Wenn Kinder über Sex Fragen stellen…

Das Thema Sexualität gilt für viele immer noch als ein brisantes, über das man eher nicht redet – eine Strategie, die für eine gute Entwicklung von Kindern und Kinderschutz eher kontraproduktiv ist. Die Katholische Jungschar arbeitet bereits seit vielen Jahren im Bereich Prävention von sexueller Gewalt und versucht Gruppenleiter/innen, aber auch andere mit Kindern in der Kirche arbeitende Personen, zu den Themen Nähe/Distanz, Gewalt und Sexualität zu sensibilisieren – und das Reden darüber gehört hier nun mal dazu.

Über Sex reden!

Was macht man bei einem Zungenkuss? Was heißt jemandem einen blasen? Was mache ich, wenn sie mit mir zam sein will? Warum hab ich noch keinen Busen?

Solche und andere Kinderfragen rund um Verliebtsein und Sex können einem auch schon mal in einer Jungschar- oder Ministrant/innengruppe unterkommen. Oft ist man im ersten Moment überrumpelt, weiß nicht so genau, wie man darauf reagieren soll, oder ob man vielleicht zu weit gehen würde, wenn man hier im Detail antworten würde. Vorweg einmal: Jungschar und Mini-Stunden sind keine Orte, an denen Aufklärungsarbeit geleistet werden muss. Hierfür gibt es geeignetere Rahmenbedingungen oder Räume und einige Gruppenleiter/innen wären wohl mit so manchen Fragen überfordert. Jungschar ist aber sehr wohl ein Ort, an dem Kinderfragen ernst genommen werden müssen, auch solche rund um die Themen Liebe & Sexualität. Wissen über Sex und Gefühle, die in unserem Körper entstehen, sowie ein Sprechen darüber, sind wichtige Instrumente der Prävention zur Verhinderung sexueller Gewalt an Kindern, weshalb wir dem hier auch Raum widmen wollen und einen entspannten Umgang mit kindlichen Fragen zu Sex anregen. Durch den zunehmend einfacheren und niederschwelligen Zugang zu pornographischen Inhalten im Internet (besonders leicht über Smartphones auch mit anderen teilbar) werden Jugendliche und auch schon Kinder immer früher mit Sex konfrontiert, gleichzeitig mit ihren Fragen dazu aber oft allein gelassen. Dieses Feld ist eines, das bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in den kommenden Jahren zunehmend wichtig sein wird, auf das man sich aber auch bis zu einem gewissen Maß vorbereiten kann.

Auch wir müssen darüber sprechen (lernen)

Die in den letzten Jahren ans Licht gekommenen Missbrauchsfälle in der Kirche haben hier auch innerkirchlich einiges in Bewegung gesetzt. Es gab intensive Auseinandersetzung zu Missbrauchsprävention, aber auch Sexualität allgemein und ein längst überfälliger Diskurs wurde wenngleich vielleicht noch nicht umfassend ins Rollen gebracht, so doch angestoßen. Leibfeindlichkeit und Tabuisierung von Sexualität sind nicht nur entwicklungshemmend und belastend, sondern schaffen auch Rahmenbedingungen, die Täter/innen mehr Spielraum lassen, als solche, wo offen über Sexualität gesprochen und der eigene Körper als etwas Schönes und Schützenswertes geschätzt wird. Kinder, die vermittelt bekommen, dass über Sexualität nicht geredet werden darf, und ihre Gefühle nicht klar benennen können, weil sie es z.B. nie gelernt haben oder immer dazu angeregt wurden, ihre Gefühle zu unterdrücken und zu verleugnen („Hör auf zu weinen, das macht ein Bub nicht!“ als leider nach wie vor prominentes Beispiel), werden unter Umständen eher von Täter/innen ins Visier genommen. Mehr noch als auf der individuellen Ebene, bieten Orte, an denen eine strenge Hierarchie herrscht, wo Sexualität und auch Gefühle tabuisiert werden und Leibfeindlichkeit an der Tagesordnung steht, Täter/innern tendenziell mehr Anbahnungsmöglichkeiten und in der Vergangenheit kam es an solchen Orten auch häufiger zu Übergriffen (z.B. autoritär geführte Internate).

Da wir Jungschar und Kirche als Raum gestalten wollen, in dem sich Kinder wohl fühlen und sie bestmöglich vor Übergriffen jeglicher Art geschützt sind, ist es wichtig, dass wir Gruppenleiter/innen, Diözesanverantwortlichen und Kirche allgemein, uns mit diesem Thema auseinandersetzen. Kinder sollen erleben, dass der eigene Körper etwas Wunderbares und Sexualität einfach ein Teil davon ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass man auf alle Fragen der Kinder eingehen muss und man Sexualität ständig thematisieren müsste. Ein paar Rahmenhinweise können vielleicht Klarheit schaffen.

Grenzen beachten!

So sehr wir auffordern, Kinderfragen ernst zu nehmen und nach Möglichkeit zu beantworten, so sehr gilt es hierbei auf Grenzen zu achten. Zu allererst wären da eure eigenen. Wenn mir eine Frage zu intim ist, habe ich natürlich das Recht mit dem Verweis auf meine eigene Privatsphäre nicht zu antworten („Das ist mir zur persönlich, darauf mag ich nicht antworten.“). Ebenso wird es Fragen geben, die mir zu schwer, oder auch zu „heiß“ sind. Hier ist es ebenso legitim, die Kinder an jemand anderen zu verweisen - immer aber mit einer entsprechenden Erklärung. („Ehrlich gesagt glaub ich, dass ich das nicht gut erklären kann, frag lieber jemand anderen.“ oder „Frag da vielleicht besser deine/n Papa/Mama, ich finde es wichtig, dass du mit denen da drüber redest.“)
Beachte allerdings, dass deine Antwort den Kindern nicht das Gefühl vermittelt, sie hätten eine „schlechte“ Frage gestellt, oder eine Grenze überschritten, denn Kinderfragen, so seltsam sie auch anmuten, so sehr sie vielleicht unsere eigene Schamgrenzen überschreiten oder uns irritieren, sind niemals schlecht. Du musst auch bedenken, dass es vielleicht einen Grund hat, warum die Kinder mit ihren Fragen zu dir und eben nicht zu ihren Eltern o.Ä. kommen. Es ist also auch ein großer Vertrauensbeweis deiner Kinder, wenn sie mit Fragen zu dir kommen.

Nahe an den Kinderfragen antworten

Wenn die Frage es ermöglicht, empfiehlt es sich, bei der Antwort nahe an den Kinderfragen zu bleiben und auf eine kindgerechte Antwort zu achten. Bei einer Frage danach was zum Beispiel „Ficken“ eigentlich bedeutet, reicht es z.B. vorerst zu erklären, dass dies ein anderer Ausdruck für „Liebe machen“ oder „Sex haben“ ist, oft aber auch als Schimpfwort benutzt wird. Wenn Kindern etwas unklar ist (z.B. sie nicht wissen, was „Liebe machen“ bedeutet), oder sie mehr wissen wollen, werden sie meist ohnehin nachfragen.

Nicht werten!

Menschliche Sexualität, was Leuten Freude und Lust bereitet, sowie menschliche Körper und wie diese im Detail aussehen, sind so mannigfaltig wie die Menschheit selbst! Achte bei deinen Antworten daher darauf, nicht zu werten, keine Wörter wie „normal“ oder gar „unnatürlich“ zu verwenden (denn welcher Körper ist schon „normal“, und „Unnatürlichkeit“ gibt es sowieso per defintionem nicht).

Vielleicht mag manchem/r Leser/in des Kumquats dieser Artikel recht mutig erscheinen, oder mit eigenen Moralvorstellungen nicht einhergehen. In meiner Arbeit für die Jungschar im Bereich Prävention sexueller Gewalt bin ich in den letzten Jahren mit so vielen beklemmenden Situationen, so viel unnötiger Tabuisierungen, so viel Unsicherheit, so viel Angst und Verletzung konfrontiert worden, dass ich gar nicht anders kann, als genau diesen Kurs einzuschlagen, von dem ich hier kurz berichtet habe: Den einer Enttabuisierung, einem lockereren Umgang mit dem „natürlichsten“ Thema der Welt, einem positiven Zugang zu Sexualität. „Hinsehen statt Wegschauen“ ist ein Credo zur Verhinderung sexueller Gewalt. Ein anderes könnte genauso „Darüber reden und nicht schweigen“ sein.

Clemens Huber

kumquat "Liebe" 3/2013