Reisen und Lernen im globalen Süden: Sechs "Blitzlichter"

Wir haben sechs Menschen, die im Rahmen eines sogenannten Freiwilligeneinsatzes mehrere Wochen oder Monate im globalen Süden verbracht haben, nach ihren Erfahrungen gefragt. Wir wollten wissen, was die Personen zu ihrem Auslandsaufenthalt bewogen hat, was sie dabei gelernt haben und was sie zum Nachdenken über einen Freiwilligeneinsatz mitgeben möchten. Die Antworten sind vielfältig und spannend ausgefallen.
 

DANIEL DRABEK

Pfarre: Hildegard Burjan

Wo warst du wann? DKA-LernEinsatz in Ghana, im August 2015

Was war deine Motivation für einen LernEinsatz?

Ich spielte schon seit längerem mit dem Gedanken nach Afrika zu reisen, jedoch hat mich eine reine Schaufenster-Tourist/innenreise abgeschreckt. Durch den LernEinsatz und dessen perfekte Organisation, bekommt man ein abgestimmtes Programm, um in Kombination Land und Leute wirklich kennenzulernen. Gerade in diesen südlichen Reisezielen, die sich in vielen Bereichen von unserer gewohnten Umgebung unterscheiden, ist eine Organisation, die die Planung vor Ort und in der Vorbereitung übernimmt, besonders nützlich. Auch, wie ich den Rest der angemeldeten Reisegruppe vorab an einem der Vorbereitungstage das erste Mal sah, hat sich schließlich nur noch Vorfreude ausgebreitet und ich konnte es kaum erwarten, dass es losging.

Was hast du im Rahmen der Lernreise gelernt und für dich mitgenommen?

Der LernEinsatz ermöglichte mir, in direktem Kontakt mit Einheimischen zu treten, deren Lebensweise im Alltag, sowie Projekte die von Österreich aus unterstütz werden, und die Natur, die sie umgibt und mit der sie arbeiten, kennenzulernen. Es war eine sehr bedeutende Erfahrung, die mein gewohntes Leben in Europa, durch Reflektion und Horizonterweiterung, maßgeblich bereichert hat. Schließlich hat es auch dazu geführt, ein eigenes Projekt gemeinsam mit Einheimischen aus Ghana zu starten, um den Austausch weiterhin aufrecht zu erhalten und gleichzeitig etwas Gutes nicht nur für Afrika oder Europa, sondern der ganzen Welt zu tun (TreeHood.org).

Was magst du Interessierten an einem LernEinsatz mitgeben?

Wer etwas Zeit in seiner derzeitigen Lebensplanung freilegen kann, wird mit einem Freiwilligeneinsatz eine Erfahrung machen, die lebensbereichernder nicht sein kann. Die Eindrücke von außen während dieser Zeit werden genauso wichtige Erkenntnisse bringen, wie sein eigenes Verhalten durch das Meistern dieser neuen Situationen. Zu beachten gilt, diese Erfahrungen zu akzeptieren und außerhalb der gewohnten Komfortzone seine Augen und sein Herz offen zu halten, denn dann kann man innerlich wachsen und seinen geistigen Überblick größer und größer werden lassen.
 

ISABELLA TENNI

Pfarre: Stadlau

Wo warst du wann? Volontariat in Phnom Penh, Kambodscha, von September 2017 bis Juli 2018

Was war deine Motivation für einen Volontariat?

Nach der bestandenen Matura wollte ich fürs Erste endlich einmal weit weg, denn ich hatte mich noch nie außerhalb Europas begeben und blickte mit den Augen einer faszinierten, jungen 19-Jährigen auf die große weite Welt, um endlich einen kleinen Teil davon erkunden zu können. Aber für mich persönlich kam es dabei nicht in Frage, bloß einige Länder für ein paar Tage zu bereisen. Ich konnte es kaum erwarten, zu erfahren, wie es ist, an einem so weit entfernten Ort zu leben und einen anderen Alltag mit Arbeit, kulturellen Anlässen, neuen Begegnungen und allem, was noch so dazu gehört, im Wandel der (dortigen) Jahreszeiten kennenzulernen. Zusätzlich war es seit meinem 14. Lebensjahr mein größter Traum, eines Tages in einem Land des globalen Südens mit Kindern zu arbeiten, um dort etwas weiterzugeben, das hoffentlich zumindest einen kleinen hilfreichen Effekt haben konnte: mein Wissen.  

Was hast du im Rahmen des Freiwilligeneinsatz gelernt und für dich mitgenommen?

 Einerseits konnte ich dieses Land, die Kultur, die Sprache, die Gerichte und viele inspirierende Menschen kennlernen. Andererseits habe ich erst dort in Kambodscha, auch unglaublich viel über mich selbst gelernt, über meine Vorurteile, meine Werte, meine Gewohnheiten und Verhaltensweisen, sodass mich die Erfahrungen in diesem Jahr auf eine ganz andere, neue Art und Weise für mein weiteres Leben geprägt haben. Eine besondere Erkenntnis möchte ich noch hervorheben, denn erst als ich in dem Hilfsprojekt der Don Bosco Schwestern Englisch unterrichtete, wurde mir so richtig bewusst, welch ein Privileg der Zugang zur Bildung ist. Immerhin bekamen dort die Kinder jener Familien einen Ausbildungsplatz, die von Armut am stärksten betroffen waren und oft zusätzlich in schwierigsten familiären Bedingungen lebten (z.B. Alkoholsucht oder Tod der Eltern). Wie viel ihnen diese begrenzten Plätze bedeuteten, zeigte sich mir vor allem, als unzählige Eltern und Verwandte bereits in der Nacht vor Beginn der jährlichen Einschreibung vor dem geschlossenen Eingangstor warteten und als am Ende des Tages, jene, für die kein Platz mehr übrig war, noch lange darum flehend mit ihren Dokumenten zwischen den Gitterstäben wedelten.

Was magst du Interessierten an einem Freiwilligeneinsatz mitgeben?

Ich möchte allen, die solch einen Einsatz in Erwägung ziehen, dazu raten, diesen so lange wie nur möglich einzuplanen, um den Menschen, die vor Ort leben mehr Konstanz bieten zu können und damit auch ihr den Einsatz bewusster und intensiver mit all seinen Facetten wahrnehmen könnt. Selbst ein Jahr ist eigentlich sehr kurz, denn mit einem ständigen Wechsel an Volontär/innen ist immer wieder viel Trennungsschmerz verbunden und so wird es vor allem für einige Kinder und Jugendliche schwieriger, sich auf die neuen Personen, sowie Lehrinhalte von ihnen einzulassen. Außerdem möchte ich daran erinnern, das jeder Einsatz für jede einzelne Person einzigartig ist! Nicht jede Gemeinschaft vor Ort ist gleich gut organisiert oder gleich harmonisch, nicht jede Schule gleich ausgestattet und jede/r macht seine*ihre ganz persönlichen Erfahrungen. Es wird unvergesslich schöne, lustige, aber auch seltsame und herausfordernde Situationen geben, die euren Einsatz so individuell und vielfältig machen.
 

MARION FRIEDL

Pfarre: Ybbsitz

Wo warst du wann? Volontariat in Lilongwe, Malawi, von August 2015 - August 2016

Was war deine Motivation für dein Volontariat?

Einerseits wollte ich meine Talente und Fähigkeiten einbringen und gemeinsam mit den Menschen vor Ort etwas bewegen. Andererseits hoffte ich dadurch auch meinen Horizont zu erweitern, eine andere Kultur kennen zu lernen, neue Freundschaften zu knüpfen und die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen. Außerdem war ich nach Abschluss meiner Matura einfach neugierig auf andere Länder und wollte vor dem Studium noch etwas Sinnvolles für mehr Gerechtigkeit in der Welt beitragen.

Was hast du im Rahmen des Freiwilligeneinsatz für dich mitgenommen?

Das Volontariat hat mir einen Weitblick verschafft. Ich kann mir jetzt Vieles besser vorstellen, seien es andere Lebensweisen, andere Kulturen, andere Sprachen etc. Ich bin auch über die neuen Freundschaften froh, die ich in Malawi geknüpft habe.  Besonders genossen habe ich das Spielen mit den Kindern im Jugendzentrum.

Was magst du Interessierten an einem Freiwilligeneinsatz mitgeben?

Ich kann jedem nur empfehlen einen Freiwilligeneinsatz zu machen. Es ist eine vielfältige und lehrreiche Erfahrung und ich habe gelernt in Zusammenhängen zu denken und auch mein eigenes Weltbild zu reflektieren. Ich habe an Selbstbewusstsein gewonnen und bin über mich hinaus gewachsen. Ich denke, es ist wichtig, sich für einen Freiwilligeneinsatz im Ausland genügend Zeit zu nehmen. Außerdem glaube ich, dass eine gute Vorbereitung und eine Begleitung während des Einsatzes zum Gelingen eines Volontariats beitragen.
 

DAVID PÖDER

Pfarre: Maria Hietzing

Wo warst du wann? Volontariat in Visakhapatnam, Indien, von August 2015 – August 2016

Was war deine Motivation für ein Volontariat?

Meine Grundmotivation für meinen Freiwilligeneinsatz war es einen Zivildienst zu machen, der sich für mich „sinnvoll“ anfühlt. Ich wollte nach der Schule aus meinem Alltag ausbrechen um einen neuen Blick auf andere Kulturen, andere Länder zu bekommen. Und natürlich wollte ich „helfen“. ;)

Was hast du im Rahmen des Freiwilligeneinsatz gelernt und für dich mitgenommen?

Im Zuge meines Zivilersatzdienstes in Indien habe ich viele Dinge über mich selbst gelernt. Ich habe neue Interessen gefunden, Dinge entdeckt, die mich stören, meine Grenzen ausgetestet und auch oftmals überschritten und vieles mehr. Es war eine sehr prägende Zeit, die mich in vielen Dingen beeinflusst hat. Ich habe mir viele individuelle Erfahrungen mitgenommen, die mein Interesse für soziale Gerechtigkeit und globale Zusammenhänge geweckt haben, sodass ich mich seit dem in diesen Bereichen engagiere.

Was sollte man bei Freiwilligeneinsätzen beachten?

Ich habe schon viel über die Daseinsberechtigung von Freiwilligeneinsätzen nachgedacht und stehe diesen bis heute sehr kritisch gegenüber, da sie oftmals eine Reproduktion des Kolonialismus darstellen. Freiwilligeneinsätze sind ein toller Bestandteil von Bildungsprojekten und daher ist es essentiell kompetente und seriöse Organisationen zu finden, die viel Wert auf Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung ihrer Volontär/innen legt und gleichzeitig ihre Arbeit ständig kritisch reflektiert.
 

NANI GOTTSCHAMEL

Pfarre: Maria Lourdes

Wo warst du wann? DKA LernEinsatz auf den Philippinen, ein Monat 2012, Begleitung einer LernEinsatz-Gruppe auf den Philippinen 2015

Was war deine Motivation für eine Lernreise?

Werbung auf der Kumquat-Rückseite und die Beschreibung, dass es bei der Reise Begegnungen und die Arbeit der Dreikönigsaktion im Zentrum stehen. Außerdem hatte ich sehr positive Erinnerungen an Südostasien-Reisen meiner Kindheit, weshalb mich die Idee, ein weiteres südostasiatisches Land zu entdecken. Bei der zweiten Reise stand für mich im Vordergrund, den Gruppenprozess bei einer so intensiven Lernreise gut zu begleiten, um einen guten Rahmen für Lernerfahrungen zu schaffen.

 Was hast du im Rahmen des LernEinsatzes gelernt und für dich mitgenommen?

Meine Erfahrung am LernEinsatz war stark geprägt von Begegnungen mit vielen verschiedenen Menschen (aus Österreich und von den Philippinen), deren Weltanschauungen und dem verschiedenen Erleben von Menschen, die in verschiedenen Kontexten leben. Ich habe vor allem gelernt, Fragen zu stellen - Zum Zusammenhang zwischen Standort und Standpunkt, zu Macht und Privilegien, zu Gemeinschaften und ihren Werten,... Kurz: zu allem, was uns ganz selbstverständlich vorkommt.

Was magst du Interessierten an einer Lernreise mitgeben?

Stell Fragen! Vor allem dir selbst – und das zu jedem Zeitpunkt: Wieso willst du das? Was stellst du dir vor? Woher kommen diese Bilder? Mit welche n Machtverhältnissen haben diese Bilder zu tun?  Welche Bilder möchtest du bei dir und anderen auslösen und stärken?
 

MONIKA GAMILLSCHEG

Pfarre: Gersthof St.Leopold

Wo warst du wann? DKA-LernEinsatz auf den Philippinen, ein Monat 2015

Was war deine Motivation für eine Lernreise?

Ich war ab 2014 Bildungsreferentin bei der JS Wien und für die Öffentlichkeitsarbeit der DKA in Wien zuständig. Mir war es wichtig, selbst erlebt zu haben, wie unsere Projektpartner arbeiten, was sie verändern, um glaubwürdig vor MultiplikatorInnen, den Sternsinger*innen, den Spender/innen und den Medien davon erzählen zu können. Ein weiterer Grund war, dass ich mich als Anthropologin natürlich für Länder, Kulturen, Menschen interessiere und der Lerneinsatz eine tolle Chance war, abseits der ausgetretenen Tourismus-Pfade ein Land und vor allem die Menschen kennenzulernen.

Was hast du im Rahmen der Lernreise für dich mitgenommen?

Ich kannte viele Schlagwörter und Konzepte aus meinem Studium: Entwicklungszusammenarbeit, Kinderarbeit, Gender Inequality, Working Poor, Rohstoffabbau, Globalisierung, Umweltschutz, Wirtschaftsflüchtling, … Der Lerneinsatz machte für mich aus der Theorie Praxis. Worthüllen füllten sich mit den Geschichten der Menschen, die wir kennenlernten und mit den eigenen persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen. Manches muss man an eigener Haut erleben, um es nur ansatzweise zu begreifen. In meiner Diplomarbeit hatte ich mich mit Indigenen in Kanada beschäftigt, weshalb der Besuch bei den Indigenen in der Cordillera für mich besonders lehrreich war. Ich lernte, dass die Probleme und Herausforderungen im Leben Indigener sehr ähnlich sind, unabhängig, ob sie in einem reichen Industriestaat wie den USA oder Kanada leben oder auf den Philippinen und dass die Igorot sich sogar mehr an Eigenständigkeit, Sprache und Kultur erhalten konnten, als die First Nations in Kanada. Und last but not least habe ich gelernt, dass Umweltschutz nur möglich ist, wenn man nicht ums Überleben kämpft und dass es daher umso mehr unsere Aufgabe ist, auf unseren Planeten aufzupassen!

 Was magst du Interessierten an einem LernEinsatz mitgeben?       

Ein Freiwilligeneinsatz ist kein Urlaub und keine Erholung. Es ist super intensiv und anstrengend. Privatsphäre gibt es wenig und Überraschungen viele. Auf viele Situationen kann man sich zwar theoretisch, aber nicht praktisch vorbereiten. Ich hätte davor einfach nicht abschätzen können, was bzw. ein Aufenthalt bei einer Familie in den Informal Settlements von Manila emotional mit mir macht. Ich hätte aber auch nicht gedacht, wie verhältnismäßig gut ich z.B. mit den hygienischen Bedingungen/Herausforderungen klarkommen würde. Aber trotz allen Herausforderungen war es eine Reise und Begegnungen, die mein Leben bis heute prägen und die ich niemals missen möchte! Wichtig finde ich auch, dass ein Freiwilligeneinsatz nicht mit der Motivation unternommen wird, den Menschen vor Ort zu zeigen, wie es gemacht wird oder um ihnen etwas beizubringen, um „den Armen (Opfern) zu helfen“. Die Menschen vor Ort sind Expert/innen in ihrem Leben und haben unglaublich vielfältige Strategien, wie sie mit ihrem Alltag fertig werden und ihre Welt ein Stück weit verbessern. Wir können unglaublich viel voneinander lernen – aber indem wir miteinander leben und miteinander reden, nicht mit erhobenem Zeigefinger und europäischem Überlegenheitsdünkel.

kumquat "grenzenlos" 2021