Mit Rollen spielen

Max ist schrecklich verliebt. In Eva. Jedes Mal, wenn er sie am Pausenhof nur von weitem sieht, beginnt sein Herz zu rasen und er (der sonst unglaublich coole Sprüche drauf hat) weiß nicht mehr so recht, was er sagen soll. Heute fasst er sich ein Herz und geht zu ihr hinüber. Lässig streckt er Eva seine Jausen-Banane entgegen und meint: „Ich Tarzan, Du Jane!“. Als er Evas Blick bemerkt, fällt ihm auf, dass das wohl doch nicht ganz der richtige Weg war, um ihr Herz zu erobern. Er dreht also um, geht einige Schritte zurück und beginnt nochmal ganz von vorne.

Luisa hat sich schon unglaublich auf ihren Ferialjob bei der Zeitung gefreut. Gestern noch hat sie ihrer Freundin voll Vorfreude davon erzählt und dann kam die Absage. Jetzt sitzt sie im Büro der Filialleiterin vom Supermarkt nebenan und bangt darum, gerade noch einen Aushilfs-Job zu bekommen. Was sie auf die Idee gebracht hat, hier zu arbeiten? „Also eigentlich wollte ich ja nie im Leben hier...“ Peinlich. Am liebsten wäre Luisa für diese Antwort gleich im Erdboden versunken. Stattdessen steht sie wortlos auf, geht zur Tür hinaus, kommt wieder herein und beginnt einfach nochmal von vorne.

(K)Eine zweite Chance
Wer hat nicht schon mal davon geträumt, Gesagtes oder Getanes einfach ungeschehen machen zu können – wie mit der Returntaste am Computer. So einfach geht das aber in der Realität nicht. Im Rollenspiel jedoch schon!

Hier können Kinder unterschiedliche Rollen und Handlungsvarianten ausprobieren. Szenen können problemlos öfter hintereinander mit unterschiedlichem Verhalten der spielenden Personen versucht werden, ohne dass etwas schiefgehen kann. Auch „herumspulen“ ist kein Problem. So können unterschiedliche Lösungsansätze für Probleme und Konflikte gemeinsam erprobt werden und die Kinder lernen fremde Standpunkte kennen, wenn sie sich in die Rolle hineinversetzen. Besonders toll am Rollenspiel ist, dass man einmal sein kann, wie man sonst nie ist: Der schüchterne Andreas setzt sich in seiner Rolle durch und sagt den anderen so richtig die Meinung. Die resolute Bianca spielt die Außenseiterin, die sich erst an der neuen Schule zurechtfindet. Wichtig dabei ist nur, dass Kinder nie sich selbst oder eine sehr ähnliche Rolle spielen, das kann leicht zu schwierigen Situationen führen, da es kaum möglich ist, sich selbst zu „spielen“. Außerdem geht es in Rollenspielen immer auch um einen Perspektivenwechsel und darum, durch neue Blickwinkel dazuzulernen.

Was es sonst noch zu beachten gilt, wenn ihr in eurer Gruppe Rollenspiele spielt, ist hier kurz zusammengefasst:

Worum geht’s?
Zuallererst braucht ihr ein Thema, um das sich das Rollenspiel drehen soll. Egal, ob es „just for fun“ ist oder ob du es als Methode in einer thematischen Gruppenstunde einsetzt, es ist wichtig, dass die Situation, die die Kinder spielen sollen, klar eingegrenzt ist. Die Situationsbeschreibung sollte nicht zu lang sein, aber trotzdem alle wichtigen Informationen wie den Ort, evtl. die Vorgeschichte der Szene, das Problem oder den „Auftrag“ für die Kinder enthalten. Besonders für ungeübte Schauspieler/innen ist es wichtig, eine möglichst konkrete Situation zu bekommen. Mindestens genauso wichtig sind die Rollenbeschreibungen. Je klarer sie sind, desto besser können sich die Kinder vorstellen, wie der Mensch ist, den sie darstellen sollen. Dabei helfen Angaben wie das Alter, Beruf, prägnante Charaktereigenschaften oder die Meinung/Einstellung zum jeweiligen Thema, evtl. auch schon mit einem Argument dafür oder dagegen. Achte aber auch darauf, dass nicht schon alles mit den Situations- und Rollenbeschreibungen vorweggenommen ist – die Kinder sollen schließlich kein Drehbuch nachspielen, sondern selbst Dinge ausprobieren können. 

Kopfüber in die Kostümkiste
Neben den Texten, die erklären, worum es gehen soll hilft noch etwas anderes beim Hineinversetzen in die Situation und in die Rolle: Verkleidungen und Requisiten! Einerseits erfüllen Verkleidungen den Zweck, dass die Zuschauer/innen wissen, wer wer ist und es schön klar ist, wann das Kind die Rolle spielt und wann es wieder er/sie selbst ist. Andererseits machen sie auch einfach Spaß. Für manche Gruppen ist das Verkleiden und die Suche nach passenden Requisiten aufregender als das Rollenspiel selbst. Und einen praktischen Nebeneffekt haben Requisiten wie Handys oder Zeitungen auch noch: Sie laden zum Tun ein und die Kinder haben von Anfang an eine Beschäftigung. So klappt der Einstieg ins Rollenspiel gleich besser.

Rolle ist Rolle ist Rolle...
… und nie das Kind, das sie spielt. Stell von vornherein klar, dass das Rollenspiel dazu da ist, Dinge auszuprobieren, und dass es nicht um ein gut oder schlecht, ein richtig oder falsch geht. Gerade wenn ihr das Rollenspiel nachbesprecht, um auf gemeinsame Ergebnisse zu kommen, kann in der Hitze des Gefechts leicht die Trennung zwischen Kind und Rolle vergessen werden. Achte darauf, dass über die Personen nur mit dem Rollennamen gesprochen wird. Also nicht „der Tobi hat total über die Manuela geschimpft“ sondern „die Frau Meckerig hat über ihre Nachbarin geschimpft“ und nicht „die Lisa sagt nie was“ sondern „die Straßenbahnfahrerin hätte öfter ihre Meinung sagen sollen“. So bewahrst du den geschützten Rahmen, in dem die Kinder viel ausprobieren und sicher sein können, dass sie dafür von der Gruppe nicht verurteilt werden.

Und was mach ich dabei?
Für dich als Gruppenleiter/in gilt: Grundsätzlich einmal mitspielen! Wenn du mitmachst, kannst du einerseits Impulse geben, die die Kinder aufgreifen können und andererseits auch regulierend auf die Situation einwirken und so den Spielverlauf positiv steuern – immer vorausgesetzt, deine Rolle lässt das auch zu. Such dir also Rollen aus, in denen du sinnvoll in das Spielgeschehen eingreifen kannst: Das geht natürlich als Zugschaffner besser als als dreijähriges Kind. Wenn einmal nicht alle mitspielen, kannst du natürlich auch bei den Zuschauer/innen bleiben. Apropos zuschauen: Nur beobachten wird schnell langweilig, daher ist es gut, den Kindern, die gerade nicht spielen, eine Aufgabe zu geben. Das kann z.B. sein, dass sie „Stopp“ sagen dürfen und die Szene friert ein. Dann können sie ihre Ideen einbringen oder auch ins Spiel einsteigen und eine Rolle übernehmen. Oder sie bekommen rote, gelbe und grüne Kärtchen, die sie hochhalten und damit zeigen, wie ihnen der Verlauf der Situation gefällt. Die Schauspieler/innen reagieren darauf und behalten entweder die Richtung bei oder ändern ihr Verhalten.

Aller Anfang ist schwer
Wenn du mit deiner Gruppe noch nie ein Rollenspiel ausprobiert hast, kann es am Anfang für die Kinder recht ungewohnt und für einige vielleicht sogar unangenehm sein, vor den anderen zu schauspielern. Startet also nicht gleich mit einer schwierigen Szene, in der die Kinder z.B. einen Konflikt lösen sollen. Lasst euch genug Zeit zum Ausprobieren von Rollenspielelementen und beginnt mit einfachen Übungen wie pantomimisches Darstellen von Begriffen oder Gefühlslagen und Situationen wie wütend sein, kichern, verliebt sein, tratschen, etc. wortlos ausdrücken. In der Spielemappe findet ihr dazu viele verschiedene Ideen. Wenn ihr euch Schritt für Schritt ans Rollenspielen herantastet, findet sicher auch ihr eine Form, die euch Spaß macht und mit der ihr viel Neues ausprobieren könnt.


Sandra Fiedler

[aus dem kumquat "DerDieDas" 2010]