Die weibliche Seite Gottes

Was ist feministische Theologie?

Ist es nicht sonderbar: Biblische Geschichten sind meist Männergeschichten. Die Kirche ist eine von Männer geleitete Vereinigung. Und doch sind die meisten Besucher/innen von Gottesdiensten, der größere Teil der Pfarr-Aktivist/innen und eine Mehrheit der nun neu gewählten Pfarrgemeinderät/innen Frauen. Wie schaut es denn mit der Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen in unserer Religion aus? Man kann die Frage aber auch auf einer anderen Ebene stellen: Wie sieht unsere Religion Frauen und Männer überhaupt und grundsätzlich? Sind die gleich oder gleichwertig oder doch ganz verschieden? Wie lässt sich die Ungleichheit in den Machtverhältnissen erklären? Was lässt sich dagegen tun? Und: Wie ist es mit Gott selbst? Ist er ein Mann oder eine Frau oder beides zugleich oder nichts davon? ...

Ist Gott Feminist?

Wäre Gott ein engagierter Feminist, hätte er viel aufzuräumen in der Kirche. Hier stellt sich allerdings dann wieder die Frage, ob Gott in der Geschichte handeln kann und möchte. Gottes Spuren in der Geschichte sind wohl subtiler. Der Gott der Bibel ist kein Feminist, und zwar schon allein deshalb, weil dieser Begriff in der Zeit, in der die Bibel entstand, nicht bekannt war. Aber der Gott der Bibel ist parteilich – für die Armen, Entrechteten und Machtlosen. So zumindest interpretiert die Theologie der Befreiung das biblische Gottesbild, ohne zu verkennen, dass der biblische Gott voller Widersprüche ist. Die feministische Theologie steht in der Tradition der Befreiungstheologie und greift das Bild des parteilichen Gottes auf, der sich aus ihrer Sicht eben auch auf Seiten der Frauen stellt. Es geht ihr ganz zentral um Kritik an den patriarchalen, frauenfeindlichen Aspekten unserer Religion, ob in Bibel, kirchlicher Lehre oder pastoraler Praxis.

Dabei wird auch auf die weibliche Seite Gottes geschaut. Tatsächlich finden sich viele Metaphern als Gottesbezeichnungen, die weibliche Anteile zeigen, und dies nicht nur im mütterlichen Sinn: Gott ist Hausherrin, Gebärende, Hebamme, Hausfrau und anderes mehr: “Wie die Augen der Magd auf die Hand der Gebieterin, so blicken unsere Augen auf Jahwe unseren Gott.” (Ps 123,2)

Interessant ist die Figur der göttlichen Weisheit: Diese erscheint weiblich, eigenständig und facettenreich. Sie findet sich vor allem im Buch der Sprichwörter und in der Weisheit Salomos (vgl. Weisheit 6-11, Sprüche 8, Sirach 24). Sie ist nicht nur Symbol, sondern wird in einer konkreten Frauengestalt dargestellt, die Traditionen zahlreicher antiker Göttinnen in sich aufgenommen hat –  so der ägyptischen Isis, vor allem aber der Ma’at, der Göttin der Weltordnung. Weisheit/Sophia hat stark integrierende Züge, sie ist eine verbindende Kraft: “Meine Freude ist es, bei den Menschenkindern zu sein” (Sprüche 8,31).

Verdrängte Frauen in der Bibel

Auch wenn sie eine Minderheit darstellen, es gibt sie doch: Frauen in der Bibel. Und sie sind nicht wenige, im Ersten Testament, der Hebräischen Bibel, wie im Zweiten Testament: Die Sklavin Hagar im Haus Abrahams, die Schwester des Mose, Mirjam, die Mutter des Richters Simson, auch Prophetinnen wie Hulda, Deborah und Hannah. Im Zweiten Testament finden sich eine Reihe von Frauen um Jesus, wie Maria Magdalena und Maria, die Mutter Jesu. Innerhalb der feministischen Theologie gibt es verschiedene Zugänge zu diesem Thema: Eine Richtung sucht den Ausgleich unter dem Motto “Frauen suchen Frauen” und arbeitet die vergessenen Geschichten biblischer Frauen heraus. Eine andere Richtung betont mehr den Skandal, der in dieser Verdrängungsgeschichte liegt. Eine dritte Richtung sieht hinter der Bibel eine Geschichte des verdrängten Matriarchats und versucht dessen Spuren aufzudecken: Ursprünglich habe das Alte Israel eine weibliche Gottheit verehrt.

Sinnvoll erscheint mir eine “antagonistische Lektüre”, also ein Lesen der Bibel, das durchaus nicht verkennt, dass die Bibel über weite Strecken ein “Buch des Terrors” gegen Frauen darstellt: Frauen werden bestraft, diszipliniert, verfolgt, vergewaltigt, ermordet, und dies nicht selten auf angebliches Geheiß Gottes. Gleichzeitig berichtet dieselbe Bibel von starken Frauen, preist deren Mut (etwa Judith oder Ester) und betont die Gottes­ebenbildlichkeit von Mann wie Frau. Gott hat Mann und Frau nach seinem Bild geschaffen, lesen wir im Buch Genesis. Und bei Paulus heißt es: “Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus.” (Gal 3,28). Die Bibel ist ein widersprüchliches Buch; es braucht eine genaue Lektüre und den Mut zur Interpretation, um sich darin zurechtzufinden und die Bibel nicht einseitig zu interpretieren.

Spannend sind ganz konkrete Geschichten von Frauen, die aus dem Text gestrichen wurden. Bekannt wurde etwa Junia, eine Gemeindeleiterin, die mit Paulus zusammenarbeitete (vgl. Röm 16,7), und aus der im Laufe der Jahrhunderte Junius, ein Mann, wurde. Nun gab es in der römischen Antike den Namen Junius gar nicht – ein Fall von eindeutiger Fälschung, um die Rolle der Frauen im frühen Christentum zu schmälern.

Die andere Seite Marias

Ähnliches lässt sich von Maria, der Mutter Jesu, sagen. Auch ihre Gestalt ist widersprüchlich. Eigentlich erfahren wir nicht sehr viel von ihr im Zweiten Testament. Auffällig ist aber, dass das wenige, was wir von ihr wissen, im auffälligen Widerspruch zum Marienbild steht, wie es in der populären Marienverehrung und der kirchlichen Marienlehre begegnet. Auch wenn wir nicht sehr viel über Maria in den Evangelien erfahren: Eine brave Frau ist sie dort nicht.

Der katholische Marienkult geht auf das Frühchristentum der Spätantike zurück und konnte sich im europäischen Mittelalter zu einem populären Kult entfalten. Neben der passiven, demütigen Magd des Herrn, die tut, wie ihr verkündet wurde, steht sie für die reflektiert und bewusst handelnde Frau, aber sie tritt auch als mächtig-destruktive Kraft in Erscheinung, die im Endzeitkampf als Frau auf dem Halbmond Falsches und Verkommenes zermalmt und auslöscht (vgl. Offenbarung des Johannes, Kap. 12). Ihr Facettenreichtum trägt gewiss dazu bei, dass die unterschiedlichsten sozialen Gruppen ihre Wünsche und Sehnsüchte auf sie projizieren konnten. So konnte sie zum weiblichen Gegenpol des ansonsten männlich dominierten christlichen Himmels werden.

Im Magnificat im Lukasevangelium singt Maria:
“Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten:
Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind.
Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.
Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.” (Lk 1, 51-53)

Das ist freilich eine starke Ansage, die die Befreiungstheologie wie auch feministische Theologie sehr inspirierte!

Die marianische Spiritualität der Gegenwart ist aber leider geprägt von Vorstellungen des 19. Jahrhunderts; ihre Figur steht wie kaum eine andere Frauengestalt des religiösen Kanons für die Unterordnung der Frau unter männliche Herrschaft. Die Verehrungspraxis kennt schwülstiges Liedgut und kitschige Madonnen-Figuren. Maria wird ihrer Menschlichkeit entrückt und in eine starre Form gebracht, mit glattem Gesicht und im immer gleichen hellblauen Umhang, über den Boden schwebend und in ihrer lächelnden Güte jeder menschlichen Regung entsagend. Maria wird daher auch von vielen Katholik/innen heute skeptisch betrachtet, sodass der Theologe Wolfgang Beinert von einer “marianischen Eiszeit” seit den 1960er Jahren spricht.

Maria hat ihre Aufs und Abs. In der Geschichte des Christentums entfalteten sich marienzentrierte Verehrungspraktiken, die zugunsten christozentrischer Interpretationen diszipliniert wurden. Die Muttergottes ist einmal größer als Christus, der als kleines Kind auf der Madonna sitzend zu verschwinden droht. Dann aber ist sie wieder kleiner als der gekreuzigte Christus, unter dessen Kreuz sie nur eine von mehreren Figuren ist.

Irgendwie ist sie dann doch eine faszinierende und wichtige Figur. Ihr Glaube drückt Maria nicht nieder, sondern ruft sie zu Mitmenschlichkeit auf: “Aus diesem Glauben gewinnt sie eine geradezu grenzenlose Gelassenheit. Sie manifestiert sich in der selbstverständlichen Natürlichkeit im Gespräch mit dem Engel der Verkündigung. Sie zeigt natürliches Erschrecken, aber nirgendwo scheint bei ihr Ängstlichkeit auf. Was aber ist den Kirchenchristen heute notwendiger als der Mut zur Angst im Sturm der Zeit?”  (Wolfgang Beinert 1996)

Das vollständige Menschsein

Kann ich, darf ich denn als Mann einen Artikel über feministische Theologie schreiben? Ich denke ja, denn das Anliegen des Feminismus wie auch der feministischen Theologie ist es ja nicht, Männer zu verdrängen oder zu bestrafen, sondern die Gleichberechtigung der Geschlechter einzufordern. Dazu gehört es aber auch, Vorstellungen eines ganzheitlicheren Menschseins zu verbreiten: Unsere Bilder vom Mannsein wie vom Frausein sind einseitig. Sie sind aber sozial geformt und lassen sich verändern. Männer wie Frauen können davon gewinnen, ein vollständigeres Menschsein zu leben, das aktive und passive sowie gebende wie nehmende Seiten einschließt. Feminismus ist eine Form des Humanismus.

Gerald Faschingeder

kumquat "Utopia" 2/2012