L´art pour l´art?

Wie kann Kunst ungehorsam sein, sich auflehnen, Gesellschaft verändern?

Aus dem Französischen übersetzt heißt das „Die Kunst um der Kunst willen“. Das soll heißen, dass die Kunst von ihrer Instrumentalisierung durch Kirche, Staat, Moralvorstellungen frei gemacht werden soll, und nur um ihrer eigenen Willen existieren soll. Die Kunst soll ihre Daseinsberechtigung durch ihre reine Existenz haben und nicht, weil sie eigentlich andere Botschaften für Instanzen wie die Kirche oder den Staat vermitteln soll. „L´art pour l´art“ heißt also, Kunst soll keinen politischen Auftrag haben, sie soll nicht instrumentalisiert werden, sondern einfach für sich bestehen.

Trotzdem hat für mich die Kunst aber einen starken politischen Charakter, und kann viel Potential zum Ungehorsam in sich tragen. Mit vielen Themen hätte sich die Gesellschaft wohl nie auseinandergesetzt, hätte es nicht mutige Künstler/innen gegeben, die sich mit Tabus, Moralvorstellungen und vorherrschenden Überzeugungen in ihrer Arbeit auseinandergesetzt.

Im folgenden möchte ich einige Künstler/innen nennen, die Kunst nicht nur um der Kunst willen betreiben, sondern auch mit ihren Überzeugungen, und dafür auch immer wieder ihr Leben und ihre Freiheit riskierten.

Francisco de Goya (1746-1828)

Anfangs war er Hofmaler, und malte die adeligen Familien mit einem starken Realismus, der für solche Werke und zu solch einer Zeit sehr ungewöhnlich war. Ein Kritiker aus der damaligen Zeit äußerte sich zu einem Werk über das königliche Ehepaar, der König und seine Frau: „[…] sehen aus wie ein Bäcker und seine Gemahlin nach einem Lotteriegewinn.“ Goya ließ sich hier nicht beirren und folgte seinem Stil, was damals nicht ganz ungefährlich sein konnte. Außerdem zog er sich immer mehr vom Hof zurück und begann, die Gräueltaten der napoleonischen Herrschaft und dem Unabhängigkeitskrieg der spanischen Bevölkerung malerisch zu dokumentieren. Aber nicht nur hier bewies er Mut, indem er diese schrecklichen Szenen festhielt. Er war außerdem der erste Maler Spaniens, der eine nackte Frau mit ihrer Schambehaarung darstellte („Die nackte Maya“). Für dieses Bild musste er sich vor der gefürchteten spanischen Inquisition rechtfertigen, und überlebte es, was zu dieser Zeit eher ungewöhnlich war. Zeit seines Lebens war er ein kritischer Geist, der dies auch in seinen Werken festhielt, was auch immer wieder sehr gefährlich für ihn werden konnte.

Pablo Picasso (1881-1973)

Auch dieser große spanische Maler des 20. Jahrhundert erlebte einen spanischen Bürgerkrieg. Ein wichtiges Werk in dieser Hinsicht ist das Bild „Guernica“, das er für die Weltausstellung 1900 malte. Anfangs wollte er etwas anderes malen, doch der Luftangriff auf die spanische Stadt Gernika ließ ihn dieses monumentale Werk in den Ausmaßen 349 x 777 cm (das sind ca. 27 m2) schaffen. In dem Bild bildet er das Leiden im Krieg ab. Generell ist dieses Bild sehr beeindruckend, einerseits wegen seiner unglaublichen Größe, andererseits aufgrund der grausamen Szenen, die es darstellt.

Picasso war von diesen Erlebnissen sehr geprägt und malte auch viele Bilder zum Thema Frieden. Zum Beispiel nahm er das Bild der Friedenstaube und gestaltete sie neu für einen Friedenskongress 1949 in Frankreich. Diese Taube wurde sofort weiter rezipiert, und ist im Allgemeinen zu dem Bild geworden, das jede/r von der Friedenstaube hat.

Wiener Aktionismus

Diese Kunstrichtung entstand in Wien nach dem zweiten Weltkrieg und war eine Kunst „um die Kunst zu verlassen“. Vertreter/innen waren Günther Brus, Otto Mühl, Hermann Nitsch oder VALI EXPORT.
Besonders interessant finde ich hier VALI EXPORT. Sie hat als Frau gegen viele damalig vorherrschenden gesellschaftlichen Tabus revoltiert, besonders hinsichtlich sexueller Freiheit und Emanzipation der Frauen.

Besonders bekannt wurde sie durch ihre Straßenperformance, das „Tapp- und Tastkino“. Sie schnallte sich eine Box über den Oberkörper, vorne war die Box offen und mit einem Tuch verhangen. Für ein paar Minuten durfte man hineingreifen, ihr Brustbereich war enthüllt. Das Prinzip folgte dem einer Peepshow. Ein anderes Mal ging sie mit einem halbnackten Mann an der Leine, wie mit einem Hund, durch die Wiener Innenstadt spazieren.

Sie wehrte sich stark gegen das vorherrschende Patriachat. Unter anderem schreibt sie deswegen auch ihren Namen in Großbuchstaben, da es ihr wichtig ist, dass Frauen gesehen werden, und nicht in einer männerdominierten Welt untergehen.

Ai Weiwei (1957)

„Provokante Menschen wie Ai Weiwei muss man im Zaum halten“ sagte der Sprecher Hong Wei des chinesischen Außenministeriums.

Weiwei ist ein Konzeptkünstler, das heißt er verwendet verschiedenste Materialien wie Film, Architektur, Bildhauerei für seine Kunst und beschreibt damit die Missstände in China. Ein bekanntes Werk ist eine Schultaschenskulptur, sie ist in China verboten, und Bilder davon dürfen nicht ins Internet gestellt werden. Seine Skulpturen, haben immer auch eine kommunikative Ebene. Hier lässt er aus bunten Schultaschen den chinesischen Schriftzug: „Sie lebte sieben Jahre lang glücklich auf dieser Ebene.“ Entstehen. Das schrieb eine Mutter über ihr Kind, das bei einem Erdbeben ums Leben kam. Ai Weiwei  fertigte dieses Werk an, um darauf aufmerksam zu machen, dass über 5000 Kinder bei einem Erdbeben starben, weil korrupte Funktionäre und Unternehmer minderwertige Materialien für den Bau von Schulen in der Provinz Sichuan verwendeten.

Dafür riskiert er sein Leben und seine Freiheit. Erst 2011 war er monatelang inhaftiert, einiger seiner engen Mitarbeiter/innen verschwanden plötzlich und seiner Frau wurde ein Redeverbot auferlegt. Und das alles „nur“ wegen eines Künstlers und seinen Werken. Auch wenn er immer wieder seine Freiheit riskiert, wird er sich wohl nie den Mund verbieten lassen.

Parastou Forouhar (1962)

Auch diese Iranerin ist Konzeptkünstlerin. Sie beschäftigt sich vor allem mit Fotografie, und nimmt sich besonders um die Frauen und die Menschenrechte im Iran an. Sie selbst lebt in Frankfurt, ist aber besonders betroffen von den Repressalien ihres Heimatstaates, ihre Eltern, wichtige Oppositionspolitiker/innen, wurden vom Geheimdienst ermordet.

Darum ist es kaum verwunderlich, dass ihre Themen meist Gewalt und Folter sind. Sie versteckt diese Bilder in wunderschönen Ornamenten, die oft einen ganzen Raum ausfüllen. Erst bei genauerer Betrachtung sieht man, welche grauenhaften Bilder sich in diesen wundervollen Ornamenten, in der Struktur und Harmonie finden.

Ihre Werke sind sehr abwechslungsreich und beschäftigen sich immer mit hochpolitischen Themen. Sie wurde bereits im Iran festgehalten, sie wurde festgenommen, als sie zurück nach Deutschland fliegen wollte, nachdem sie am Todestag ihrer Eltern den Iran besucht hatte.
Mittlerweile ist sie wieder frei. Doch sie will auch weiterhin dafür eintreten, dass der Mord an ihren Eltern endlich aufgeklärt wird.

Kathi Bereis