Dumpstern

…sagt der Hausverstand!?

Vegetarier/innen sind schon längst Teil des Mainstreams, an vegan lebende Menschen hat sich der Markt und die Gesellschaft auch schon gewöhnt, doch Freeganer/innen stoßen immer noch auf Ekel, Skepsis und Unverständnis: Wovon sie sich ernähren? Von Lebensmitteln, die andere weggeworfen haben. Ekelhaft? Nur auf den ersten Blick!

Zugegebenermaßen, anfangs mag es absurd erscheinen: Wer macht denn so etwas in unseren Breitenkreisen, wo man meinen möge, dass niemand Hunger leiden muss und so zu diesen Mitteln getrieben wird? Abgesehen davon, dass es auch in Österreich Menschen gibt, die zu wenig verdienen, um sich und/oder ihre Familien mit ausreichend Nahrung versorgen zu können, tun diese Leute es in der Regel nicht, weil sie sich kein Essen leisten können, sondern aus Prinzip. Freeganismus ist für manche eine Lebenseinstellung, sowie für wieder andere der tägliche „Kick“ – denn „Müll“ durchwühlen und Lebensmittel mitnehmen ist im Grunde genommen verboten, sprich Diebstahl.

Auf den Punkt gebracht geht es darum, so wenig wie möglich zu konsumieren. Das Wort Freeganer entstand aus dem englischen Wort „free“, zu deutsch gratis, und „vegan“, also das Vermeiden von tierischen Produkten oder Dingen, die an Tieren getestet wurden. Freeganismus geht noch einen Schritt weiter, indem man betont, dass es in unserer Welt der komplexen industriellen Massenproduktion ständig zu einer Ausbeutung entweder von Tieren, Menschen oder der Erde an sich kommt. Beginnend bei der Ressourcengewinnung, über Produktion bis hin zu Transport und oft auch Verkauf. Freeganer/innen versuchen, alternative Ernährungs- und oft auch Lebensstrategien zu finden, abseits des konventionellen Wirtschaftssystems, das ganz massiv auf Konsum und enormen Ressourcenverbrauch ausgerichtet ist. Das Ziel ist es, möglichst kostenfrei zu leben und wenige Ressourcen zu verbrauchen, indem man durch den Wegfall des Einkaufes nicht mehr Teil des Konsum- und Verbrauchs-Zyklus ist.

Die auf den ersten Blick so absurde Praxis des „Containerns“ (also das Mitnehmen weggeworfener Lebensmittel aus Abfallcontainern oder Müllkübeln, auch bekannt unter den Namen „Dumpstern“ oder „Dumpster Diving“) erscheint unter einem anderen Licht, wenn man sich über den Hintergrund bewusst wird: Während weltweit über 850 Millionen Menschen von Hunger betroffen sind und selbst in Österreich 13,2% der Bevölkerung armutsgefährdet sind (Sozialministerium, 2006), werden laut einer Studie des Instituts für Abfallwirtschaft der Universität für Bodenkultur (2007) pro Jahr und Person 66-240 kg Lebensmittel weggeworfen – nur in den Privathaushalten! Hinzu kommen noch Supermärkte, Restaurants und Kantinen, wo tonnenweise Lebensmittel weggeschmissen werden. Oft ist es aus Hygiene- oder anderen Gründen nicht erlaubt das Essen gratis abzugeben oder nach Ladenschluss wohltätigen Einrichtungen zukommen zu lassen. Stattdessen landet es im Müll. So wird in Wien jeden Tag so viel Brot weggeworfen, wie in ganz Graz gegessen wird. Fast jedes fünfte Brot landet somit im Müll. Und nur weil etwas im Müll landet, heißt es nicht, dass Freeganer/innen Müll essen. Viele Lebensmittel sind zum Beispiel in größeren Portionen verpackt, wenn so in etwa in einem Sack Mandarinen, eine leicht zu faulen beginnt, muss das gesamte Netz weggeworfen werden, eine irre Verschwendung also.

Schätzungen zufolge zählt die Freeganer/innen-Gemeinde in Wien geschätzte 250 Mitglieder, Tendenz steigend. Es ist eine gelungene Kombination aus einem einfachen, kostengünstigen Lebensstil und einer Konsumverweigerung, die auch auf die Missstände in unserer Überflussgesellschaft aufmerksam machen soll. Dass „Dumpstern“ keine Lösung zur Wegwerfgesellschaft bieten kann, ist klar. Und auch wenn es nicht jedermanns Sache ist, ist der wertvolle Beitrag einer Systemkritik und einer Bewusstmachung nicht zu unterschätzen!

Auch durch öffentlichkeitswirksame Aktionen, so zum Beispiel rund um den Supermarkt-Aktionstag am 17. April vergangen Jahres, werden uns Konsument/innen die Ausmaße unseres Überflusses mit alle seinen negativen Facetten vor Augen geführt. So kann man auch im Kleinen den persönlichen Umgang mit Konsum und Verbrauch von Lebensmitteln verändern. Ein Umdenken hierbei wäre nämlich ein erster und wichtiger Schritt. Das sagt mir zumindest MEIN Hausverstand.

Mehr Infos zu Freeganismus in Österreich findest du unter www.freegan.at.

Clemens Huber

aus dem kumquat "grün" 1/2010