Viele kleine Leute, die in vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.

Johannes Kemetter hat im Sommer 2009 am LernEinsatz in Brasilien teilgenommen. Hier einige Eindrücke von seiner Reise.

Viele kleine Leute, die in vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.

Dieser Spruch steht auf einem großen Transparent, das sich im Eingangsbereich der Casa da Juventude in Goiania, kurz CAJU genannt, befindet. Die CAJU ist ein Bildungshaus der Jesuiten, das Kurse und Fortbildungen für Jugendliche aus ganz Brasilien anbietet. Als wir, die LernEinsatzgruppe, die aus 9 Leuten aus ganz Österreich bestand, zum ersten Mal die CAJU betraten, sprang uns dieser Spruch zusammen mit dem Begrüßungsplakat sofort in die Augen.

Das Transparent war ein Geschenk einer ehemaligen LernEinsatzgruppe an die Mitarbeiter/innen der CAJU, die besonders stolz darauf sind und für die dieser Satz Motivation für den Einsatz für eine gerechtere Welt ist.

Insgesamt verbrachte unsere Gruppe einen knappen Monat in Brasilien – genauer: von 7.August bis 1. September. Besonders spannend hat den Austausch die Tatsache gemacht, dass den gesamten LernEinsatz über drei Brasilianer/innen mit uns mitgemacht haben. Gemeinsam hörten wir vor allem in der ersten Woche spannende Vorträge über Religion, Solidarökonomie, Politik allgemein, Jugendpolitik und -arbeit und vieles mehr. Besonders die Gespräche und der Austausch von Erfahrungen waren sehr interessant und ließ uns neue Sichtweisen kennenlernen.

Einmal besuchte uns der Regionalpolitiker Antonio Baiano, der mit uns über Themen wie Agrarreform, die Landlosenproblematik oder Solidarökonomie, sprach. Letztere stellt eine Alternative zum gängigen Wirtschaftssystem dar, in dem Konkurrenz und Wettbewerb vorherrschen. Solidarökonomische Ansätze stellen im Gegensatz dazu Kooperation und das Miteinander in den Vordergrund, um die Produktion und Effektivität zu steigern.

Antonio Baiano war aber nicht nur Politiker, sondern auch Musiker und hatte seine Gitarre natürlich mit dabei. So passierte es auch, dass als gerade ein bestimmtes Thema aufgegriffen wurde, er seine Gitarre nahm und ein Lied anstimmte, bei dem alle Brasilianer/innen im Raum sofort mitsangen. Ein sympathische Atmosphäre, wie es bei uns wohl eher seltener der Fall ist.

Übrigens herrschte während unseres ganzen Aufenthaltes in Goiania Wahlkampf, weshalb ständig Autos mit großen Plakaten, auf denen das Foto und die Nummer des/r jeweiligen Kandidaten/in zu sehen war. Gleichzeitig erklang ein Lied, das für den/die Kandidaten/in warb und versprach, für längere Zeit ein Ohrwurm zu bleiben. Ungewohnt, wenn man an den Wahlkampf in Österreich denkt.



Sehr beeindruckend waren vor allem die Besuche in den verschiedensten Kooperativen, wie z.B. die Recycling-Kooperativen COOPREC in Goiania oder CORTRAP, die als praktische Beispiele der Solidarökonomie dienten. Die Arbeiter/innen vor Ort sortierten Müll, der danach entweder verkauft wurde oder zum Teil zu beeindruckenden Produkten, wie Möbeln aus Papier, Schmuck und Taschen weiterverarbeitet wurde. Auch wenn den Menschen meist nur der Mindestlohn gezahlt werden kann, herrschte dort ein unerwartet positives Klima. Wir erfuhren z.B., dass wenn eine Person zu krank zum Arbeiten ist, die Kolleg/innen für diese Geld sammeln.

Nach ca. einer Woche in Goiania, fuhren wir mit dem Bus für ein paar Tage nach São Paulo, wo wir in einer der größten Städte der Welt den Kontrast zwischen der vernachlässigten Altstadt und der modernen und reichen Avenida Paulista, einer Prachtstraße, in der die reichsten Firmen ihre Sitze haben, kennenlernten.

Nachdem wir einen Tag am Strand genießen durften, fuhren wir weiter in die Hauptstadt Brasilia, die in den 1950ern künstlich angelegt wurde und deren Grundriss die Form eines Flugzeuges hat. Wir sahen die beeindruckende Architektur Oscar Niemeyers, erlebten aber auch, wie schwierig es als Fußgänger war, sich in dieser Stadt fortzubewegen. In Brasilia besuchten wir das Büro CIMI, einer Organisation, die für die Rechte und das Überleben der indigenen Bevölkerung kämpft und zu den Projektpartner/innen der Dreikönigsaktion zählt.

Zurück in Goiania erwarteten uns noch zwei Wochen mit spannenden Programmpunkten, wie den Tanzworkshops, in denen wir die verschiedensten brasilianischen Tänze kennenlernten, sowie dem Theater der Unterdrückten Workshop, bei dem wir einen Tag lang Übungen gemeinsam ausprobierten und diese danach besprachen.

Am beeindruckendsten war wohl in der letzten Woche der Besuch bei der MST, der Landlosenbewegung, in der Menschen, die kein Land besitzen, sich zusammengeschlossen haben, um für ein eigenes Stück Land zu kämpfen. Obwohl sie eigentlich Anspruch auf das unbewirtschaftete Land der Großgrundbesitzer/innen haben, müssen sie oft jahrelang in den Landbesetzungen wohnen und Anstrengungen auf sich nehmen, um zu ihrem Recht zu kommen. Wir verbrachten einen Tag und eine Nacht fast alle zu zweit bei Familien, die bereits einen kleines Stück Land seit kurzem zugesprochen bekommen haben und in einfachen Häusern bzw. Baracken wohnen. Wir wurden unheimlich warmherzig aufgenommen und betreut, hörten spannende Lebensgeschichten und erlebten, wie Menschen, die fast gar nichts haben, so viel geben, wie sie nur können.

Ein wichtiger Bestandteil während des gesamten Lerneinsatzes waren die sogenannten Misticas, die immer wieder am Morgen oder am Abend gefeiert wurden. Manchmal waren dies Reflexionen über das Erlebte oder das Gehörte, manchmal religiöse Feiern. Meist wurde dabei, gesungen und getanzt. Das eine oder andere Lied blieb uns so einige Tage bis Wochen in den Ohren und begleitete uns auf unseren Busfahrten und in der Freizeit. (wie z.B. „Caminhamos perla luz de deus“ (Wir gehen im Licht Gottes) oder „Tu vens, tu vens...“ (Du kommst, du kommst,...)

Viel gesungen und getanzt wurde auch bei den zahlreichen Partys, die wir gemeinsam mit den verschiedensten Kursteilnehmer/innen aus ganz Brasilien an so manchem Abend feierten. Alle diese Erlebnisse haben dazu beigetragen, dass wir einen Teil des Landes und seiner Leute kennen lernen konnten, die Probleme und negativen Seiten, aber auch das Schöne und die guten Seiten, zu denen auf jeden Fall die positive Einstellung vieler Leute, die wir getroffen haben gehören, ihre Gastfreundschaft, ihr fröhliches Gemüt und den Glauben daran, dass sie zu vielen kleinen Leuten gehören, die an vielen kleinen Orten, viele kleine Dinge tun, um das Gesicht der Welt zu verändern.

Johannes Kemetter