Der Jude Jesus

Diese Überschrift wirkt vielleicht auf den ersten Blick irritierend, weil wir gewohnt sind, Jesus ganz selbstverständlich als Teil des Christentums zu sehen. Die historische Person Jesus war aber ganz unzweifelhaft Jude: Er ging als Kind mit seinen Eltern in den Tempel, er feierte die jüdischen Feste wie Pessach. Davon wird auch einiges in Texten des Neuen Testamentes erzählt. Auch einer der wohl bekanntesten von Jesus überlieferten Sätze zeigt sehr deutlich seine Verankerung im Judentum: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ ist der Beginn von Psalm 22, der im Judentum als Sterbegebet gesprochen wird.

Die Tatsache, dass Jesus als Jude gelebt hat und gestorben ist, ist natürlich für das Verhältnis von Christ/innen zum Judentum ganz entscheidend: Sich als Christ/in mit dem Judentum zu beschäftigen, bedeutet immer auch, sich mit der Religion zu beschäftigen, die Jesus gelebt hat – Papst Johannes Paul II. hat formuliert, dass Juden und Jüdinnen sozusagen unsere „älteren Geschwister“ sind.

Dennoch gibt es eine lange Tradition des christlichen Antisemitismus. Sätze wie „Die Juden haben Jesus umgebracht“ hört man leider auch heute noch. Dass im Namen von Jesus über Jahrhunderte hinweg Gräueltaten begangen wurden, belastet das Verhältnis zwischen Jüd/innen und Christ/innen bis heute – zumal theologisch gesehen im Judentum Jesus keine Rolle spielt. Außerdem war im Christentum lange Zeit die Überzeugung dominant, dass die eigene Religion die bessere sei und jüdische Menschen im Sinne der „Judenmission“ bekehrt werden müssten. Ein wichtiges Signal dagegen war das Dokument „Nostra aetate“, das 1965 am Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossen wurde und ganz klar Wertschätzung für die Wurzeln der Kirche im Judentum artikuliert. So bemühen sich heute viele Initiativen von christlicher und jüdischer Seite um einen wertschätzenden Dialog auf Augenhöhe.

Zum Weiterlesen:
www.christenundjuden.org
Die Homepage des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Theodor Much: Wer killte Rabbi Jesus? Religiöse Wurzeln der Judenfeindschaft. Kremayr & Scheriau 2010.

Kathrin Wexberg