Was es mit dem Träumen auf sich hat

Über Träume, ihre Entstehung, Bedeutung und Steuerung.

Ich stehe im Fitnessstudio und schaue meinem Freund beim Trainieren zu. Wie ich hier her gekommen bin und wie lange ich hier schon stehe, weiß ich nicht. Ich drehe mich um und bin plötzlich auf einer Blumenwiese. Schön ist es hier mit den Vögeln, den Schmetterlingen und den blühenden Blumen. Auf der anderen Seite der Wiese entdecke ich meinen verstorbenen Opa. Lächelnd steht er da und winkt mich zu sich rüber. Welch eine Freude überkommt mich, ihn wohlauf zu sehen. Mit einem einzigen Sprung bin ich bei ihm auf der anderen Seite der Wiese. Doch plötzlich wird es ganz finster um mich herum und ein riesiges Ungeheuer läuft auf mich zu, freundlich sieht es nicht aus…

Komisch sind solche Träume oftmals, bizarr, verrückt und doch können sie auch wunderschön sein. Sie sind so unterschiedlich, manchmal scheinen sie zweifellos real zu sein, manchmal sind sie eindeutig surreal. Träume waren lange Zeit unerklärlich, was dazu führte, dass sich jede Gesellschaft eigene Gedanken über den Sinn und die Bedeutung von Träumen machte. Nachdem sich lange Zeit hauptsächlich Prophet/innen und Hellseher/innen damit beschäftigten, hat der Themenbereich zu Beginn des letzten Jahrhunderts auch Eingang in die (westliche) Wissenschaft gefunden.

Der paradoxe Schlaf

Zuallererst möchte ich auf ein Wenig Biologisches eingehen: Wenn wir träumen, so erleben wir eine Veränderung unseres Bewusstseins. Die Steuerung des Geschehens ist uns meist nicht möglich. Unsere kognitiven Fähigkeiten, wie begriffliches Denken und kausal-logische Schlussfolgerungen, sind ebenfalls eingeschränkt. So empfinde ich es im Traum nicht als komisch, vom Fitnessstudio mit einmal Umdrehen zu einer Blumenwiese zu gelangen oder dass mein verstorbener Großvater dort steht. Wenn wir träumen, sind wir psychisch hoch aktiv. Das EEG-Muster während der REM-Phase ist dem, während wir wach sind, sehr ähnlich.

Eine allgemein anerkannte Lehrmeinung über die äußeren Einflussfaktoren auf den Trauminhalt besagt, dass Reize, die während des Schlafes über die Sinnesorgane aufgenommen werden, in das Traumgeschehen eingearbeitet werden können. So können zum Beispiel Geräusche von vorbeifahrenden Autos, Musik, gesprochene Worte, Lichteffekte (durchs geschlossene Lid) oder körperliche Eindrücke wie Harndrang, Hunger und Durst, Teil des Traumes werden.

Ebenso ist man sich mittlerweile sicher, dass der Traum auch Einfluss auf den Körper hat. Augenbewegungen, Schweißproduktion und Herz- und Atemfrequenz variieren je nach Trauminhalt. Vielleicht ist es euch ja schon einmal passiert, dass ihr aus einem Albtraum mit rasendem Herzen und in kalten Schweiß gebadet aufgewacht seid. Jeder Mensch träumt jede Nacht in allen Schlafphasen (Aufwachen, Einschlafen, REM-Phase und NREM-Phase). Viele können sich jedoch gar nicht oder nur kaum an das Geträumte erinnern. Wissenschaftler/innen haben aber herausgefunden, dass sich die meisten Proband/innen leichter an Träume erinnern, wenn man sie in der REM-Phase weckt. Das liegt möglicherweise daran, dass die Trauminhalte in dieser Phase meist bildhafter, emotionaler und bizarrer sind als in den NREM-Phasen, in denen man oft von alltäglichen Gedanken und mit weniger intensiven Gefühlen träumt.

Entstehung von Träumen

Das führt mich gleich weiter zu Erklärungen zur Entstehung der Trauminhalte und deren Funktion. Dazu gibt es verschiedene Meinungen in der Wissenschaft. Das erste Lehrmodell gründet sich auf biologisch basierten Theorien. Hobson und McCarley untersuchten dazu Areale des Gehirns und entwickelten das Modell der Aktivationssynthese. Dem zu Folge lassen Neuronen im Hirnstamm Signale in Form von Erregungsmustern entstehen. Desweiteren werden Areale der Cortex stimuliert. Dadurch verbinden sich verschiedene Erinnerungen und bilden das Traumgeschehen. Demnach wären Träume nur ein Produkt von zufälligen sinnlosen Verbindungen.

Das zweite Modell von Nielsen und Stenstrom basiert auf der modernen neurowissenschaftlichen Untersuchungsmethode des Brain Imaging. Es geht von der Aktivität zweier Hirnbereiche in der REM-Phase aus, des Hippocampus, verantwortlich für die Abspeicherung bestimmter Gedächtnisinhalte, und der Amygdala, zuständig für die Verarbeitung emotionaler Erinnerungen. Dies würde bedeuten, dass Erfahrungen der letzten Tage, Ängste und Wünsche im Traum verarbeitet werden.

Bedeutung von Träumen

Dazu passend kommen wir zur Freud’schen Traumanalyse. Freud bezeichnet Träume als „transitorische Psychosen“, „allnächtliche Verrücktheit“ und „Königsweg zum Unbewussten“. Er war der Meinung, Träume seien der symbolische Ausdruck von mächtigen unbewussten unterdrückten Wünschen, verbotenen Sehnsüchten und sexuellem Verlangen. Der/die Träumende erlaubt sich diese Wünsche allerdings nicht. Deswegen wandelt unser Gehirn diesen latenten Inhalt durch die sogenannte Traumarbeit in einen manifesten Inhalt um, der für uns akzeptabel ist.

Es gibt aber auch ganz andere Ansätze in Bezug auf Traumentstehung und –bedeutung im Glauben vieler indigener Völker. Bei den Mayas, aber auch bei vielen afrikanischen Stämmen, bleiben die Schamanen über ihre Träume mit den Ahnen oder den Göttern in Kontakt, fragen nach Rat und handeln nach ihren Geboten. In anderen Kulturen träumt ein jeder und jede für die Gemeinschaft. Die Achuar-Indianer Ecuadors haben deswegen ein allmorgendliches Ritual. Sie setzen sich zusammen, erzählen einander die Träume und diskutieren über die Bedeutung. Andere wiederum interpretieren ihre Träume zukunftsorientiert und mithilfe von Symbolen wie die Kapolo-Indianer aus Zentralbrasilien. Träumen sie von einem Feuer, das sie verbrennt, so nehmen sie das als Vorzeichen, dass sie zum Beispiel von einer Feuerameise oder einer Spinne gebissen werden.

Erinnerung und Steuerung von Träumen

All diese Trauminterpretationen sind allerdings nur möglich, wenn man sich an den Traum auch erinnern kann, was so manchem schwer fällt. Frauen erinnern sich durchschnittlich mehr bzw. besser an ihre Träume als Männer. Doch wer Interesse hat, kann sein Erinnerungsvermögen verbessern. Oftmals reicht die bloße Aufforderung ans Erinnern und das Führen eines Traumtagebuchs.

Wenn wir nun einen Schritt weiter gehen wollen, können wir lernen, luzide Träume zu erleben. In luziden Träumen wird man sich der Tatsache bewusst, dass man träumt, und kann die Handlung selbst lenken. Stephen LaBerge untersuchte den Wahrheitsgehalt von Berichten über luzide Träume, indem er mit geübten Träumer/innen willkürliche Augenbewegungen festlegte, die sie im Traum (wenn sie ihn wirklich bewusst erleben können) machen sollten. Tatsächlich erschienen die vorher ausgemachten Augenbewegungssignale während der REM-Phase auf dem Polygraphen. Die Steuerung von Träumen scheint also wirklich möglich zu sein.

Auswirkungen von Träumen

Als letzten Punkt finde ich die Auswirkungen von Träumen noch erwähnenswert. Es gibt dazu leider kaum Studien, doch von Albträumen weiß man, dass diese auch am Tag im Wachzustand Ängste hervorrufen können. Weitere Beispiele in denen Träume unser Leben beeinflussen, findet man in der Musik und in der Malerei (Surrealismus) sowie (unbelegt) auch in der Wissenschaft. So soll August Kekule die ringförmige Struktur des Benzols im Traum in Form einer Schlange, die sich in den Schwanz beißt, erkannt haben. Dmitri Mendelejew (Vater des Periodensystems) und Elias Howe (Erfinder der Nähmaschine) haben ebenfalls die Lösungen zu den Problemen, an denen sie arbeiteten, im Traum gefunden.

Die Wichtigkeit und Bedeutung von Träumen ist nicht zu unterschätzen! Träume geben uns manchmal einen Anstoß in die richtige Richtung, also sollten wir darauf achten. Vielleicht will uns unser Unterbewusstsein, Gott oder unsere Vorfahren etwas mitteilen ;) „A form of madness“, wie Hobson den Traum beschreibt  bzw. die „bizarre oder halluzinatorische mentale Aktivität“, wie Stickgold sagt, sind durchaus sinnvoll und mit Übung sogar steuerbar. Das nächste Mal, wenn mich ein Ungeheuer in einem Albtraum verfolgt, fliege ich einfach weg. Oder noch besser: Ich zähme es und reite auf ihm davon!

Mia Kleinhäntz

P.S. Auch Tiere träumen. Fast alle Säugetiere, Vögel und Reptilien zeigen REM-Schlafphasen in denen sie höchst wahrscheinlich ähnlich wie wir Menschen Erinnerungen des Tages verarbeiten. Hunde und Katzen geben zum Beispiel Laute im Schlaf von sich, haben eine lebhafte Mimik und bewegen die Pfoten, als würden sie laufen. Delfine und Ameisenigel träumen vermutlich nicht.

Quellen:
Gerring/Zimbardo, Richard J./Philip G. 2008. Psychologie. U. a. München/Harlow/ Amsterdam: Pearson Deutschlad GmbH: 18., aktualisierte Auflage. Seite 174-178

kumquat "Sch(l)äfchen zählen" 1/2015