Egal ob in der Schulklasse, im Computer-Kurs oder in der JS-Gruppe, in jeder Gruppe übernehmen die Mitglieder recht schnell bestimmte Rollen oder bekommen diese von anderen zugeschrieben. Welche Arten von Rollen es gibt, wann & wieso eine bestimmte Rollenverteilung bedenklich werden kann und was du in der JS-Gruppe vielleicht schon vorbeugend dagegen tun kannst, soll dieser Artikel ein wenig näher beleuchten.
Alles kommt ins Rollen...
Wenn die ersten Wochen einer Gruppe vorüber sind, hat sich in den Köpfen von uns meist schon ein recht genaues Bild der Gruppenmitglieder breitgemacht. Der Joschi ist der, der immer zu spät kommt, die Claudia kann am schnellsten rennen, der Thomas heult ziemlich schnell und die Lilli ist immer guter Laune. Dabei spielen auch die Bilder in unseren Köpfen, wie Mädchen und Buben sind, was sie tun können oder sollen, eine große Rolle.
Am Anfang, wenn wir uns in einer Gruppe noch nicht so zu Hause fühlen, halten wir uns ganz gerne an "Klischeevorstellungen" von anderen fest. Zunächst einmal sind diese Bilder hilfreich, weil sie uns in einer neuen, angespannten Situation Sicherheit geben können - nicht anders wird es auch dir und deinen Kindern in der JS-Gruppe ergehen oder - wenn ihr schon länger eine Gruppe seid - ergangen sein.
Wenn Rollen festgefahren sind
Problematisch können diese Bilder für die betroffenen Gruppenmitglieder werden, wenn sie so fix sind, dass den Kindern keine Möglichkeit mehr offen bleibt, anders zu handeln oder anderes zu tun.
Zum einen geht es da um die "Der/die tut das immer"-Falle. Dabei wird Kindern ein bestimmtes Verhalten zugeschrieben oder "Aufgaben" übertragen, wobei erwartet wird, dass sie das auch noch weitere 3-4 Jungschar-Jahre tun werden. Doch vielleicht macht es dem Kind, das auf Witze programmiert ist, nicht immer Spaß, lustig zu sein, vielleicht hätte der "Na-der-wird-jetzt-gleich-wieder-heulen-Knabe" auch ganz andere Verhaltensweisen auf Lager und die "süße Kleine", die immer freiwillig abwäscht, würde vielleicht gerne einmal darauf pfeifen und lieber draußen mit den anderen herumtoben.
Zum anderen ist dabei die Position oder Rangordnung, die Kinder in der JS-Gruppe immer wieder einnehmen, von Bedeutung. Im Fachchinesisch unterscheidet man in Gruppen u.a. zwei extreme Positionen: "Alphas" - die Anführer/innen, die im Mittelpunkt stehen, etwas am besten können oder sich am besten auskennen und "Omegas" - die am Rand stehen, etwas am schlechtesten können oder Außenseiter/innen sind.
Wenn Kinder ständig eine Position oder "Aufgabe" übernehmen müssen und ihnen eine Rolle fix zugeschrieben wird, dann geht ihnen irgendwann die Möglichkeit verloren, in der Gruppe andere Seiten von sich zu zeigen oder anderes auszuprobieren.
Im Idealfall
...sollten in einer Gruppe alle Kinder das machen können, was sie auch machen wollen. Einmal laut sein, einmal im Hintergrund bleiben, einmal grantig und einmal besonders witzig sein - die Möglichkeit, Rollen zu wechseln, gibt auch eine gewisse Garantie dafür, dass nicht immer die gleichen zwei, drei Kinder die Alpha-Position übernehmen und die Aufmerksamkeit im Mittelpunkt der Gruppe genießen können - und dass es nicht immer die gleichen Kinder sind, die am Rand der Gruppe stehen und im Laufe der Zeit dann womöglich auf die Außenseiter/innen-Rolle festgelegt werden.
Ganz so einfach ist das in der Realität natürlich nicht - was kann ich also tun, um diesen festgeschriebenen Rollen vorzubeugen oder entgegenzusteuern?
Was tun?
Zuallererst: Indem du diesen Artikel liest, ist der erste Schritt schon getan - denn dadurch, dass du dich mit dem Problem auseinandersetzt, verändert sich mit Sicherheit auch dein Blick auf deine Gruppe.
Darüber hinaus:
Wenn die Kinder in deiner Gruppe mitbekommen, dass du sie ernst nimmst und dass sie von dir unabhängig von ihren Fähigkeiten, ihren Stärken oder Schwächen geschätzt werden, dann ist das für sie eine grundlegende Erfahrung, die es ihnen ermöglicht, sich zu(zu)trauen, in der Gruppe verschiedene Facetten von sich selbst einzubringen. Wenn du deine Kinder oder Kids schon recht lange kennst, kannst du dir einmal die Frage stellen, ob du vorbereitet bist, auch neue Seiten an ihnen zu entdecken und in dein Bild von ihnen aufzunehmen. Diese Offenheit färbt übrigens - in kleinerem oder größerem Maße - auch auf die Kinder deiner Gruppe und ihren Umgang miteinander ab!
Eine ganz konkrete Möglichkeit, die vielleicht sehr simpel erscheint, aber große Wirkung haben kann: Versuche den Kindern in den Gruppenstunden möglichst abwechslungsreiches Programm anzubieten - Gruppenstunden, in denen einmal Reden & Diskutieren an vorderster Stelle steht, einmal Ball-Schießen oder Rennen, Blödeln, schnelles Denken, Kreativ-Sein u.v.m. Abwechslungsreiches Programm erhöht die Chance, dass möglichst alle Kinder mit ihren Fähigkeiten & Wünschen in der JS-Gruppe Platz haben und über die bekannten Bilder der anderen hinaus die Möglichkeit bekommen, neue Seiten an sich und anderen zu entdecken. Wenn in der Stunde hauptsächlich Fußball gespielt wird, sind schnell die nicht so Geschickten oder Fußballbegeisterten im Out, wird nur gebastelt, dann sind bald die Kinder, die nicht gerne lange ruhig sitzen wollen oder denen Basteln keinen Spaß macht, die Störenfriede. Gibt es bei den Spielen auch noch die Möglichkeit zu verlieren oder zu siegen, dann kann es bald passieren, dass die Kinder, die bei diesen Spielen nicht so gut sind, nach einiger Zeit am Rand der Gruppe sein - oder vielleicht auch gar nicht mehr kommen werden.
Lust auf ein Experiment?
Lass doch einmal in der einen oder anderen Gruppenstunde kurz einen Blick über die Gruppe schweifen und gönn dir dann nach der Stunde ein paar Minuten Zeit um zu überlegen, was in deiner Erinnerung haften geblieben ist: Bestimmen immer dieselben Kinder, was in der Gruppenstunde getan wird? Wer steht im Mittelpunkt, wer eher am Rand der Gruppe? Kommt der Satz "der/die ist immer..." häufig vor? Fallen dir beim Schreiben der Anwesenheitsliste Kinder besonders schnell ein, hast du vielleicht auf ein Kind vergessen? Fallen dir zu jedem Kind viele, wenige, hauptsächlich positive oder mehr negative Eigenschaften und Fähigkeiten ein?
Diese Erinnerungen können dir helfen, festen Rollenzuschreibungen oder Positionen in der Gruppe auf die Schliche zu kommen. Ein kurzer Blick auf die Themen und Spiele in den letzten Jungscharwochen zeigen dir auch, ob die Palette an Dingen, die die Kinder in den Gruppenstunden tun können, eher ausgewogen oder so-oder-so-lastig ist & eine Gruppe von Kindern bevorzugt bzw. die Interessen anderer weniger berücksichtigt.
Und überhaupt ist alles ganz anders.
Heißt das jetzt, dass im besten Fall alle Kinder in abwechselnder Reihenfolge alle Rollen übernehmen wollen, sollen und müssen? Natürlich nicht - no na! Alle Kinder sind verschieden, das heißt, dass sich auch sicher nicht jedes Kind in jeder Rolle wohl fühlen würde. Kinder bringen außerdem aus ihrer Familie, aus Gruppen, in denen sie vorher waren - dem Kindergarten, der Schule, dem Eishockey-Verein - Erfahrungen mit, die ihnen ein Stück weit nahe legen, wie sie sich in einer Gruppe (nicht) verhalten können oder sollen.
Die Jungschar kann ein Ort sein, an dem es nicht darum geht, etwas am besten zu können (und dann am meisten gemocht zu werden) - sondern ein Ort, wo Kinder die Möglichkeit bekommen, Neues auszuprobieren und möglichst viele Facetten von sich selbst aus- und erleben zu können.
Dafür wünsch´ ich dir gutes Gelingen und viel Zeit & Geduld, wenn du dabei in deiner Gruppe etwas verändern möchtest!
Andrea Jakoubi
Quellen: Karin Magrutsch "Vom Haufen zur Gruppe"; Unterlagen zu den Grundkursen der KJS Wien
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