Plastikherstellung vergeudet wird, der Waldbestand drastisch verkleinert wird und zahlreiche Pflanzen- und Tierarten aussterben.

Der Mensch, der sich als Verantwortung tragender Teil der Schöpfung sieht, wird auch ihren Rhythmus mitvollziehen. Konkret heißt das auch, die tägliche Routine regelmäßig zu unterbrechen, die Arbeit ruhen zu lassen und zu feiern. Dorothee Sölle spricht vom Sabbat als dem „Höhepunkt der Schöpfung“ (vgl. Schöpfungsbericht Gen 1: Gott ruhte am siebenten Tag).

Staunen

Das Verhältnis des Menschen zur Schöpfung, so stellt Sölle fest, ist beeinflusst vom Bild des Menschen von Gott. Schon sehr früh in der Geschichte wurden hinter Naturgewalten Gottheiten gesehen, die der Mensch beeinflussen kann (Tänze um Regen, Trommeln um  Stürme zu vertreiben, ...). Das jeweilige Bild, das die Menschen von Gott hatten war eng verknüpft mit Geschehnissen der Natur (ein Mächtiger, den wir besänftigen müssen um überleben zu können/ein Liebevoller, der uns reiche Ernte geschenkt hat). Durch die Anrufung der übernatürlichen Gewalt sollte etwas passieren, oder gerade nicht passieren – sie diente jedenfalls der bewussten Gestaltung der Schöpfung. Die Natur als geistvolles Gegenüber wird zum Ort der Gotteserkenntnis.

Auch wir können in der Natur etwas von Gott entdecken. Der „erste“ (weil unmittelbarste) Weg geht über die Sinne. Angesichts der Ästhetik, die uns im Betrachten der vielfältigen Schöpfung entgegentritt, kann der Mensch nur Staunen. Die Erfahrung des Staunens macht unweigerlich deutlich, dass der Mensch nicht alles kann. Er übersteigt sich selbst in dem Gedanken an den, der allein über die Schöpfung verfügt. Für Sölle schlägt die Schöpfungstheologie so die Brücke zur Mystik. Das Staunen hat zweierlei Folgen: Lob und Widerstand. Angesichts der Schöpfung als lebendiges Du, geistvolles Gegenüber, dem wir in Liebe verbunden sind, ist der Weg zum Lob der Schöpfung nicht weit (das Lob der Schöpfung kann als Ziel von Sölles Schöpfungstheologie benannt werden). Aber wir können uns an der Schönheit der Schöpfung nicht einfach nur berauschen, ohne ihr Klagen wahrzunehmen. Ein Sonnenuntergang ist ohne Gedanken an die katastrophale Zerstörung der Atmosphäre nicht mehr denkbar, ebenso wie das Schwimmen im Meer oder Fischessen ohne die folgenreichen Öl-Unfälle. Schöpfungsgemäße Frömmigkeit mündet also in eine Praxis des Widerstandes, weil die Verantwortung, die der/die Einzelne hat, deutlich wird. Die Schöpfung bedarf unserer Solidarität – genau wie unsere Mitmenschen.

Sabine Kräutelhofer
mit Gedanken aus der Diplomarbeit von Magdalena Schwarz