Als Kindergruppenleiter/in, auch und gerade in der Kirche, ist man immer wieder mit Ansprüchen konfrontiert, die Kinder sollten in der Jungschar etwas lernen oder gut erzogen werden. Wer kennt nicht Sätze wie "in der Jungschar wird ja nur gespielt" oder "Kinder sollen im Gottesdienst ruhig sein"? Soll man nun als Kindergruppenleiter/in diesen Erwartungen gerecht werden, auch wenn man gar nicht genau weiß, was eigentlich genau erwartet wird, oder wenn man sie selbst nicht gut findet? Oder soll man lieber mit einem schlechten Gewissen weiterhin "nur spielen"?
Keines von beidem! Ich behaupte zum einen, man kann nichts weitergeben, hinter dem man selber nicht steht, zum anderen, dass auch ohne große Predigt, auch beim Spielen, eine Menge an Werten im Spiel ist.
In jedem/r von uns stecken eine Menge Werte, Dinge, die uns wichtig sind, auf die wir Wert legen. Vielleicht fallen dir hier sofort einige Punkte ein, auf jeden Fall, wenn du dir folgende Fragen stellt:
Was ist mir persönlich und im Umgang mit anderen Menschen wichtig? (Wie treffe ich Entscheidungen, in welchen Gruppen bewege ich mich, was ist mir dort angenehm, was nicht?,...)
Was ist den Kindern in meiner Gruppe wichtig? (in Bezug auf Umgangsformen, ausgesprochene und unausgesprochene Gruppenregeln,...)
Ich glaube, dass es gut und wichtig ist, Kinder mit "Werten" zu konfrontieren. Um nicht zum/r Missionar/in zu werden, muss ich mir vorher aber die Frage stellen: Sind die "Werte", die ich den Kindern nahe bringen will, auch gut für sie? Nützen sie ihnen und ihrer Entwicklung, oder nützen sie den Interessen anderer, wie z.B. mir selbst oder anderen Erwachsenen?
Bei allem Nachdenken über Werte sollte man nicht vergessen, dass nie ein Wert an sich bedeutsam sein kann, sondern das, was er Menschen und ihrem Zusammenleben ermöglicht. Daher muss man auch die Bedeutung von "klassischen" Werthaltungen relativieren. Mir fallen ganz wenige "absolute Werte" ein, wie z.B. das menschliche Leben. Aber wie ist das mit Werten wie "verzichten", "teilen", "nachgeben", "helfen", "nicht lügen"? Kann man denn immer nachgeben? Ist es für einen selbst und auch die anderen gut, wenn man immer verzichtet? Gibt es wirklich keine Fälle, in denen es nicht besser wäre zu lügen?
Wenn Kinder mit Antworten auf diese Fragen etwas anfangen können sollen, kann es nicht darum gehen, dass sie das immer bzw. nie tun sollen. Hilfreich für Kinder ist viel eher, ob, wann & warum sie etwas tun sollen. Wenn zwei Werte gegeneinanderstehen, muss eben geprüft werden, welcher gerade wichtiger ist.
Damit Kinder verstehen können, was an einem Wert gut für sie ist, muss er mit konkretem Inhalt gefüllt werden (z.B. verzichten: Ich entscheide mich dafür, auf das Fernsehen zu verzichten, weil mich ein Freund gebeten hat, ihm beim Lernen zu helfen).
Wie schon angeklungen ist, denkt man bei Werten oft an etwas Einschränkendes. Diese Dinge haben auch ihre Berechtigung, mir ist aber ebenso wichtig, meine Kinder zu bestärken, wenn ihre Rechte verletzt werden, sich gegen Dinge zu wehren, die sie nicht wollen.
Aber wie?
Wenn ich möchte, dass Kindern bestimmte Dinge wichtig werden, habe ich nur eine einzige Möglichkeit dafür. Alles, was mir selbst in meinem Leben wichtig geworden ist, habe ich irgendwann als gut erkannt. Wahrscheinlich haben mir schon vorher und auch noch nachher viele Leute gesagt, dass das wichtig wäre. Geglaubt habe ich es aber erst, als ich selbst draufgekommen bin, dass es sinnvoll ist. So ist es wohl auch bei Kindern.
(Werte-)Erziehung zielt auf Einstellungen. Anders als ein technisches Gerät, gibt es bei Menschen keine Knöpfe, mit denen man diese Einstellung von außen erreichen kann. Nur eigene "Einsicht" kann Werte und Einstellungen erzeugen.
Natürlich habe ich als Gruppenleiter/in Möglichkeiten, einen kleinen Teil der Einstellungen meiner Kinder zu prägen, indem ich ihnen möglichst viele gute Erfahrungen mit anderen und der Welt ermögliche und zumindest im Rahmen der Gruppe schlechte Erfahrungen zu ersparen versuche.
Wenig Hoffnungen habe ich aber, bei den Kindern etwas zu erreichen, indem ich ein bestimmtes Verhalten einfordere. Es kann schon sein, dass die Kinder das dann tun werden, hat aber sicher nicht automatisch zur Folge, dass sie es wirklich von sich aus für richtig halten. Das ist dann am ehesten möglich, wenn für die Kinder erkennbar bleibt, warum ich etwas verlange, und sie es auch sinnvoll finden.
Zwei "Werkzeuge"
Als Gruppenleiter/in habe ich zwei "Werkzeuge" zur Verfügung, um Kinder mit Dingen zu konfrontieren, die mir wichtig sind. Das erste Werkzeug bin ich selber.
Noch vor jeder "pädagogischen Intervention" bekommen meine Kinder wohl mit, wie ich bin, was mir wichtig ist, was ich (nicht) lustig finde, wie ich mich in bestimmten Situationen verhalte, wie ich finde, dass Menschen miteinander umgehen sollten. Voraussetzung dafür, dass meine Kinder sich etwas von mir abschauen wollen, ist, dass sie mich mögen, mir vertrauen, ich zu ihnen eine gute Beziehung habe. Mir ist durchaus klar, dass mich nie alle Kinder meiner Gruppe regelrecht geliebt haben. Ich hoffe aber, dass alle zumindest mitbekommen haben, dass sie mir wichtig sind, dass ich mich bemühe, fair zu sein. Wenn meine Kinder die Erfahrung gemacht haben, dass das, was ich vorschlage, sage, tue, schon in Ordnung ist, dass das gut für sie ist, zumindest jeder einigermaßen seinen Platz in der Gruppe finden kann, werde ich möglicherweise ein bisschen zu einem Vorbild. Ich glaube schon, dass Kinder sich ihr Menschenbild aus den Personen zurechtzimmern, die ihnen im Laufe ihres Lebens begegnet sind. Meine Hoffnung ist, für die Kinder meiner Gruppe auch eine dieser Personen zu sein.
Manchmal werde ich aber nicht nur "sein" und mich auf meine "Vorbildwirkung" verlassen können, z.B. während bei einem Streit die Beziehungen zwischen den Kindern den Bach runter gehen. Ich werde es für nötig halten, auf das, was Kinder tun oder sagen, zu reagieren, außer bei der Lösung von Konflikten auch bei der Findung von gemeinsamen Entscheidungen zu helfen. Oder ein Kind erzählt mir etwas, das ich nicht gut finde, schimpft z.B. über Ausländer/innen und behauptet alle möglichen negativen Dinge über sie - da kann ich Stellung beziehen, indem ich z.B. sage, dass ich solche Erfahrungen noch nicht gemacht habe.
Mein zweites "Werkzeug" ist das Programm, das ich für die Gruppenstunde vorbereite.
Auch durch die Programmgestaltung kann ich den Kindern meine Werte vorleben: Ist für jedes Kind etwas dabei? Versuche ich Programmpunkte zu vermeiden, bei denen es zu Streit kommen muss, die für einzelne Kinder unangenehm sein können und die dazu führen, dass die Beziehungen in der Gruppe leiden?
Eine weitere Möglichkeit ist es, Werte in einer thematischen Gruppenstunden explizit zu behandeln. Davor überlege ich mir, ob es mir wichtig ist und den Kindern hilft, sie mit meiner Meinung zu konfrontieren. Oft will ich einfach, dass sie sich Gedanken über eine Sache machen und zu den für sie richtigen Ergebnissen kommen, indem sie z.B. in verschiedenen fiktiven Situationen selbst überprüfen, welche Entscheidung sie hier für sich treffen würden.
Will ich die Kinder mit meinen Werten konfrontieren, müssen sie verstehen können, was mir warum wichtig ist, und sich damit auseinandersetzen, was das für sie heißt. Wie kann das nun konkret ausschauen?
Viele Dinge sind Kindern ohnehin schon bewusst, auch wenn sie sich (noch) nicht immer daran halten können. Dann genügt es oft, daran zu erinnern. Ein Beispiel: Ich möchte eine Gruppenstunde machen, in der es darum geht, wie man mit seiner Wut umgehen soll, ohne dabei jemandem zu schaden. Nachdem wir zuerst gesammelt haben, was einen denn alles wütend machen kann, wird dann geschaut, wie man die Wut wieder los wird. Da bringe ich ein, was mir wichtig wird: Ich frage nicht einfach: "Wie kann man denn in der Situation seine Wut wieder los werden?", sondern "Wie kann man seine Wut los werden, ohne dass es dafür nachher jemand anderem schlechter geht?". Durch die Art der Fragestellung habe ich also die Möglichkeit, vorzugeben, was ich für richtig halte. Die Entscheidung, was das im konkreten Einzelfall heißt, kann ich den Kindern aber nicht abnehmen.
Als Gruppenleiter war mir immer die Beziehung zu meinen Kindern wichtig. Ich glaube, das war mein wichtigstes Werkzeug. Ich wollte den Kindern niemals den Eindruck vermitteln, an ihnen "herumerziehen" zu wollen, sondern vielmehr, dass sie mir als Menschen wichtig sind. Solange das gelingt, glaube ich, kann man das Thema "Werteerziehung" gelassen angehen.
Marcus Bruck