Welche Götter mobilisieren Jugendliche heute? Die Frage, was und an wen junge Menschen heute glauben, interessiert die empirische Sozialforschung seitdem es nicht mehr so eindeutig zu sein scheint, welche religiöse Orientierung Jugendliche haben. Früher, in den Jahrzehnten bis in die 1980er Jahre, da schien die Welt noch „in Ordnung“: Der größte Teil der österreichischen Jugendlichen war, wie die Gesamtbevölkerung, einfach katholisch, einige auch evangelisch. Der kleine atheistische Teil der Jugendwelt schien nicht wirklich beunruhigend. Allerdings beschäftigte man sich ab den 1960er Jahren mit so genannten „Jugendreligionen“, also religiösen Gruppen, die vor allem Jugendliche anzogen. Sie wurden als „Sekten“ bezeichnet, ein Begriff, der eigentlich sehr unklar ist und vor allem die Abgrenzung von einer Großkirche betont. Immer noch schienen die Zuordnungen aber eindeutig.
Uneindeutiger Glaube
Die Jugendsoziologie der 1990er Jahre brachte dann allerdings eine neue Sichtweise: Der Glaube der Jugendlichen sei gar nicht so eindeutig wie angenommen, lautete die Erkenntnis. Es schien, als mischten sich die religiösen Vorstellungen zunehmend. So wurde festgestellt, dass es formell katholische Jugendliche gab, die an die Reinkarnation glaubten und damit den katholischen Glaubensgrundsatz von der Auferstehung der Toten leugneten. Die Herausforderung durch Elemente fernöstlicher Religionen erschien da als die größte. Nirwana statt Himmelreich, Räucherstäbchen statt Weihrauchkessel, buddhistische Meditation statt Gebet, so kamen die bisherigen Eckpunkte eines religiösen Weltbildes durcheinander. Wie aber sollte man Jugendliche einordnen, die zwar Elemente fernöstlicher Religionen aufgenommen hatten, aber dennoch ins christliche Taizé pilgerten? Und wie solche Jugendliche, die bei Weltjugendtagen dem Papst zujubelten, die dort propagierte Sexualmoral aber nicht allzu ernst nahmen? Gerade im Bereich der Sexualität wurde am stärksten deutlich, dass die Lehren der christlichen Kirchen wenig Beachtung bei Jugendlichen fanden und finden.
Jugendliche, so beobachtete die Religionssoziologie, wissen hier sehr genau zu differenzieren. Die Person Jesu und die zentrale Botschaft der Bergpredigt können sehr wohl von Interesse sein, die kirchliche Moral aber wird abgelehnt. Manche Jugendliche sind gerne in einer kirchlichen Jugendgruppe beheimatet und besuchen christliche Großevents, glauben aber weder an die Jungfrau Maria noch an die Auferstehung. Ich war selbst, als ich mit meiner Jugendgruppe Firmvorbereitung machte, etwas verwirrt, als mir gut ein Drittel meiner Gruppe – lauter katholische und für die Firmung bereite Mädchen – erklärte, dass sie an die Wiedergeburt glauben. Und ein Teil davon wieder meinte, dass auch Tiere eine Seele haben.
Autonomie und Selbstbestimmung
Der Zugang Jugendlicher zu Religion folgt keinen einfachen Schablonen. Die Pluralisierung in der Gesellschaft hat zur Folge, dass sich Jugendliche auch in religiösen Fragen selbstständig auswählen, was sie überzeugt und was nicht. Dabei stehen unterschiedliche Weltanschauungen und Glaubenssysteme in Konkurrenz zueinander und werden zum Teil kreativ kombiniert. Folgende Tendenzen lassen sich hier festhalten:
- Christliche Weltanschauungen im engeren Sinn verlieren zahlenmäßig an Gewicht;
- selbstbestimmte und autonome Sinngebung gewinnt an Terrain;
- viele Jugendliche (und auch Erwachsene) leben in religiöser Unbestimmtheit, d.h. sie legen sich nicht fest;
- weit verbreitet ist das „Bricolage“, also das Zusammenbasteln von Glaubensvorstellungen.
Die österreichische Jugendwertestudie 2006/07 zeigt folgendes Bild der aktuellen Jugendreligiosität: 70 Prozent sagen, ja, ich glaube an Gott. Im Jahr 2000 waren es nur 50 Prozent. Trotzdem bezeichnet sich nur ein Drittel der Befragten als religiös. Unter den wichtigen Lebensbereichen rangiert die Religion knapp gefolgt von der Politik an vorletzter.
Die Selbsteinschätzung „Ich bin ein religiöser Mensch“ sank von 52 Prozent im Jahr 1990 auf 42 Prozent im Jahr 2000 und auf jetzt nur noch 34 Prozent. Die Entkirchlichung dagegen scheint allerdings ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht zu haben, im Zeitraum zwischen 2000 und 2006 stagniert sie. Den christlichen Kirchen wird nach wie vor von knapp einem Fünftel der jungen Menschen Kompetenz in moralischen und sozialen Fragen zugesprochen. In ihrer „Schlüsselkompetenz“, nämlich Antworten auf Fragen nach dem Lebenssinn geben zu können, haben die Kirchen signifikant an Achtung verloren. Nur noch knapp ein Drittel der Befragten traut den Kirchen diese Fähigkeit zu.
Im Kasten findet sich eine Zusammenfassung der Ergebnisse der jüngsten Shell-Jugendstudie von 2006 mit anderen Zahlen.
Ich möchte hier übrigens zur Skepsis gegenüber den quantitativen Daten ermutigen; man darf diese nicht als genaue Angaben verstehen, sondern als Tendenzen. Ob Religion im Leben der Jugendlichen nun wichtiger wird oder nicht, wird wohl noch einige Jahre lange umstritten bleiben.
Shell-Jugendstudie 2006: Keine Renaissance der Religion
Die emotionale Vergewisserung der eigenen Kultur geht bisher nicht mit einer Aufwertung oder gar »Renaissance« der Religion einher. Zwar waren Jugendliche im Zusammenhang mit dem Tod des letzten und beim Besuch des neuen Papstes auf dem Weltjugendtag in Köln in den Medien besonders präsent. Außerdem ist die große Masse der Jugend mit Ausnahme der allermeisten ostdeutschen Jugendlichen weiterhin konfessionell gebunden. Dennoch haben Wertesystem und praktisches Verhalten der meisten Jugendlichen nach wie vor nur eine mäßige Beziehung zu kirchlich-religiösen Glaubensvorgaben. Nur 30% der Jugendlichen bekennen sich in einem kirchennahen Sinn als religiös, indem sie an einen persönlichen Gott glauben. Weitere 19% glauben an eine unpersönliche höhere Macht. Sie pflegen damit, besonders wenn sie älter werden, einen Glauben, der nur sehr bedingt etwas mit dem Glaubenssystem der Kirchen zu tun hat. Viele Jugendliche sind glaubensunsicher (23%), besonders unter den jüngeren Jugendlichen. Weitere 28% meinen konsequent, dass sie weder an Gott noch an eine höhere Macht glauben. Diese Absage an die Religion nimmt, ebenso wie der unkonventionelle Glaube an eine höhere Macht, mit dem Alter zu. Nimmt man alle verfügbaren Daten der letzten Jahre zusammen, dann zeigt sich eine im Wesentlichen unveränderte Einstellung Jugendlicher zur Religion.
Dass dennoch viele Jugendliche auf kirchlichen Großveranstaltungen und in der kirchlichen Jugendarbeit präsent sind, erklärt sich daraus, dass viele eine prinzipiell wohlwollende Einstellung zur Kirche haben. 69% finden es gut, dass es die Kirche gibt. Nur 27% der Jugendlichen meinen, dass es, wenn es nach ihnen ginge, die Kirche nicht mehr zu geben brauchte. Dieses generelle Wohlwollen geht aber mit einer weit verbreiteten Kirchenkritik einher. 68% der Jugendlichen finden, die Kirche müsse sich ändern, wenn sie eine Zukunft haben will, 65% sagen, die Kirche hätte keine Antworten auf die Fragen, die sie wirklich bewegen. Das heißt, dass an der Schnittstelle der kirchlich-religiösen Angebote zum Wertesystem und zum Leben der Jugendlichen der Einfluss der Kirchen zumeist endet.
Zuletzt: Was wissen wir vom Glauben der Jugendlichen früher?
Eine letzte Frage sei nun erlaubt, nachdem in diesem Artikel die Vielfalt der Glaubensvorstellungen von Jugendlichen heute dargestellt wurde: Was glaubten junge Menschen früher? War der Glaube unserer Großeltern tatsächlich so viel eindeutiger als jener der Jugendlichen heute? Studiert man Quellen zur Mentalitätsgeschichte, dann zweifelt man daran. Auch früher waren Jugendliche kritisch und konstruierten sich ihre Glaubenswelten in Abgrenzung zur Erwachsenenwelt. Freilich war es schwerer, alternative Glaubensvorstellungen öffentlich zu präsentieren, als heute, aber wer konnte schon die inneren Glaubensvorstellungen kontrollieren? Nihilismus lässt sich auch in der Literatur der Romantik finden, Naturkosmologie und nekrophiler Todeskult („Grufties“) sowieso.
Es ist schwer darüber Auskunft zu geben, wie sich Welt- und Glaubensbilder in früheren Jahrzehnten quantitativ verteilten. Dennoch ist es wichtig, die aktuellen Ergebnisse der Jugendsoziologie bezüglich des Glaubens der Jugendlichen historisch etwas zu relativieren. Es darf aber vermutet werden, dass der Glaube der jungen Menschen die Großinstitution Kirche immer wieder herausgefordert hat.
Gerald Faschingeder
Quellen & Lesehinweise:
- Christian Friesl/Regina Polak (Hg.), Die Suche nach der religiösen Aura. Analysen zum Verhältnis von Jugend und Religion in Europa, Graz 1999.
- Regina Polak (Hg.), Megatrend Religion? Neue Religiositäten in Europa, Ostfildern 2002.
- Österreichische Jugendwertestudie 2006/07