Gott - Person oder Energie?

Der Glaube an etwas Höheres, Unerfassbares, das uns alle umgibt und Teil eines großen Ganzen werden lässt, ist weltweit seit Anbeginn der Menschheit zu finden. Eine besonders stark vertretene Form von diesem Glauben ist jener an Gott. Doch für immer mehr Menschen ist die Bezeichnung „Gott“ zu personifiziert und sie können sich eher mit der Vorstellung einer allumfassenden Energie identifizieren. Aber ist das dann etwas komplett anderes oder noch immer eine Version von Gott? Um neue Perspektiven in den Unweiten dieser ganz großen Fragen zu gewinnen, habe ich mit unserem Jungscharseelsorger Hannes Grabner gesprochen.

Hannes, wie viel hast du dich in deiner Laufbahn mit Gottesbildern und dem Verständnis von Gott bereits beschäftigt?

Viel! Ich habe schon sehr viele Firmvorbereitungskurse angeleitet und da ist bei mir das Thema „Gottesbilder“ ein fixer Bestandteil. Dabei kann jede*r über das eigene Bild hinaus noch etwas dazu lernen. Außerdem habe ich mich auf einer ganz persönlichen Ebene viel mit meiner Vorstellung von Gott beschäftigt. Im Theologiestudium habe ich mich natürlich auch damit auseinandergesetzt - allerdings geht es da mehr um einen wissenschaftlichen Zugang. Für die eigene Spiritualität ist es zu wenig, nur in Büchern zu lesen, sondern da musst du suchen und dich vielleicht auch einmal hinsetzen und beten oder meditieren.

Die Bibel verwendet verschiedene Ausdrücke, unter anderem Dreifaltigkeit, Vater oder guter Hirte – das klingt alles eher nach Personen. Ist dann genau das „Gott“?

Der gute Hirte und der Vater sind biblische Bilder. Aber auf die Frage nach Gott ist die Dreifaltigkeit die Antwort der christlichen Theologie. Sie vereint eine Person in drei Gestalten. Doch wichtig dabei ist, dass Gott kein Geschlecht hat, denn Gott ist kein Mensch. Gott ist überzeitlich und überkörperlich. Man kann Gott nicht in Worte fassen, denn Sprache und Verstehen haben eine Grenze. Das Christentum glaubt aber speziell an Jesus Christus, deswegen sind wir ja Christ*innen. Christus als Menschen kann ich mir vorstellen und mit ihm wird alles nochmal lebendiger. Dann kann ich nachvollziehen, dass Gott mich persönlich versteht, weil er selbst Mensch geworden ist. Zusammenfassend wird Gott aber auf jeden Fall als Person gesehen.

Aber ist die dritte Komponente der Dreifaltigkeit, der Heilige Geist, nicht eher als eine Art „göttliche Energie“ zu sehen? Immerhin bewirkt er auch etwas bei den Jüngern.

Nein, auch der Heilige Geist gilt nicht als unpersonifizierte Energie, sondern der Heilige Geist ist Gott. Er ist die Art und Weise wie uns Gott heute noch im Alltag begegnet.

Warum sind in der Bibel sonst vor allem männliche Personen zur Beschreibung von Gott erwähnt? Hat dies mit den patriarchalen Strukturen zu tun?

Ja, absolut. Damals waren Männer diejenigen, die etwas zu sagen hatten und deshalb haben wir sehr oft männlich geprägte Denkstrukturen. Davon getrennt zu betrachten ist der Umstand, dass Jesus ein Mann war. Ich weiß nicht, wieso er als Mann geboren wurde, aber das steht fest. Gott wollte uns damit aber nicht sagen, dass Männer besser sind. Gott liebt den Menschen - egal ob männlich, weiblich oder ein drittes Geschlecht. Dass wir heute in der Liturgiesprache „Gott, unser Vater“ sagen kommt daher, dass Jesus selbst „mein Vater im Himmel“ gesagt hat. Aber auch Jesus war nur ein Mensch und hat kein anderes Gesellschaftsbild gekannt. Das soll jedoch nicht heißen, dass er gegen Frauen war.
Es ist generell schwierig, einen passenden Begriff für Gott zu finden: Ich kann zwar sagen, dass Gott kein Mann ist, aber auch keine Frau. Doch was sage ich dann? „Gott“? Selbst dieser Begriff ist für manche maskulin konnotiert. Sprache ist also begrenzt, um Gott auszudrücken.

Gott als eine Person, die alles managed klingt für viele Menschen veraltet. Kannst du nachvollziehen, woher diese Sichtweise kommt?

Ja, kann ich, weil es nicht unserer Alltagserfahrung entspricht, dass Gott alles managed. Die Kirche hat in der vormittelalterlichen und mittelalterlichen Zeit das Bild vermittelt, dass Gott alles sieht, um ihre eigene Macht zu argumentieren. Gott sieht zwar alles, aber greift nicht als Marionettenspieler ein. Ich kann alles tun, weil Gott mich nicht kontrolliert, sonst wäre ich nicht frei. Gott lässt der Welt ihren Lauf und auch das lässt sich theologisch erklären. Es kommt vor, dass Menschen glauben, Gott hilft ihnen nicht. Aber was ist, wenn Gott ihnen anders hilft, als die Menschen es erwarten? Wenn ich Gott ernst nehme, dann kann ich ihn nicht kontrollieren, sonst wäre es nicht Gott. Das heißt nicht, dass er mich hasst. Das heißt vielleicht nur, dass Gott anders denkt, als ich, dass er Zusammenhänge sieht, die ich nicht verstehe. Das ist Gott - so viel größer. Und deshalb ist die ganze Zeit von diesem Vertrauen die Rede, weil ich irgendwo die Zügel meines Lebens loslassen muss. Ich versuche die richtigen Entscheidungen im Leben zu treffen, aber mir ist klar, dass ich mein Leben nicht steuern kann. Es kommt so wie es kommen muss. Der Einzige, der einen Überblick hat, ist Gott. Doch ich darf Gott nicht instrumentalisieren. Ich darf Gott nicht als Grund verwenden, um anderen zu schaden oder eigene Interessen durchzusetzen. Das wäre eine Beleidigung Gottes, würde ich sagen.

Hat die katholische Kirche ein Gottesbild mit „Ablaufdatum“? Kann sich auch das allgemein gültige katholische Gottesbild im Laufe der Zeit wandeln?

Ich glaube nicht, dass sich das Gottesbild wandeln wird, weil die Offenbarung seit 2000 Jahren abgeschlossen ist und damit die Grundlage unseres Glaubens. Das Drumherum am Glauben, das verändert sich schon. Es verändern sich unsere Gottesdienste, die Rollen, die Regeln, es wird vielleicht irgendwann auch Priesterinnen geben. Was immer gleichbleiben wird, ist die Vorstellung von Christus und die Tatsache, dass er Gottes Sohn ist und damit die Dreifaltigkeit. Was sich ändern kann, ist vielleicht das Verständnis von manchen Bibelstellen. Im Mittelalter haben die Priester trotz gleicher Texte auch anders gepredigt als jetzt. Aber die Grundlage und Gott bleiben immer gleich. Und ich glaube nicht, dass die Vorstellung der Kirche ein Auslaufmodell ist, sondern dass es sogar ein zukunftsweisendes Modell ist. Und zwar wenn wir es so verstehen, dass es nicht einschränkt, dass es nicht die persönliche Freiheit betrifft, dass es keine Geschlechteraussagen macht, dass es komplett offen ist, dass es jeden Menschen liebevoll inkludiert. Ich finde das römisch-katholische kirchliche Bild von Gott ist so toll, wenn man es richtig denkt, weil es niemandem etwas Böses tut und jedem seine Freiheit lässt. Es ist eher die Art, wie Menschen damit umgehen.

Woher, glaubst du, kommt diese andere Vorstellung von Gott als Energie? Entstammt sie der Esoterik oder hat sie einen anderen Ursprung?

Ich weiß es nicht, jede Antwort ist jetzt reine Vermutung. Sie kommt vielleicht aus Esoterik, Astrologie oder kann auch eigenen Vorstellungen entsprungen sein. Es liegt nicht an mir das zu beurteilen. Ich glaube, es ist populär, weil sich Menschen von gewohnten, altbekannten Strukturen emanzipieren wollen. Dabei können wir sehen, dass sie immer noch nach Sinn und Spiritualität suchen und das ist wertzuschätzen. Die Vorstellung ist aber auch eine Form von fehlender Begrifflichkeit, wenn wir uns die großen Fragen des Universums stellen. Aufgrund eines mangelnden Zugangs wird von einer Energie gesprochen. Es umschreibt aber nur etwas, das nicht näher definiert ist. Das, was mich am Christentum begeistert ist, dass ich auf den Namen „Jesus“ und auf das Wort Gottes zurückgreifen kann. Es ist viel konkreter und zu Jesus kann ich „Du“ sagen.

Was sagst du zu der Beschreibung „Wir Menschen sind im Endeffekt nur Sternenstaub“? Wäre es dann eine göttliche Energie, die uns lebendig gemacht hat?

Ich interessiere mich für Astronomie und habe irgendwann mal gehört, dass bestimmte atomare Bestandteile des Menschen aus der Sonne kommen und wir daher von „Sternenstaub“ sprechen. Diese Vorstellung ist schön und lässt sich gut in den Glauben integrieren. Aber nur weil das so ist, heißt das nicht, dass ich an irgendeine „Sternenenergie“ glauben muss. Aus wissenschaftlichen Ansätzen entstehen oft neue spirituelle Erklärungen. 
Natürlich kann ich nicht beantworten, was uns lebendig macht und warum es Leben gibt. Die einfachste Antwort wäre im Christentum: Gott hat sich entschieden, das Leben zu erschaffen und dass es etwas Gutes ist – ein Geschenk. Für das, was in einem Menschen entsteht, gibt das Christentum den Begriff „Seele“.  Aber ich brauche nicht irgendeine göttliche Energie, die mich dann weiterhin am Leben hält.

Gibt es klare Unterschiede zwischen Gott als Person und irgendeiner „göttlichen Energie“?

Gott lässt die Menschen wissen, wer er ist. Gott hat sich also den Menschen offenbart. Wir Christ*innen können uns darüber konkret austauschen, bestärken und durch den Zugang des Gegenübers etwas dazulernen. Dabei kommt ein klareres Ergebnis heraus, als wenn mir diese Grundsteine fehlen würden. Natürlich können sich Menschen auch ohne diese Anhaltspunkte austauschen, aber das wäre mir persönlich zu wenig konkret. Im Christentum muss ich mir nicht über eine Energie Gedanken machen oder was Gott ist, weil er sich mir gezeigt hat. Wir haben also Grundlagen, die sich nicht verändern und eine Gemeinschaft.  

Was würdest du Menschen raten, die eigentlich gar nicht so richtig wissen, an was sie glauben -jene, die sagen „kann schon sein, dass es da irgendwas gibt“? Wie können sie für sich selbst Antworten finden?

Offen sein, geduldig sein, sich auf den Weg machen und sich begleiten lassen. Dabei eine gute Begleitung finden, jemand der dich nicht auf extreme Pfade führt. Kritisch sein, es muss möglich sein, seinen eigenen Glauben zu kritisieren. Solange man das spürt, ist man noch unterwegs und das ist gut so, denn Glaube ist nicht abgeschlossen. Nur weil ich Priester bin, heißt das nicht, dass mein Glaube abgeschlossen ist. Dann heißt es, am Weg bleiben, nachfragen, sich mit Spiritualität beschäftigen, zum Beispiel Bücher lesen, Gespräche führen, beten, meditieren, Bibel lesen. Kleine erreichbare Ziele setzen und sich mit den Fragen beschäftigen, die für dich selbst wichtig sind.

Isabella Tenni

kumquat “Energie” 1/2023