Eine Gruppe ist nicht immer gleich. Sie entwickelt sich, sie bewegt sich - und sie durchläuft dabei verschiedene Phasen. Natürlich sind diese Phasen nur ein Modell, um sehr komplexe Gruppenabläufe vereinfacht beschreiben zu können. Dieses Phasenmodell bezieht sich nicht nur auf Kindergruppen, sondern auch auf Gruppen, in denen du dich aufhältst (z.B. die Gruppenleiter/innen-Runde).
Im Folgenden werden diese Stationen, die eine Gruppe durchläuft, etwas genauer dargestellt, weil wir meinen, dass einem dieses Denkmodell helfen kann, viele Verhaltensweisen einer Gruppe besser zu verstehen und auch entsprechend handeln zu können - was gerade für Gruppenleiter/innen besonders interessant ist.
Als Gruppenleiter/in hast du eine besondere Stellung innerhalb der Gruppe, deshalb findest du im folgenden Artikel Anregungen, wie du dich verhalten kannst: Egal in welcher Phase sich deine Gruppe gerade befindet, die Kinder erwarten sich von dir, dass du deine Leitungsrolle (die in den einzelnen Phasen unterschiedlich aussieht) wahrnimmst.
Meist sind die einzelnen Phasen nicht deutlich voneinander abzugrenzen - sie laufen selten schön der Reihe nach ab. Gerade in Jungschargruppen ist so eine Entwicklung oft nicht so ein-fach nachzuzeichnen, da die Kinder freiwillig kommen und die Gruppen daher auch anders aussehen als z.B. eine Schulklasse, wo immer die selben Kinder täglich zusammen sein müssen. Oft kommen in einer Jungschargruppe neue Kinder dazu, andere bleiben weg - manche kommen wiederum nur recht selten.
1. Phase: "Was ist hier eigentlich los?"
Am Anfang ihres Gruppenlebens ist - salopp gesagt - jede Gruppe ein Haufen. Die Gruppenmitglieder kennen einander noch nicht (oder aus einem ganz anderen Umfeld, z.B. der Schule) - vieles ist für die Kinder neu. Bei manchen wird diese fremde Situation Neugier und Interesse, bei manchen eher Zurückhaltung oder sogar Angst auslösen. Die Reaktionen der Kinder können von schüchtern, aufmerksam gespannt, herumwieselnd, laut bis völlig durchgeknallt sein. Alle diese Verhaltensweisen haben damit zu tun, dass die Kinder versuchen, sich zu orientieren. Sie versuchen herauszufinden, welche Regeln in der Gruppe (ausgesprochen oder unausgesprochen) gelten.
Deine Aufgabe als Gruppenleiter/in wird es in dieser Phase besonders sein, den Kindern einen Rahmen zu bieten, der Sicherheit vermittelt. In dieser Situation erwarten sich die Kin-der von dir, dass du als Leiter/in der Gruppe auftrittst - auch wenn wir als Gruppenlei-ter/innen manchmal lieber Freund/innen wären bzw. selbst am Anfang Unsicherheit verspüren, wie denn das so werden wird. Deshalb ist es wichtig, dass du für dich oder mit anderen Gruppenleiter/innen immer wieder überlegst, wie dieser Rahmen aussehen soll, damit du für die Kinder besonders am Anfang Sicherheit und Ruhe ausstrahlen kannst.
Dazu gehören ganz prinzipielle Überlegungen: Was will ich mit meiner Gruppe? Was sollen meine Kinder in der Gruppe erleben? Wie sollen die Gruppenstunden aussehen? Wie schaut die Zusammenarbeit mit meiner/meinem Co-Gruppenleiter/in aus? Aber auch z.B. vorplanen, um Kindern sagen zu können, was passieren wird, vertraute Elemente, Rituale im Programm einbauen (z.B. zu Beginn und beim Abschied) und verlässlich sein (d.h. dass Angekündigtes auch stattfindet, dass du rechtzeitig da bist, dass Gruppenstunden nicht kurzfristig abgesagt werden). Innerhalb dieses Rahmens geht es darum, mit den Kindern gemeinsam Spielregeln auszuverhandeln und herauszufinden, was ihr gerne in der Gruppenstunde machen wollt.
Die bewusste Gestaltung dieser Phase der Orientierung ist gerade auch deshalb so wichtig, da sich in den ersten Gruppenstunden sogenannte Gruppennormen bilden. Einerseits kannst du bewusst Gruppennormen einführen, die du für wichtig erachtest: z.B. "Wir tun einander nicht weh!" Andererseits erwarten sich die Kinder wenn z.B. im ersten Monat nur Fußball gespielt wurde, dass in den Gruppenstunden immer Fußball gespielt wird. Je mehr sich solche Gruppennormen verfestigt haben, umso schwieriger wird es, sie zu ändern.
2. Phase: "Wir sind wir!" (oder: "Wir gehören zusammen")
Langsam kennen die Gruppenmitglieder einander ganz gut, sie wissen, wer was gerne oder ungern tut, wie die anderen in bestimmten Situationen reagieren und es haben sich einige Regeln im Miteinander-Umgehen etabliert. Bekannte Gesichter und Regeln geben Sicherheit und werden gerade jetzt auch ungern verändert. In dieser Zeit ist es der Gruppe - zeitweise - besonders wichtig, ihre Zusammengehörigkeit zu demonstrieren - oftmals auch dadurch, dass die Gruppe versucht, sich von anderen Gruppen (jüngeren Jungschargruppen, Parallelklasse) ab-zugrenzen: "Wir sind besser als..."
Das ist auch eine mögliche Tücke dieser Phase, die du als Gruppenleiter/in im Auge haben solltest: Das Gefühl, sich als "wir" vertraut und sicher zu fühlen, geht in dieser Phase oft auf Kosten unterschiedlicher Meinungen und Wünsche einzelner Gruppenmitglieder, die von der Gruppe nicht zugelassen und unterdrückt oder "bestraft" werden. Deine Aufgabe kann es in dieser Zeit sein, der Gruppe langsam und immer wieder zu vermitteln, dass ihr noch immer eine gemeinsame Gruppe seid, auch wenn jemand nicht mitspielen will, eine andere Meinung hat oder wenn ein neues Kind zur Gruppe dazukommen will. Es muss klar sein, wie demokratische Entscheidungen gefällt werden - und dass es notwendig ist, sich auf Kompromisse einzulassen.
In dieser Phase passiert's oft, dass die Gruppe immer das Gleiche tun möchte und darin versumpft. - Es ist wichtig, solche Entwicklungen rechtzeitig zu bemerken und bewusst abzufangen, indem du z.B. mit den Kindern gemeinsam die kommenden Gruppenstunden planst und auf eine abwechslungsreiche, breite Angebotsauswahl achtest oder indem du beliebte Spiele (die "Dauerrenner") in abgewandelter Form anbietest.
3. Phase: "Wir sind verschieden - und das ist gut so!"
In dieser Phase beginnen langsam die unterschiedlichen Meinungen und Wünsche der Gruppenmitglieder deutlich zu werden. Weil die Gruppe nicht mehr glaubt "daran zu zerbrechen", wenn offensichtlich wird, dass nicht alles harmonisch ist und alle einander ähnlich sind, ist es jetzt auch möglich, neue Seiten an anderen kennen zu lernen und sich mit seinen - unterschiedlichen - Fähigkeiten einzubringen.
Die Andersartigkeit der anderen (z.B. auch Vorlieben bezüglich Mode, Musik, Hobbys, Freund/innen, ...) zu entdecken kann natürlich einerseits - im wahrsten Sinne des Wortes - enttäuschend sein, weil deutlich wird, dass nicht alle das gleiche wollen und gut finden. Es treten wieder Konflikte auf, weil verschiedene Themen, Regeln und Normen der Gruppe neu "ausverhandelt" werden müssen. Andererseits kann diese Phase für die Gruppe auch sehr bereichernd und spannend sein, weil neue Rollen ausprobiert oder Eigenschaften, die in der Wir-Phase ausgeklammert werden mussten, nun in die Gruppe hineingetragen werden können.
In dieser Phase kann es passieren, dass Gruppen auseinandergehen, weil sie merken, dass ihre Interessen sehr unterschiedlich sind und das Interesse aneinander diese Unterschiede nicht aufwiegt.
Wenn die Gruppe weiter besteht, dann wird diese Phase der "Differenzierung" manchmal sehr fruchtbar, aber manchmal wird die Gruppe auch sehr ringen. Du wirst vielleicht von der Rolle des/der Leiters/in zur/m Begleiter/in der Gruppe werden. Deine Aufgabe kann es nun sein, diese Vorstellung des verantwortlichen Miteinander-Umgehens immer wieder einzubringen. Es ist wichtig, dass ihr euch Zeit nehmt, Konflikte zu lösen oder dass du immer wieder einbringst, dass verschiedene Meinungen ihren Platz haben und die Kinder dabei unterstützt, zu fairen Entscheidungen zu finden.
In dieser Phase kann es schon mal passieren, dass du dich als Gruppenleiter/in überflüssig fühlst. Dies mag zwar vielleicht ein ungewohntes Gefühl sein, das du aber zurecht mit Stolz auf die Eigenständigkeit, zu der du die Gruppe begleitet hast, auch genießen und zulassen darfst!
Durch eine neue Zusammensetzung der Gruppe kann es dazu kommen, dass sich die vorhergehenden Phasen wiederholen, bevor deine Gruppe sich verabschiedet und auflöst:
4. Phase: "Wir verabschieden uns"
Das Ende einer Gruppe ist ein Prozess, der gerne verdrängt oder hinausgeschoben wird, weil das Aufhören, die Trennung von Vertrautem Angst macht und weh tut - oft auch dann, wenn der Wunsch nach einem Schluss schon lange da ist.
Da wir, so glaube ich, in einer Gesellschaft aufwachsen, die das Abschied-Nehmen und Beenden nicht besonders zu zelebrieren und zu akzeptieren weiß, kann es sehr ungewohnt sein, sich diesem Prozess bewusst zu widmen und das Ende einer Gruppe bewusst wahrzunehmen. Sehr oft lösen sich einfach Gruppen langsam auf, was dazu führen kann, dass die, die gehen, Schuldgefühle haben und die, die noch bleiben, sich im Stich gelassen fühlen.
Deine Aufgabe als Gruppenleiter/in sollte es in dieser Phase sein, sich dem Gedanken an den Abschied zu stellen, die Gruppe rechtzeitig darauf vorzubereiten und mit den Gruppenmitgliedern den Abschied zu planen. Dadurch kannst du ihnen ermöglichen, das Ende - trotz aller Wehmut - positiv zu erleben und den Schluss mitgestalten zu können. Ideen für den Abschied einer Gruppe bekommst du im Jungscharbüro!
Wenn du dir einmal mehr Gedanken machten möchtest, wie sich deine Gruppe gerade entwickelt, kannst du dir in einer ruhigen Stunde die Antworten zu den folgenden Fragen überlegen. Im Vordergrund stehen dabei nicht die Inhalte deiner Gruppenstunden (also welche Spiele ihr gespielt oder welche thematischen Gruppenstunden stattgefunden haben), sondern die Prozesse, die in deiner Gruppe abgelaufen sind.
- Was hat sich seit dem letzten Herbst in deiner Gruppe getan?
- Haben sich Dinge seither verändert? Welche?
- Was hat dir gut gefallen bzw. was läuft weniger gut?
(z.B. Wer bestimmt, welches Spiel ihr spielt? Wie werden Konflikte gelöst? Welche Ritu-ale gibt es?)
- Worauf führst du zurück, dass es gut bzw. weniger gut gelaufen ist?
- Was möchtest du verändern? Wie schauen diese Veränderungen konkret aus?
Jutta Niedermayer