Von braven Mädchen und starken Buben
David spielt am liebsten mit einer Puppe. Milica liebt es, aus Legotechnik Autos zusammenzubauen. Ursula hat ganz kurze Haare und zieht sich am liebsten weite Leiberl an. Günther trägt zu Hause einen Rock. Manfred will nach der Väterkarenz gar nicht mehr zurück in seinen Joballtag, weil er die Vormittage am Spielplatz mit seiner Tochter sehr genießt. Susanne hat Norbert einen Heiratsantrag gemacht. Wenn bei Lukas und Mona zu Hause zum Beispiel der Videorekorder nicht geht, repariert ihn Mona.
Ist dir bei dieser Aufzählung etwas komisch vorgekommen? Was? Möglicherweise hast du dich über die Rollenaufteilung gewundert?
Neulich gingen wir an einem Buchgeschäft vorbei und unsere Blicke blieben an einer Auslage hängen, die zweigeteilt war: Auf der einen Seite, die mit rosa Stoff hinterlegt war, wurden Bücher zu „Mädchenthemen“ angepriesen, z.B. Handarbeiten, Ponyhof, Schminktipps, Liebesromane, etc. Auf der anderen Seite, blau hinterlegt, wurden „Burschensachen“ vorgestellt, sprich Abenteuer, Campen, Staudamm bauen, Autos, etc. Kommt dir diese Aufzählung schon eher bekannt vor?
Viele Interessen, Fähigkeiten und Eigenschaften sind scheinbar nicht „neutral“, sondern werden in der Regel einem bestimmten Geschlecht zugeteilt. Das Interessante hierbei ist, dass Kinder zunächst nicht als Mädchen oder Buben wahrgenommen werden, weil sie in einer bestimmten Weise handeln, sondern ihre Handlungen werden aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit eingeschätzt und bewertet. Ziel der Erziehung ist es also oft immer noch, dass Mädchen „richtige Frauen“ bzw. Buben zu „richtigen Männern“ werden sollen (was auch immer „richtig“ bedeutet). Man wird also (gesellschaftlich gesehen) nicht als Mädchen oder Bub geboren, sondern dazu gemacht, bzw. macht sich selbst dazu, weil es aufgrund der Suche nach einer Identität auch wichtig ist, sich bestimmten Gruppen oder Rollenbildern zuordnen zu können. Oft versuchen Mädchen schon sehr früh, möglichst weiblich zu wirken und Buben, möglichst männlich zu agieren.
Jahrhundertelang wurden bestimmte Bilder vom typischen Mann und von der typischen Frau vorgegeben: Der Mann als Beschützer, Erhalter und Ernährer seiner Familie, gut ausgestattet für den alltäglichen Kampf in der (feindlichen) Welt; die Frau als Gebärende und mit Versorgung von Haushalt und Kindern befasst, kundig in all jenen Bereichen, die zur Erhaltung eines „trauten Heims“ gehören. Diese geschlechtsspezifische Arbeits- und Aufgabenteilung bildete die Grundlage für die noch heute existenten Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Natürlich gibt es auch biologische Unterschiede, die im Vergleich dazu aber eher gering sind.
Die Unterschiede zwischen Mann und Frau werden im Alltag, aber auch in den Medien selbst heute noch sichtbar gemacht. Schon ab dem Zeitpunkt der Geburt wird durch bestimmte Aussagen signalisiert, wie wichtig die Unterschiede sind. Wenn ein Bub geboren wird, hört man oft, es sei ein „strammer Junge“, ein „starkes, aufgewecktes Kind“, bei Mädchen hingegen fallen viel öfter die Begriffe „brav“, „lieb“ und „hübsch“. Wenn man in ein Spielzeuggeschäft geht, um ein Geschenk für ein Kind zu kaufen, wird man als erstes, meist noch vor dem Alter, gefragt, ob es denn ein Mädchen oder ein Junge ist. Je nachdem werden einem dann unterschiedliche Spielzeuge und Dinge angeboten.
Mädchen werden viel mehr als Burschen dazu angehalten, sich drinnen zu beschäftigen, weniger ermutigt rauszugehen, ihnen werden nach wie vor eher Aufgaben im Haushalt zugeteilt. Mädchen lernen mit ihrer stärkeren Einbindung in die Familie, sich auf andere zu beziehen und früh Rücksicht zu nehmen. Ihnen wird deshalb auch verstärkt Emotionalität und Gefühlsbetontheit zugeschrieben. Dies zeigt sich auch in Berufen, die typischerweise von Frauen ausgeübt werden: z.B. Krankenschwestern, Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, Reinigungskräfte, also Berufe im Dienstleistungssektor bzw. Hilfstätigkeiten. Traditionelle Frauenberufe werden in der Regel schlechter bezahlt und bieten weniger Aufstiegschancen. Weiters sind viele Frauen, oft unfreiwillig, in Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen, da sie sich, wie es sich für „richtige Frauen“ gehört, meist auch um Haushalt und Familie kümmern müssen.
Burschen hingegen sind das „starke Geschlecht“, die Ballspielen geschickt werden, sich öfter draußen aufhalten, auf Bäume klettern, wild und laut sein dürfen. Sie bekommen Aussagen wie „ein Indianer kennt keinen Schmerz“ zu hören, werden von klein auf dazu angehalten, über sich selbst hinauszuwachsen, sich größer und stärker zu geben, als sie sind. Das Zeigen von Emotionen, z.B. weinen, wird weniger toleriert. Weil für Buben oft die Wahrnehmung und der Zugang zu der „Innenseite“ ihrer Gefühle verschlossen wird, müssen sie sich teilweise mehr nach außen als Mann „produzieren“. Dafür gibt es verschiedene Strategien: Leistung mit dem Ziel, immer mehr zu schaffen, Mutproben und Rivalitäten, Abwertung von Frauen, aber auch von allem „Nicht-Männlichen“. Auch hier zeigt sich die Erziehung und Sozialisation im späteren Leben, so z.B. in der Berufswelt, wo es einerseits Männerdomänen gibt – technische Berufe, Berufe wo körperliche Kraft verlangt wird, wirtschaftliche bzw. mathematische Branchen – und andererseits nach wie vor mehr Männer als Frauen in Führungspositionen zu finden sind. Neueste Untersuchungen haben ergeben, dass die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen größer wird und z.B. in Österreich im Jahr 2008 Vollzeitbeschäftigte Frauen durchschnittlich nur 78% des Einkommens von Männern verdienten.
Wir sind also noch weit davon entfernt, von der angestrebten Gleichheit sprechen zu können. Die Dominanz von Männern im öffentlichen Leben zeigt sich auch in der Sprache. Das „generische Maskulinum“, dass also Frauen in männlichen Begriffen mit eingeschlossen sind (Ärzte, Gruppenleiter, etc.) spiegelt die Ungleichheit der Geschlechter wider. Wie dir vielleicht schon aufgefallen ist, bemühen wir uns im Kumquat daher um eine geschlechtersensible Sprachregelung und verwenden die Form „-/innen“.
Warum thematisieren wir die Unterschiede der Geschlechter? Oft sind wir uns gar nicht darüber bewusst, mit welchen Bildern wir ständig konfrontiert sind und wie sehr wir versuchen, ihnen zu entsprechen. Dieses „entsprechen müssen“ erzeugt viel Druck: Mädchen müssen schön und dünn sein, Buben groß und stark. Wenn wir uns nicht so fühlen, sind wir enttäuscht und haben das Gefühl, wir sind nicht normal oder richtig und fühlen uns unsicher, schüchtern, nicht gut. In solchen Phasen ist es gut, mit Leuten darüber sprechen zu können, wie es uns geht. Und es ist auch wichtig, von außen zu hören, dass wir den Idealen von Mann und Frau, die uns täglich suggeriert und gezeigt werden, nicht entsprechen müssen!
In der Kinderrechtskonvention ist ebenso wie in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Artikel 2 festgeschrieben, dass jede und jeder die gleichen Rechte und Freiheiten hat, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Religion, Sprache und eben auch Geschlecht. Auch in der Jungschar sollen alle Kinder die gleichen Möglichkeiten haben, unabhängig ob sie Mädchen oder Burschen sind! Es geht nicht darum, Mädchen und Burschen zu Dingen zu drängen, die sie nicht mögen, sondern ihnen prinzipiell die gleichen Möglichkeiten einzuräumen und zuzugestehen. David soll mit Puppen spielen dürfen, Ursula nicht wegen ihrer kurzen Haare gehänselt werden, Günther einen Rock anziehen und Milica ihre Leidenschaft für Technik ausleben können. Unsere Aufgabe ist es nicht, Kinder zu „richtigen“ Frauen oder Männern zu machen, sondern ihnen Raum zu geben, so zu sein, wie sie gern sein wollen.
Betti Zelenak und Clemens Huber
[aus dem kumquat "macht" 2009]