Männlich, weiblich oder…?

Unser Leben ist geprägt von getrennten Bereichen: Beim Turnen, oftmals im Werkunterricht, in der Sauna, beim Schwimmen, auf Klos, … Im Alltag fällt uns das meist nicht auf, es ist „normal“ für uns – zumindest solange bis wir bemerken, dass diese Zuteilung uns einschränkt, dass sie für uns nicht passt. Wenn ich als Frau mit lauter Männern auf Urlaub oder im Schwimmbad bin, dann nervt es, wenn ich alleine in den anderen Umkleidebereich muss oder bei der Klopause immer am längsten brauche, weil die Schlange auf der Damentoilette endlos lange ist. Diese Beo­bachtung hat mich aber nie lange beschäftigt, schließlich bin ich ja nun mal eine „Frau“ und die anderen „Männer“. Ist halt so. Diese Einteilung an sich habe ich erst ernsthaft in Frage gestellt, als ich jemanden kennengelernt habe, der biologisch eine Frau ist, sich aber als Mann fühlt, als Mann leben und wahrgenommen werden möchte. Erst durch ihn habe ich erfahren, was für ein Spießrutenlauf ein Leben in Österreich sein kann, wenn man weder „Mann“ noch „Frau“ ist oder sein möchte.

Was passiert nun, wenn das Geschlecht nicht eindeutig ist, oder man sich dem biologischen Geschlecht nicht zugehörig empfindet? Wir leben in einer Gesellschaft, in der es wichtig ist, „Mann“ oder „Frau“ zu sein. Kein Mensch darf in Österreich ohne ein im Personenstandsregister eingetragenes Geschlecht leben. Jede und jeder muss sich entscheiden, „Mann“ ODER „Frau“ zu sein. Bis 2009 konnte auch der Name nicht geändert werden, ohne dass eine geschlechtsangleichende Operation stattfand, heute gilt diese Bestimmung nicht mehr. Trotzdem ist es nach wie vor nicht einfach, das Geschlecht offiziell zu ändern. Doch was bedeuten diese gesetzlichen Bestimmungen in der Realität?

Sie bedeuten, dass die Entscheidung, welche Toilette man benützt oder benützen muss, täglich zeigt, dass man außerhalb des Systems steht, dass man anders ist. Sie bedeuten, dass man vor jeder Lehrveranstaltung auf der Uni zum Professor/zur Professorin gehen muss um sie oder ihn zu bitten, den Namen in der Liste zu ändern, damit in der Lehrveranstaltung der gewünschte Name und nicht der in den offiziellen Dokumenten vorgelesen wird. Sie bedeuten, beim Ausfüllen eines Fragebogens bei der ersten Frage stecken zu bleiben, nämlich beim Ankreuzen von „männlich“ oder „weiblich“. Sie bedeuten, dass ein einfaches „er“ oder „sie“, „ihn“ oder „ihr“ verletzen kann. Sie bedeuten, dass man gezwungen wird, sich zu entscheiden. Man darf nichts anderes sein als „Mann“ oder „Frau“. Sie bedeuten in ständiger Angst vor Diskriminierung und Ablehnung zu leben und viel zu oft damit konfrontiert zu werden – im privaten und beruflichen Umfeld.

Das System von „Mann“ oder „Frau“ ist uns so vertraut, dass viele sich die Frage stellen, was es denn sonst überhaupt noch gibt? Und ob es tatsächlich Menschen gibt, die dies betrifft. Facebook sorgte vor einiger Zeit für Aufregung, weil dort nun 60 Möglichkeiten zur Verfügung stehen, zwischen denen man als Antwort auf die Frage nach dem Geschlecht wählen kann.

Ich habe hier zwar nicht 60, aber die wichtigsten themenspezifischen Begriffe recherchiert:

  • Drittes Geschlecht ist eine Sammelbezeichnung für Menschen, die sich im Geschlechtersystem von „Mann“ und „Frau“ nicht einordnen lassen (wollen). In einigen Staaten gibt es bereits ein „Drittes Geschlecht“ anstatt der üblichen zwei, in anderen Staaten wird gerade intensiv darüber diskutiert. Ausgelöst werden diese öffentlichen Diskussionen und Veränderungen meist von Menschen, die Klage einreichen gegen die zwanghafte Kategorisierung ihrer selbst. In Schweden gibt es z.B. bereits offiziell ein Drittes Geschlecht und auch ein Wort zwischen „hon“ = „er“ und „han“ = „sie“, nämlich das neutrale neue Wort „hen“, das nicht nur in die Wörterliste der Schwedischen Akademie aufgenommen, sondern sich mittlerweile auch im Sprachgebrauch gut etabliert hat.
  • Intersexualität bezeichnet Menschen, bei denen innere und äußere Geschlechtsmerkmale nicht zum chromosomalen Geschlecht passen. Diese Menschen sind auch biologisch gesehen weder „Mann“ noch „Frau“. Dabei gibt es die unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen.
  • Transsexualität bezeichnet Menschen, die biologisch eindeutig Männer bzw. Frauen sind, sich aber dem jeweils anderen Geschlecht als zugehörig empfinden.
  • Transgender (zur Erklärung: „sex“ meint im Englischen das physische und „gender“ das soziale Geschlecht) bezeichnet Menschen, die biologisch eindeutig Männer bzw. Frauen sind, die sich aber mit ihrer zugewiesenen sozialen Geschlechterrolle nicht identifizieren können oder sogar prinzipiell jede Form der Geschlechtszuordnung ablehnen.

Bei der Recherche fällt auf, dass gerade in Definitionen es noch viel zu oft als Krankheit abgestempelt wird, wenn Menschen sich nicht einem bestimmten Geschlecht zuordnen können oder wollen. Wieso aber wird man gleich als krank bezeichnet, wenn man sich anders fühlt als andere? Wieso müssen Betroffene darunter leiden, nicht verstanden und vor allem nicht akzeptiert zu werden? Hat nicht jede/r ein Recht darauf so zu leben, wie er/sie will. Wer darf oder kann überhaupt entscheiden, was eine/n Frau/Mann ausmacht? Und wieso ist es so wichtig zu wissen, ob mein Gegenüber ein Mann oder eine Frau ist?

Meines Erachtens sollte sich unsere Gesellschaft nicht die Frage stellen, welche Körperteile oder Eigenschaften man haben muss, um als Frau oder Mann zu gelten. Wir sollten nicht versuchen, andere zu ändern oder einzuordnen, sondern an unserer Einstellung arbeiten: Menschen so anzunehmen wie sie sind; Geschlechterrollen überdenken oder gleich beiseite schieben; Menschen selber entscheiden lassen, was gut für sie ist. Das wäre meiner Meinung nach der erste Schritt in eine andere, neue und vielleicht bessere Richtung.

Lisi Weihs, ergänzt von Monika Gamilschegg

aus dem kumquat "Vielfalt" 1/2018