Impressionen aus einem lauten Monat
Eigentlich sind Lerneinsatz und Stille ja zwei Begriffe, die sich gegenseitig ausschließen – einen ganzen Monat in einer Gruppe verbringen, jede Nacht mit zumindest einer Person Zimmer und/oder Bett teilen, kaum eine Minute ohne neue Erfahrungen – und das alles auch noch teilweise in einer Megastadt wie Manila. Bei genauerem Hinschauen beleuchtet aber gerade die Frage nach der Lautstärke ganz bestimmte Aspekte dieser außergewöhnlichen Reise …
Leben in einer Reisegruppe – umgeben von Sprache
Wie schon erwähnt, gab es in diesem Monat kaum einen Moment alleine – und wenn Menschen das Reiseziel sind gibt es auch kaum Zeit, die ohne Gespräche vergeht. Seien es Unterhaltungen mit den Gastfamilien, Projektpartner/innen oder philippinischen Begleitpersonen, Diskussionen zu inhaltlichen Themen, langes Reflektieren oder einfach gemütliches Plaudern, all diese nicht-Stille hinterlässt unglaublich bereichernde Spuren in Form von offenen und ehrlichen Beziehungen.
Sprachlos vor Dankbarkeit
Immer wieder wurden wir auf unserer Reise in den verschiedensten Gemeinden und Familien herzlichst begrüßt, liebevoll verköstigt und auch ehrlich traurig verabschiedet. Wir wurden bei so vielen Gelegenheiten reich beschenkt, dass wir oft nur noch wortlos dastehen konnten – wenn wir einen so ehrlichen Einblick in das Familienleben bekamen oder z.B. die ganze Familie uns ihre Betten überließ, oder wenn Kinder am Strand die schönsten Muscheln und Krebse sammeln. Es ist unglaublich beeindruckend, wenn Menschen, die oft so wenig haben, einen spüren lassen, dass sie einem nur das Beste geben wollen.
Fassungslos stumm
Andererseits gab es im Programm auch Tage, an denen wir aus dem ungläubigen Staunen nicht mehr herauskamen: Wenn wir beispielsweise durch ein unglaublich fruchtbares Landwirtschaftsgebiet geführt wurden, das in den nächsten Jahren zu eine riesigen Freihandelszone (APECO) gemacht werden soll – mit verheerenden Auswirkungen auf Umwelt und Bevölkerung. Wenn wir mit Menschen sprechen durften, die sich nicht einfach enteignen lassen, um europäischen und nordamerikanischen Investoren das schnelle Geld zu ermöglichen. Wenn ein Pfarrer sich weiterhin für die Anliegen der indigenen Bevölkerung einsetzt, auch wenn er dafür vor ein paar Jahren fast umgebracht worden wäre.
Stille Annäherungen
Die wohl stillste Zeit der Reise verbrachten wir bei der indigenen Bevölkerung. Hier fiel das Medium der Sprache weitgehend weg, da die meisten Menschen hier keine Schulbildung hatten und dementsprechend auch kaum Englisch sprechen. Dazu kommt, dass die indigene Bevölkerung bis jetzt kaum positive Erfahrungen mit Fremden, und vor allem mit Weißen, gemacht hat. Dadurch dauerte es fast 3 Tage, bis wir unserer Gastfamilie das erste Mal die mitgebrachten Photos zeigen konnten und bis die Kinder sich auf Spiele einließen. Diese langsame Annäherung war sehr gewöhnungsbedürftig, gab uns aber die Möglichkeit, den Lebensrhythmus, der weitgehend ohne Zeitmessung auskommt, auf eine ganz andere Art zu erleben. Und die Beziehungen, die so – fast gänzlich sprachlos – wachsen durften, möchte ich auf keinen Fall missen, weil ich weiß, wie sehr sie mich als Menschen verändert und offener für die Welt gemacht haben.
Nani Ferstl
kumquat "Pssst!" 4/2012