Bildung in Diktaturen
Einige werden das nicht gerne hören, aber Bildung ist wirklich wichtig. Bildung ermöglicht es uns erst, uns zu entfalten und politisch aktiv zu werden. Für uns ist es ganz natürlich, als Kind oder Jugendliche/r in die Schule zu gehen und zu lernen.
Doch dabei vergessen wir oft: Wissen ist Macht - diese These des englischen Philosophen Francis Bacon war Grundlage der Aufklärung vor 400 Jahren. Diese Überzeugung hat nichts von ihrer Bedeutung verloren: Bildung ist Macht – nämlich die Macht, einzutreten für Demokratie und soziale Gerechtigkeit.
Bildung im globalen Süden
Die Millennium Entwicklungsziele für 2015, die im Jahr 2000 bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen festgelegt wurden, haben als zweitgenanntes Ziel den Zugang zu Grundschulbildung für alle Mädchen und Buben. Denn trotz jahrzehntelanger Bemühungen ist die Situation in den Ländern des Südens geprägt von niedrigen Einschulungsraten, schlechter Unterrichtsqualität und hohem Analphabetismus. Meist fehlen staatliche Investitionen in Bildung, manchmal werden bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Regionen von der Regierung bewusst nicht mit Schulen oder Lehrer/innen versorgt, um zu verhindern, dass regierungskritische Gruppen zu viel Bildung – und dadurch Jobs, Einkommen und letztendlich politischen Einfluss - erhalten. Eine solche Situation herrscht auch im Süden Äthiopiens, wo die Dreikönigsaktion mit Bildungsprojekten versucht, die schlechte Unterrichtsqualität zu verbessern und den Kindern qualitätsvolle Bildung ermöglicht. Die Erfolge wurden bereits nach wenigen Jahren sichtbar: Schulabbruchsraten und ungewollte Schwangerschaften von Jugendlichen gingen deutlich zurück, und anstatt aufgrund mangelnder Jobmöglichkeiten abzuwandern, schlossen viele Jugendlichen sich nach der Schule zusammen, um gemeinsam zu arbeiten, Unternehmen aufzubauen und politisch aufzutreten.
Bildung und Revolution
Der arabische Frühling, der im Dezember 2010 begann, wurde von Gebildeten, Student/innen und Menschen aus dem Mittelstand getragen. Die Proteste gegen die Regime der arabischen Welt riefen nach Freiheit, Zugang zum Arbeitsmarkt und nach echten Perspektiven.
Diese Proteste waren nur möglich, weil die Schul- und Hochschulsysteme der arabischen Länder in den letzten 20 Jahren stetig ausgebaut wurden. Immer mehr gebildete Menschen wussten über ihre Möglichkeiten Bescheid – und trauten sich, das bisher Unmögliche zu wagen und dafür auf die Straße zu gehen. Hier wurde die Macht von Bildung sichtbar: Ungerechtigkeiten zu erkennen und sich gegen Unterdrückung wehren zu können.
Auf Dauer wird kein ungerechtes Regime gegen die Macht einer gut gebildeten Mehrheit ankommen. Wenn es diese gibt, dann entstehen Chancen für demokratische Veränderung, für mehr Beteiligung und Mitbestimmung.
Bildung in Diktaturen
Weit schwieriger wird das in Ländern wie Simbabwe, in Afghanistan oder Nordkorea. Solange die Mehrheit dort in Armut gehalten wird und von staatlicher Propaganda umgeben ist, solange diese Mehrheit mangels Bildung weder Vergleiche kennt noch Zugang zu unabhängigen Informationen hat und sich entsprechend kaum vernetzen und austauschen kann, solange können sich Diktatoren sicher fühlen.
In Diktaturen sollen die Menschen funktionieren und lenkbar sein – ohne eigene Meinungen zu haben, oder Forderungen stellen zu dürfen. Darum sind Gebildete in einem Land eine Gefahr für ein illegitimes Regime – zumindest solange, bis die Bildung im diktatorischen System zensiert und mit Propaganda durchtränkt ist.
Ein Beispiel für diese Unterjochung des Bildungssystems finden wir im Nationalsozialismus: Schon kurz nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 wurden alle jüdischen Lehrkräfte und ein Drittel der Lehrerinnen Deutschlands entlassen. Die verbliebenen Lehrer/innen wurden aufgefordert, dem NS-Lehrerbund beizutreten. Alle Lehrbücher wurden entsprechend der nationalsozialistischen Überzeugung verändert, um Kriegswissen zu fördern – aber auch, um Angst (und dadurch letztendlich Hass) zu schüren.
China
Auch heute noch werden Bildungssysteme von Diktaturen genutzt, um das Machtsystem zu erhalten: Chinas Kinder verbringen bis zu 14 Stunden am Tag in der Schule – unter extremem Leistungsdruck. Druck bestimmt den Alltag, und Eigenständigkeit ist eine Bedrohung für dieses System. Autoritätsglaube ist zentraler Teil des Schulsystems, die Lehrer/innen und die Bildungsinhalte dürfen von Schüler/innen nicht hinterfragt werden.
Zhong Daoran, ein chinesischer Student, hat der Wut und den Ohnmachtsgefühlen der Schüler/innen in seinem Buch Ausdruck verliehen (der Titel: „Das verzeihe ich euch nie!“). Er schreibt: „In der Grundschule rauben sie uns die eigenen Wertevorstellungen, in der Mittelstufe selbstständiges Denken und in der Hochschule Ideale und Träume. Danach sieht es in unserem Hirn so leer aus wie in der Unterhose eines Eunuchen.“
Chinas Mächtige haben dieses Schulsystem nicht ohne Grund so gestaltet, dass eine uniforme, selbstvergessen arbeitende Masse „gebildet“ wird – denn wer keine Zeit zum Träumen hat, stellt keine Fragen oder Forderungen an das System.
Und alleine diese Überlegung zeigt wie wichtig es ist, sich für das Grundrecht auf Bildung einzusetzen.
Kathi Bereis und Conni Barger
Quelle: http://www.welt.de - Jonny Erling;
kumquat "Bildung" 2/2013