Im April besuchten uns Florence Awa Kukura und Salifu Mahama aus Nordghana. Eingeladen wurden sie vom Welthaus1, um in Schulen und Pfarren von ihrem Leben und der Situation in ihrem Heimatland zu erzählen. Silvia Richtarz (S.R.) hat sie eine Woche lang in Wien begleitet und sie für das Kumquat interviewt:
S.R.: Ihr seid jetzt drei Wochen in Österreich und habt in dieser Zeit Linz, St. Pölten und Wien besucht. Was ist euer Eindruck von Österreich?
Florence: Für mich ist es das erste Mal, dass ich in Europa bin. Ich war bisher nur einmal im Ausland, in unserem Nachbarland Togo. Der größte Schock für mich war die Wetterumstellung. Ihr müsst wissen, dass bei uns gerade Trockenzeit herrscht und 40°C ganz normal sind. Als wir hier ankamen, haben wir bei 10°C sehr gefroren.
Salifu: Eine Umstellung für uns war auch das Essen. Wir sind es gewöhnt, täglich Fufu (fester Brei aus Maniok oder Yams) zu essen. Hier gibt es das leider nicht. Aber euer Wiener Schnitzel ist auch gut!
S.R.: Ghana ist ein Land in Westafrika, das zirka 3x so groß wie Österreich ist. Wie lässt es sich dort leben?
Salifu: Das hängt davon ab, in welcher Region man sich befindet. Der Süden ist sehr gut entwickelt, hat gute Ausgangsbedingungen, weil es dort tropisches Klima mit viel Wald und fruchtbarem Boden gibt. Im Küstengebiet gibt es auch Goldminen. Deshalb hatte Ghana früher den Namen Goldküste. Im Norden herrschen ganz andere klimatische Voraussetzungen. Hier gibt es trockene Savanne. Nur drei bis vier Monate im Jahr regnet es. Den Rest des Jahres können wir nichts anbauen und müssen hungern. Die Folge ist, dass viele Menschen in der Trockenzeit in den Süden abwandern, um dort ein bisschen Geld auf Plantagen zu verdienen. Das reicht oft nur zum Überleben. Es ist hart, weil sie ja eigentlich auch ihre Familie im Norden versorgen sollten.
S.R.: Was ist mit den Menschen, die in Ghana keine Zukunft sehen?
Salifu: Die müssen nach Europa oder in die USA auswandern. Die ganze Verwandtschaft spart zusammen, um einem Familienmitglied die Ausreise zu finanzieren. Man braucht 700,- bis 2.500,- Euro für eine Reise. Für uns ist das enorm viel Geld und der Druck für den Auswanderer ist groß, dass er in Europa erfolgreich ist, um das geborgte Geld wieder zurück zu geben und noch zusätzlich der Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Sollte er hier keinen Job finden, kann er nicht einfach wieder nach Ghana zurückkehren. Die Schande für ihn und seine ganze Familie wäre einfach zu groß.
S.R.: Wie leben Kinder und Jugendliche in Ghana?
Florence: Eigentlich sollten alle in die Schule gehen, aber oft reicht das Geld nicht. Außerdem glauben viele Eltern, dass Mädchen keine Bildung brauchen. Als spätere Hausfrauen und Mütter müssen sie nicht lesen und schreiben können. Nicht selten werden erst 10jährige Mädchen gezwungen, einen viel älteren Mann zu heiraten. Er könnte ihr Großvater sein. Um dem zu entkommen, flüchten auch sie in den Süden. Ganz alleine auf sich gestellt müssen sie sich irgendwie durchschlagen. Solche Mädchen werden Kayaye genannt. Das bedeutet Lastenträgerin. Sie laufen den ganzen Tag mit ihren Plastikschüsseln am Kopf herum und versuchen Kundschaft zu finden, für die sie die Einkäufe vom Markt zum Busbahnhof tragen. So verdienen sie sich ein paar Cent. Manchmal müssen sie bis zu 20 Kilo auf ihrem Kopf tragen. Probiert das einmal mit euren Schultaschen aus!
S.R.: Florence, du arbeitest bei der CMA (Christian Mothers Association), einer Organisation, die Frauen hilft, ein eigenständiges Leben aufzubauen. Bitte erzähle uns davon.
Florence: Seit 8 Jahren arbeite ich bei CMA. Wir betreuen 845 Frauen. Es geht darum, ihnen durch Kurse ein Handwerk beizubringen, mit dem sie selbst Geld verdienen und ihre Kinder versorgen können. Wir bieten Kurse an in denen die Frauen lernen, wie man Erdnussbutter, Seife, Batikstoffe oder Suppenwürze herstellt. Nach dem Kurs geben wir ihnen 25,- Euro Startkapital, damit sie die Rohmaterialien einkaufen und langsam ihr eigenes Geschäft aufbauen können. Nach einem Jahr zahlen sie uns das Geld zurück und wir können es an die nächste Frau weitergeben. Wir begleiten sie in der Startphase und helfen ihnen, Märkte zu finden, wo sie ihre Produkte verkaufen können. Das Projekt läuft sehr gut. Unterstützt werden wir von der Dreikönigsaktion. Ich habe hier in den Schulen, die wir besucht haben, ein paar Sternsinger/innen persönlich kennen gelernt. Ich muss sagen, ich finde es großartig, was ihr macht! Durch eure Unterstützung konnten bereits 290 Frauen in Nordghana einen Kurs bei CMA besuchen und sich so ein besseres Leben aufbauen. Wir sind euch von Herzen dankbar dafür!
S.R.: In Ghana gibt es Christ/innen, Muslime/innen und Anhänger/innen afrikanischer Religionen. Gibt es diesbezüglich Probleme?
Salifu: Nein, überhaupt nicht. Bei uns ist es ganz normal, dass es innerhalb einer Familie verschiedene Religionen gibt. Mein Vater ist zum Beispiel Moslem, ich bin Christ und mein Cousin glaubt an eine traditionelle Naturreligion. Viel wichtiger ist bei uns die ethnische Zugehörigkeit. Es gibt in Ghana 60 verschiedene Stämme, die untereinander leider oft streiten. Meistens geht es dabei um Landbesitz. Diese ethnischen Konflikte sind auch ein Grund, warum Menschen in den Süden abwandern müssen.
Florence: Die 60 Stämme, die Salifu angesprochen hat, haben je eine eigene Sprache. Damit das nicht zu einem Durcheinander führt, ist die Amtssprache bei uns Englisch. Das ist noch ein Erbe aus der Kolonialzeit2. Die meisten Menschen sprechen aber acht bis zehn verschiedene Stammessprachen. Dabei handelt es sich aber nicht bloß um Dialekte, wie in Österreich, sonders das sind so unterschiedliche Sprachen wie z.B. Deutsch und Russisch.
1entwicklungspolitische Plattform der Katholischen Aktion
2Ghana wurde erst 1957 von Großbritannien unabhängig.