Vorbild, Ansehen, Gültigkeit
Meine Musikprofessorin hatte es nicht leicht mit uns: Wir haben ihr kaum zugehört, während des Unterrichts flogen Papierflieger durch die Klasse oder wir haben Hausübungen für andere Fächer geschrieben. Ganz anders in Geschichte: Da war es immer mucksmäuschenstill im Raum, denn schon fürs Flüstern gab es eine Strafe oder zumindest eine harte Rüge. Wieder anders im Englisch-Unterricht: Da waren wir meist recht aufmerksam, obwohl der Professor in all den Jahren kaum einmal laut wurde oder gar Strafaufgaben verteilte.
Wahrscheinlich könntest auch du ähnliche Erfahrungen erzählen: Manche Lehrer/innen haben Autorität, andere weniger.
Autorität - auctoritas
Der Begriff Autorität leitet sich vom lateinischen Wort auctoritas ab, das "Vorbild, Ansehen, Gültigkeit, Glaubwürdigkeit" bedeutet. Wer positive Autorität hat, genießt also Ansehen und ist ein Vorbild, was er oder sie sagt, hat Gültigkeit. Wir verbinden heute mit Autorität meist sowohl positive als auch negative Dinge. Einerseits wollen wir, dass die Kinder uns zuhören und ernst nehmen. Auf der anderen Seite lehnen wir Autorität, die uns entgegen tritt, oft ab und wollen selbst nicht autoritär sein. Aber: Wichtig ist, dabei auseinander zu halten: Autoritär bezeichnet einen Erziehungs- oder Leitungsstil, der Folgsamkeit fordert, ohne den Kindern Mitbestimmung zu ermöglichen, es geht dabei also zwar um Gültigkeit, nicht aber um Glaubwürdigkeit - das ist also eine negative Form von Autorität.
Woher kommt aber nun Autorität?
Vom Polizisten…
Wenn am Straßenrand ein Polizist steht, werden die vorbeifahrenden Autos langsamer, die Fahrer/innen halten sich genau an die Verkehrsvorschriften, denn ein Polizist hat Autorität aufgrund seines Amtes. Damit das auch in heiklen oder gefährlichen Situationen für alle sofort erkennbar ist, trägt er eine Uniform. Auch du als Gruppenleiter/in hast Autorität aufgrund deiner Funktion, ohne dafür erst mal etwas tun zu müssen. Damit ist aber natürlich auch Verantwortung verbunden: Die Kinder erwarten sich etwa, dass du interessantes Programm vorbereitest, dich um alle kümmerst und bei Entscheidungen ihre Anliegen fair berücksichtigst.
Es reicht aber nicht, sich auf das Amt zu berufen, um Autorität zu haben - ganz wichtig ist dabei die oben erwähnte Glaubwürdigkeit. Wenn im ganzen Ort bekannt ist, dass der Polizist nicht darauf achtet, ob jemand zu schnell fährt, werden bald alle Autos an ihm vorbei flitzen, ohne sich um ihn zu kümmern. Wenn du ständig unvorbereitet in die Gruppenstunde kommst, wenn du die Anliegen der Kinder nicht ernst nimmst, dann wird trotz deiner Funktion deine Glaubwürdigkeit darunter leiden.
der Ärztin…
Wenn ich krank bin, gehe ich zu meiner Ärztin, weil ich darauf vertraue, dass sie weiß, wie ich möglichst schnell wieder gesund werde. Deine Kinder vertrauen auch auf deine Kompetenz und dein Wissen, denn du kennst neue lustige Spiele, weißt zum Beispiel, wie man Drachen bastelt, und kennst dich im Pfarrheim gut aus. Nicht zuletzt hast du auch aufgrund deines Alters einen gewissen "Kompetenz-Vorsprung", denn du hast schon mehr gelernt und hast mehr Lebenserfahrung. Anders als in der Schule geht es in der Jungschar aber nicht in erster Linie um Wissensvermittlung, sondern darum, in der Gruppe miteinander Spaß zu haben und gut und fair miteinander umzugehen.
Deshalb spielt auch die dritte Form von Autorität eine besonders große Rolle.
und Persönlichkeiten
Vielleicht fallen auch dir Leute ein, die aufgrund ihrer Persönlichkeit wirken und dafür kein besonderes Amt haben oder ihr Fachwissen unter Beweis stellen müssen. Es geht dabei um Glaubwürdigkeit im engeren Sinn: Wer ist würdig, dass ihm oder ihr geglaubt wird?
Diese Art von Autorität ist für dich in deinem Umgang mit Kindern schlussendlich entscheidend. Weil es dabei um persönliche Reife geht, ist es eine große Herausforderung. Diese Form der Autorität kann eben nicht einfach gelernt oder mit einem Amt oder Wissen miterworben werden, sondern verlangt einige persönliche Grundvoraussetzungen: Echtheit und Wertschätzung sind wohl die wichtigsten beiden Voraussetzungen.
Echtheit meint, dass Denken, Reden und Handeln glaubwürdig zusammenpassen und nicht widersprüchlich sind. Wenn ich mit gelangweiltem Gesicht behaupte, dass mich das, was mein Gegenüber gerade erzählt, sehr interessiert, ist das nicht echt. Ich musste in meiner Jungschargruppe selbst oft die Erfahrung machen, wie groß das Gespür von Kindern für diese Echtheit ist. Ich habe etwa einige Zeit gebraucht, um zu merken, dass Gruppenstunden meist dann nicht geklappt haben, wenn ich selbst nicht vom Thema oder den Methoden überzeugt war. Dann haben meine Kinder schnell das Interesse verloren und sich andere Beschäftigungen gesucht.
Echtheit bedeutet, dass ich natürlich auch mal unangenehme Dinge tun oder sagen muss, um ehrlich zu bleiben. Es ist schlicht nicht richtig, dass ich für meine Kinder "immer da" bin. Manchmal habe ich keine Zeit oder bin mit meinen Gedanken wo anders. Dann ist es ehrlicher und glaubwürdiger, das auch zu sagen, als etwas vorzutäuschen. Wenn ich gerade mit gestresstem Blick herumhetze, ist es also allemal besser zu sagen "Du, ich muss das jetzt schnell fertig machen, weil die Gruppenstunde gleich beginnt. Ist es für dich okay, wenn wir nach der Stunde drüber reden?", als mit nur einem Ohr zuzuhören.
Wertschätzung ist mit Echtheit untrennbar verbunden. Im eben genannten Beispiel erfährt das Kind, dass du seinen Wunsch ernst nimmst, also es als Person wert schätzt - auch wenn sein Wunsch nicht gleich erfüllbar ist. Ganz wichtig ist, dass Wertschätzung nicht an Bedingungen geknüpft ist. Die Kinder müssen spüren, dass du sie magst, egal was sie tun, auch wenn sie einmal einen schlechten Tag haben oder gerade nicht brav sind und zuhören. Das wird für die Kinder spürbar, wenn du sie anerkennst ("Es ist schön, dass du da bist!"), Interesse an ihnen zeigst ("Du hast doch letzte Woche Schularbeit gehabt, oder? Wie ging´s dir denn?"), ihre Meinung ernst nimmst ("Wenn euch das nicht interessiert, wollt ihr lieber etwas anderes machen?"), dich um sie sorgst ("Hast du dir wehgetan? Brauchst du was von mir?").
Zum Schluss will ich auf meine anfangs erwähnten Lehrer/innen zurückkommen, denn von allen von ihnen kann man viel für den Umgang mit Kindern lernen. Man kann (und soll) nicht vermeiden, dass Kinder manchmal laut sind und Papierflieger schießen. Aber mit der richtigen Portion Wertschätzung füreinander ist es sicher möglich, das Zusammensein für dich und die Kinder angenehm zu gestalten. Nicht gut ist es aber, sich nur auf sein Amt zu berufen und die Macht, die man dadurch hat, auszunützen. Kinder brauchen keine Strafen, kein Schimpfen und kein Schreien. Kinder brauchen glaubwürdige Erwachsene, die klar mit ihnen reden, wenn Grenzen überschritten wurden, ihnen dabei aber immer erklären, warum was nicht möglich ist, und sie trotz des Konfliktes ernst nehmen und mögen. Dann müssen die Erwachsenen auch nicht perfekt sein. Mit meinem Englischprofessor bin ich oft zusammengekracht, aber schlussendlich war er am meisten Vorbild, hatte das, was ich von ihm gelernt habe, am meisten Gültigkeit. Wahrscheinlich gerade deshalb, weil ich mit ihm zusammenkrachen konnte und durfte.
Christine Anhammer