Wieso ich immer noch katholisch bin
Kürzlich hörte ich eine interessante Formulierung: „Fundamentaltheologie1 ist jene Wissenschaft, die erklärt, wieso man katholisch sein kann, ohne zu spinnen.“ Der Satz hat mir zu denken gegeben. Tatsächlich spricht ja, rein vernünftig betrachtet, sehr vieles dagegen, katholisch sein zu wollen. Umso mehr interessiert mich die Frage, was eigentlich dafür spricht, ausgerechnet in der Römisch-Katholischen Kirche mitzuarbeiten. Dieser Artikel ist also gewissermaßen ein persönliches Coming-Out eines Katholiken als Katholiken, was ich heutzutage nicht zu den angenehmsten Selbstäußerungen zählen würde.
Gewohnheitskatholik
Ich beginne mit einem schlechten, aber vielleicht doch auch irgendwie sympathischen Grund: Mein Katholisch-Sein ist eine liebgewordene alte Gewohnheit. Seit ich getauft wurde, bin ich dabei; seit ich eine Jungschargruppe „übernommen“ habe, wie man so schön sagt, zähle ich zu den Aktiven in der Katholischen Kirche. Papst hin oder her, Bischöfe kamen und gingen, auch die Pfarrer wechselten, und wie erschreckend oder positiv beeindruckend ihre Taten oder nicht-Taten auch immer waren, in meiner Jungschargruppe war ich „mein eigener Pfarrer“, tat, was ich für richtig hielt oder was ich auf der Burg Wildegg gelernt hatte zu tun. Und es machte mir Spaß, abgesehen davon, dass es mich meist so sehr beschäftigte, dass ich ohnehin oft nicht viel weiter über grundsätzlichen Sinn und Unsinn nachdachte.
Kryptokatholik
Bald aber, noch während der Schulzeit, bemerkte ich allerdings, dass der größere Teil der Menschheit um mich von der Jungschar nichts wusste, die katholische Kirche misstrauisch beäugte und, mehr noch, generell Religion skeptisch gegenüber stand. Nach einigen kurzen, recht wirkungslosen Versuchen als Apologet (so nannte man in der Antike jene Wagemutigen, die das Christentum im Streit mit sogenannten heidnischen Intellektuellen mit Argumenten verteidigten) beschloss ich, besser über mein katholisches Hobby zu schweigen und nur wenigen, besonders vertrauenswürdigen Menschen von meinem eigenartigen Tun in der Pfarre zu erzählen. Meist stellte sich heraus, dass diese Personen auch ein ähnliches „Geheim-Hobby“ hatten, viele waren selber als Kinder bei der Jungschar gewesen und auch die Pfadfinder/innen standen bei über 16jährigen nicht unbedingt hoch im Kurs; manch andere hatten sich gar in Gebetsgruppen verirrt. Allmählich bekam ich den Eindruck, dass die Jungschar ohnehin eher eine Geheimorganisation sei – was auch nicht ganz reizlos ist. Die Öffentlichkeit überließen wir skurrilen Persönlichkeiten, Vertretern ultrakonservativer Strömungen. In den Augen der Medien repräsentierten diese die Kirche viel authentischer als unsereiner, was uns oft kränkte. Aber es war nicht erstaunlich, waren doch die anderen meist an der Kirchenspitze tätig. So wurde ich Kryptokatholik.
Abweichlertum
Ein Vergnügen bereitet Kryptokatholizismus zweifelsfrei: Ich hatte – und habe immer mehr – das Gefühl, etwas Ungewöhnliches, irgendwie Originelles, geradezu Subversives zu tun. Ich gestehe, ich habe Schwierigkeiten, mich für etwas zu interessieren, was alle interessiert und irgendwo mitzumachen, wo alle mittun. Massenansammlungen, vom Donauinselfest über Euromeisterschaften bis hin, ja, auch diese: zu Papstbegegnungen sind mir ein Grauen. Einfach zu viele Leute, und ich fühle mich dann total unoriginell dabei. Ich finde, man kann heutzutage ganz gut Katholik aus einem individuellen Bedürfnis nach Individualität sein. Vor 100 Jahren war das ja noch gar nicht so originell. Glücklicherweise tritt die Katholische Kirche gegen so vieles auf, was allgemeine Meinung ist, und so werden wir von Mutter Kirche stets vor dem Versinken im elendiglichen Mainstream bewahrt. Das leidige Thema Sexualität war in meiner bisherigen Kirchenkarriere so selten ein Thema, dass ich mich an pointierten gesellschaftspolitischen Positionen der Kirchen ungebremst erfreuen konnte: Wir Katholik/innen sind gegen die Todesstrafe, gegen den Irakkrieg, gegen Ausländer/innenfeindlichkeit, gegen die ökonomische Verwertung des Lebens, gegen die Abschaffung der Sonntagsruhe und gegen noch viel mehr. Wahrscheinlich sind wir auch gegen die Eurofighter und die Teuerung.
Skeptizismusfreude
Zu Recht lässt sich nun einwenden, dass ich dabei einige Aspekte aus dem Anti-Paket, dem Programm, der Katholischen Kirche ausgeblendet habe. Aber auch das finde ich am Katholizismus durchaus interessant: Man muss nicht immer d’accord sein. Innerkirchlich besteht eine breite Palette an Meinungen, auch wenn man oft am Verstand mancher Vertreter/innen von Extremansichten zweifelt. Ich hatte bislang – wenn auch nicht immer und überall – den Eindruck, dass die Kirche ein Ort ist, wo verschiedene Ansichten erlaubt sind. Hier habe ich wohl auch von den österreichischen Bischöfen gelernt, die ja selten einer Meinung sind. Mir ist bewusst, dass dieser Eindruck Außenstehenden schwer zu vermitteln ist, aber es ist dies nun einmal meine Erfahrung. Zu meinem Kirche-Sein gehört das beständige Fragen und Zweifeln dazu, auch an der Kirche und ihren Grundlagen selbst. Wenn verlangt wird, dass Gläubige ohne Zweifel sein sollen, dann verlässt man den Katholizismus und schreitet munter in den Fundamentalismus. Glauben ohne Zweifel halte ich für bedenklich. Freilich ist Zweifel in vielen Momenten keine Freude, nagt beständig am Bewusstsein und kann als schwere Last empfunden werden. Aber es ist nun einmal so: Es gibt kaum eine Institution, an der man so fundamental zweifeln kann wie an der Kirche. Auch das will einmal erkundet werden.
Verbundenheit
Zuletzt noch ein paar etwas unkompliziertere Gedanken: Womöglich wäre ich nicht mehr katholisch, hätte ich nicht dank der Dreikönigsaktion und einigen Fernreisen erlebt, was und wie Katholische Kirche heute alles bedeuten kann: erstens deren Vielfalt, zweitens die Ernsthaftigkeit, an sozialen Kämpfen teilzuhaben und die Rede vom Reich Gottes Wirklichkeit werden zu lassen. Das Feiern der Liturgie kann aus so einer Perspektive der Internationalität, der Solidarität mit fernweg Lebenden, aber auch den Toten, ein kraftgebendes Ritual der Verbundenheit werden: Es kann das hier und jetzt doch nicht alles sein, es muss doch mehr geben. So ist es eben: Ein religiöser Mensch sein zu wollen, ist immer wieder neu eine Entscheidung, ein Versuch gegen das Absurde, gegen die Macht der Entfremdung, gegen die transzendentale Obdachlosigkeit.
Gerald Faschingeder
1 Fundamentaltheologie ist jener Zweig der Theologie, der Grundlagen und Charakteristika des christlichen Glaubens vernünftig zu klären versucht. Der Name mag irreführend wirken; gemeint ist das Gegenteil von Fundamentalismus.