Wahnsinns Frauen

Ein Artikel über Macht, Ohnmacht und Frauenherrschaft

Das Jahr 2010 ist ein Jahr voll Wahlen in Österreich: Gemeinderatswahlen, Landtagswahlen, Bundespräsident/innenwahl. Neben Männern haben auch Frauen das Recht, an diesen Wahlen teilzunehmen. Das Frauenwahlrecht stellt für uns heute eine Selbstverständlichkeit dar, doch vor noch gar nicht so langer Zeit war das anders. Frauen durften bis zum Jahr 1918 in Österreich nicht wählen und somit im öffentlichen Raum nicht mitbestimmen oder ihre Meinung geltend machen. Frauen waren als angepasste, sich sorgende, gebärende, für die Familie zuständige Wesen vor allem im Heim willkommen. Männer waren diejenigen, die sich in der Öffentlichkeit bewegten, sich (weiter)bildeten, arbeiteten, politisch mitbestimmten und so die Möglichkeit auf eine Mitgestaltung der Gesellschaft hatten. An hand des nicht-wählen-dürfens zeigt sich eine Seite der jahrhundertelangen, strukturellen Unterdrückung von Frauen durch patriarchale Systeme.

Die Hexenverfolgungen im europäischen Raum, vor allem zwischen dem 15. und 18.Jahrhundert, erscheinen als noch schwerwiegendere Form einer systematischen Unterdrückung und Vernichtung von „mächtigen“ Menschen. Vor allem Frauen die über bestimmte Fähigkeiten zum Beispiel in den Bereichen Natur oder Medizin verfügten, oder die nicht an das selbe glaubten, wie der Großteil der damaligen Bevölkerung, wurden der Hexerei und Zauberei bezichtigt und teilweise verurteilt. In Krisenzeiten, während Kriegen oder Hungersnöten, wurde bestimmten Menschen schwarze Magie nachgesagt. Ihnen wurde die Schuld an diesen Krisen zugeschrieben. Die Gründe für die Hexenverfolgungen sowie die Zahl der Opfer sind wissenschaftlich umstritten. Dieser Hexenwahn zeigt den Versuch, anders wirkenden Menschen ihr „anders“ sein und „anders“ denken „auszutreiben“, um die vorherrschende gesellschaftliche Ordnung möglichst wenig in Frage stellen zu müssen und so Herrschaft zu legitimieren.

Europäische Länder verteidigten ihr Bild von gesellschaftlicher Ordnung und Macht nicht nur in Europa. In den kolonialen Eroberungszügen wurden stereotype Rollenbilder, wie das Bild der unterdrückten Frau und des starken Mannes, auch in außereuropäische Länder transportiert. Interessant ist in diesem Zusammenhang folgendes Beispiel: auf den Philippinen verfügten Frauen in der vorkolonialen Gesellschaft (also vor dem 16.Jahrhundert) über eine starke Stellung: sie hatten dieselben Rechte wie Männer, zum Beispiel das Recht auf Eigentum, auf Arbeit, einem Dorf vorzustehen. Sie bekamen dann Kinder, wenn sie es selbst bestimmten, auch ohne verheiratet zu sein. Sie suchten die Namen ihrer Kinder selbst aus. Auch die philippinischen Schöpfungsmythen und Geschichtsepen zeugen von der außergewöhnlich gleichberechtigten und starken Rolle der philippinischen Frau. In den Schöpfungsmythen wurden Mann und Frau gleichzeitig erschaffen: beide entsprangen einer Bambussprosse. In Epen wurden Frauen als Heilerinnen und Priesterinnen beschrieben, die über Macht und Autorität verfügten. Mit dem Beginn der spanischen Kolonialzeit und der Missionierung änderte sich diese starke Position der Frau. Sie wurde zunehmend als passiv, demütig, unterwürfig wahrgenommen und aus dem öffentlichen Diskurs ins Haus zurück gedrängt.

Hysterische Weiber und politischer Fanatismus

Es gibt auch Bespiele von europäischen Frauen, die versuchten, sich zu zeigen, ihre Meinung kundzutun und so gegen das System der Männerherrschaft anzukämpfen. Oft wurden diese Frauen jedoch in Folge ihres starken, wütigen, emotionalen Auftretens als „wahnsinnig“ oder „hysterisch“ abgestempelt, (in psychiatrische Anstalten) weggesperrt und somit entmachtet.

Die spanische Königin Johanna I. (1479 – 1555), auch als „Johanna die Wahnsinnige“ bekannt, kann also so eine Frau gesehen werden. Sie wurde mit Philipp I. von Habsburg, genannt „Der Schöne“, verheiratet und bekam sechs Kinder. Johanna und Philipp sollen sich sehr geliebt haben, sie soll „ausgerastet“ sein, wenn sie sich länger nicht sahen oder Philipp einer Affäre nachging. Nach dem Tod ihrer Mutter Isabella war Johanna als Thronfolgerin von Kastilien (und später auch Aragon) vorgesehen. Ihr Mann machte ihr diese Regentschaft streitig. Nach seinem Tod entstand ein Machtkampf zwischen Johannas Vater und ihrem ältesten Sohn. Johanna sagte man Wahnsinn nach. Sie zeigte ihre Gefühle wie zum Beispiel Wut, Enttäuschung oder Schmerz über den Tod des Ehemanns oder über die Machtkämpfe über ihren Kopf hinweg sehr deutlich und offen. Johanna wurde in ein Kloster in Tordesilla gesperrt, durfte ihre Kinder kaum sehen, nicht regieren und verbrachte den Rest ihres Lebens in Gefangenschaft. Bis heute gehen die Meinungen auseinander, ob Johanna „wahnsinnig“ war oder nicht. Vor allem für die feministische Geschichtsforschung stellte Johanna eine gegen die Männerherrschaft protestierende Frau dar.

Eine andere sehr interessante Frau war die Frauenrechtlerin Anne-Josèphe Théroigne de Méricourt (1762 bis 1817). Sie engagierte sich stark während der französischen Revolution: sie kommentierte die Geschehnisse in der Nationalversammlung, obwohl sie nicht aktiv an ihnen teilnehmen durfte, und soll so einen großen Einfluss auf die Volksmeinung gehabt haben. Sie gründete zwei wichtige revolutionäre Klubs. Interessanterweise wurde der „Amazone der Freiheit“ auch sehr viel Gewaltpotenzial zugeschrieben, vielleicht weil sie sich für die Gleichstellung von Mann und Frau auch in Bezug auf Bewaffnung und Krieg einsetze. Außerdem wurde sie als „Kurtisane“ bezeichnet, vielleicht unter anderem weil sie nicht verheiratet war. Nach einer Verhaftung und späteren Freilassung, in Folge auch Anerkennung, weiterem politischen Engagement und damit in Zusammenhang stehender Auspeitschung und weiterer Haft, wurde Anne-Josèphe Théroigne de Méricourt in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen, wo sie 23 Jahre später starb.

Emanzipation

Die Geschichte der Unterdrückung von Frauen ist eine sehr lange und schmerzhafte. In den letzten Jahrzehnten haben viele Frauen (und auch Männer) mehr und weniger erfolgreiche Kämpfe um Gleichberechtigung geführt, um patriarchale Systeme zu brechen und Rollenbilder aufzuweichen. Trotzdem spielt auch bei uns in Österreich das Geschlecht eine wesentliche Rolle (siehe auch hard facts zu Rollenbildern). Es gibt also noch einiges zu tun, um Frauen und Männern dieselben Rechte und Chancen zuzugestehen.

Betti Zelenak

Quellen:
Mehr Informationen zu den vorgestellten oder anderen Frauen findest du in Luise Pusch mit Sibylle Duda: WahnsinnsFrauen. Suhrkamp 1992 oder auf der Homepage http://www.fembio.org/biographie.php.

aus dem kumquat "Der.Die.Das" 2/2010