Über eine lange Zeit hinweg war in der Römisch-katholischen Kirche die Sichtweise dominant, sich als überlegen den anderen Religionen gegenüber zu verstehen. So wurde Mission auch oft mit Gewalt und Zwang verbunden, um Gläubige anderer Religionen zum Christentum zu bekehren.
Zentraler Wendepunkt im Verhältnis zu anderen Religionen war das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965), besonders das Dokument “Nostra aetate. Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen.” (Nostra aetate heißt übersetzt „In unserer Zeit“.) Dieses Dokument hat eine spannende Entstehungsgeschichte: Der Konzilspapst Johannes XXIII war nämlich während der Zeit des Nationalsozialismus im diplomatischen Dienst tätig und wurde so mit den Folgen der Judenverfolgungen konfrontiert. Vor diesem persönlichen Hintergrund war ihm eine “Judenerklärung” ein Anliegen, um Antisemitismus zu verurteilen und die Wurzeln der Kirche im Judentum zu betonen.
Dagegen gab es jedoch (unter anderem aus Gründen, die mit der politischen Lage des Nahen Ostens zu tun hatten) viele Widerstände. Zahlreiche Debatten und Änderungen folgten - schließlich war dann der Kompromiss, nicht nur das Verhältnis zum Judentum, sondern auch zu den anderen nichtchristlichen Kirchen zu behandeln. Waren die Gläubigen anderer Religionen bis dahin ausschließlich potentielle Adressat/innen von Mission, wurden sie nun als Gläubige anerkannt und ernst genommen.
Eine, wenn man die Kirchengeschichte bis dahin bedenkt, wirklich revolutionäre und bemerkenswerte Formulierung sind folgende Sätze im zweiten Abschnitt von “Nostra Aetate”:
“Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.”
Die Wahrheit ist also nicht länger “Eigentum” des Christentums, sondern findet sich auch dort, wo Menschen andere Dinge glauben und leben. So einfach und selbstverständlich das heute klingen mag, so radikal war diese neue Sicht zu Zeiten des Konzils. Und dass es auch heute in der tagtäglichen Praxis keineswegs einfach und keineswegs selbstverständlich ist, das nicht abzulehnen, was andere für wahr und heilig halten, zeigen zahlreiche Konflikte zwischen Angehörigen verschiedener Religionen, ob bei uns oder in anderen Ländern und Kulturkreisen – nichtsdestotrotz sind wir dazu aufgerufen!
Kathrin Wexberg
Zum Weiterlesen:
Erich Zenger: Nostra Aetate. Der notwendige Streit um die Anerkennung des Judentums in der katholischen Kirche. In: Günther Bernd Ginzel/Günter Fessler (Hgg.): Die Kirchen und die Juden. Versuch einer Bilanz. Bleicher Verlag, Gerlangen 1999. S. 49-81.
Thomas Roddey: Das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen: die Erklärung „Nostra aetate“ des Zweiten Vatikanischen Konzils und ihre Rezeption durch das kirchliche Lehramt. Schöningh, Paderborn 2005.