Vor etwa zehn Jahren verteilte die Jungschar Pickerln, auf denen der Spruch zu lesen war: “Kinder sind frech!” Die Jungschar war schon wieder einmal gar nicht brav. Oder tat sie nur so, als sei sie nicht brav, obwohl sie in Wahrheit ganz angepasst und unauffällig ist?
In der nun bereits mehr als sechs Jahrzehnte langen Geschichte der Jungschar finden sich immer wieder Hinweise, dass unsere Organisation auch ungehorsam sein konnte. Wenn es um die Rechte der Kinder ging, dann wagte die Jungschar schon mal Aktionen, die nicht auf ungeteilte Liebe stießen.
Gegen Gewalt gegen Kinder
Das Engagement der Katholischen Jungschar gegen Gewalt gegen Kinder gewann in den 1980er Jahren an Gestalt. Damals wurde eine Plakatserie produziert, die zum Denken anregen wollte:
- “Du sagst, du hast mich lieb. Warum haust du mich dann?” Jede Ohrfeige zerstört etwas.
- “Du hörst mir gar nicht zu, wenn ich etwas will” Weisen Sie Ihr Kind nicht ab.
Nicht wenige Proteste trafen bei der Jungschar ein, denn damals war diese Botschaft noch geradezu provokant. Immer noch galt der Mythos von der “g´sunden Watsch´n”, immer noch war nicht allen Menschen klar, dass Ohrfeigen Gewalthandlungen sind.
In diesem Zusammenhang stand auch die Plakataktion gegen Kriegsspielzeug. Auch hier ging es um Gewaltfreiheit. 1981 plakatierte die Jungschar “Kauft kein Kriegsspielzeug!” Einige Jahre später forderte sie “Spielen - ohne Kriegsspielzeug”. Dazu wurde auch eine Broschüre gestaltet, die Eltern Tipps für das friedliche Spielen gab.
Die 1980er Jahre waren im Jugendbereich durch die Friedensbewegung geprägt. Die Katholische Jungschar beteiligte sich nicht wie die Katholische Jugend an den großen Demonstrationen gegen die Stationierung von Interkontinentalraketen mit Atomsprengköpfen in der Bundesrepublik Deutschland, sondern trug das ihre im Bereich der Bildungsarbeit bei.
In den 1990er Jahren setzte sich die Katholische Jungschar auf andere Art für Kinderrechte ein, indem nämlich jährlich ein Bericht zur Lage der Kinder erschien. Zu Themen wie “Kind & Kriminalität”, “Partizipation & Mitbestimmung”, “Kinder in Tourismusbetrieben”, “Freizeit von Migrant/innenkindern”, “Wie Kinder ihre Väter erleben” und “Freizeit von Kindern mit Behinderung” wurden umfassende Studien vorgelegt, zu denen politische Forderungen formuliert wurden.
Ab 2002 wurden die “Berichte zur Lage der Kinder” von Aktionen am Tag der Kinderrechte, jeweils zum 19. November, dem Tag der Verabschiedung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, abgelöst.
War damit die Jungschar ungehorsam? Ja und nein. “Ungehorsam” daran war nur, dass es nicht allen Erwachsenen recht war, dass sich die Jungschar so sehr für Kinderrechte einsetzte. So erntete die Jungschar immer wieder einiges an Widerspruch. Auch Personen des öffentlichen Lebens (darunter auch Bischöfe) meinten, die Jungschar sei nicht kompetent dafür, sich in rechtlichen Fragen einzubringen. Man solle sich besser auf das Spielen, Singen und Beten mit den Kindern konzentrieren ... Den Kinderrechten wurden gerne die “Elternrechte” gegenübergestellt, die manch kirchlicher Würdenträger im Sinne einer konservativen Familienmoral noch nicht genügend abgesichert sah.
Zum Glück gab es immer auch andere Bischöfe, die das nicht so sahen, sondern die Jungschar ermutigten, sich für Kinderrechte einzusetzen. So “gehorchte” die Jungschar mit diesen Aktionen ihrem eigenen Selbstverständnis, sich für die Rechte der Kinder in Österreich zu engagieren.
Dürfen Mädchen ministrieren?
Um die Rechte der Kinder ging es auch in einem anderen Konflikt, der sich stärker in den Pfarren und damit an der kirchlichen Basis abspielte. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatte sich vieles an der Form geändert, wie Messe gefeiert wurde. Doch es dauerte gute 20 Jahre, bis daraus die Konsequenz gezogen wurde, dass auch Mädchen ministrieren dürfen. Der Wandel begann still und ohne offizielle Erlaubnis, und es war auch nicht die Jungschar-Diözesanleitung, die hier voran ging. Vielmehr waren es einige Pfarrer, die es den Mädchen erlaubten, zu ministrieren. Immerhin gab es kein formelles Verbot dagegen, es handelte sich einfach um eine kirchliche Tradition, ein ungeschriebenes Gesetz, das aber viele nicht wagten, anzurühren. Als Papst Johannes Paul II 1983 Österreich besuchte, gab es bereits in vielen Pfarren Ministrantinnen. Damals stellte sich die Frage, ob diese bei der Papstmesse im Donaupark mitwirken durften. Die Jungschar-Diözesanleitung koordinierte die Teilnahme der Minis und fragte nicht viel nach. Ministrantinnen kamen einfach und machten mit - und den Papst dürfte es nicht gestört haben. Hier hat eine “ungehorsame” Praxis vielen Kindern, den Mädchen eben, ermöglicht, auf andere Art und Weise an der Liturgie teilzunehmen und damit ein Kinderrecht eingefordert.
Für ein offenes Nachdenken über den Zölibat
Brisanter als der Einsatz für Kinderrechte ist es allerdings, wenn man sich innerhalb der Kirche für Reformen einsetzt, insbesondere wenn diese Fragen des Kirchenrechtes berühren. Dazu gehören die “heißen” Themen Pflichtzölibat und Frauenpriestertum.
Im Herbst 1990 erschien eine Ausgabe des KiK (die Vorläufer-Zeitschrift des Kumquats), die sich der historischen Entwicklung des Zölibats widmete. Ich kann mich noch erinnern, wie ich im Februar 1990 als junger Gruppenleiter diese Nummer 46 unter dem Titel “Amt in der Kirche” besonders fasziniert las - so etwas hatte ich noch nie gehört: Da war also im KiK zu lesen, dass es den Zölibat nicht schon seit ewig gab, sondern sich dieser erst in der Neuzeit durchsetzte und er vorher eigentlich die Lebensform der Mönche war, nicht jedoch die der Weltpriester. Auch wenn in dem Artikel nirgendwo die Abschaffung des Zölibats gefordert wurde, so wurde doch klar, dass die aktuelle Regelung eine historisch entstandene ist und nicht von Jesus eingesetzt worden war.
Diese Herangehensweise gefiel der diözesanen Hierarchie aber nicht, sodass die damalige Jungschar-Vorsitzende zum Generalvikar zitiert wurde und sich eine kleine Belehrung gefallen lassen musste. Weiter ist aber nichts geschehen.
Geschrieben wurde dieser Thementeil des KiKs damals von keinen geringeren Theologen als von Peter Paul Zulehner, Universitätsprofessor für Pastoraltheologie, Peter Paul Kaspar, Künstlerseelsorger in der Diözese Linz, Roland Schwarz, Pfarrer in der Gemeinde “Am Schöpfwerk” sowie Florian Kuntner, Weihbischof in Wien. Insofern fiel es dem Wiener Generalvikar schwer, die Jungschar allzu hart herzunehmen.
Dies begab sich in den Jahren, als Hans-Herrmann Groër Erzbischof der Erzdiözese Wien war. Das waren nicht unbedingt die einfachsten Jahre für engagierte Katholik/innen in der Diözese. Von 1987 bis 1991 war Kurt Krenn Weihbischof in Wien. Die Ankündigung, dass der als ultrakonservativ bekannte Krenn zum Weihbischof ernannt werden sollte, rief in der gesamten Diözese Unverständnis und Entrüstung hervor. Aber was sollte man tun? Das Kirchenrecht ließ keine Reaktion zu, die dagegen wirksam werden konnten. Dennoch trat die damalige Jungschar-Diözesanleitung, vor allem Regina Petrik als 1. Vorsitzende, mehrfach in Widerspruch zu Weihbischof Krenn, etwa in Diskussionen im diözesanen Pastoralrat. Natürlich musste man dort damit rechnen, dass einem mangelnder Gehorsam vorgeworfen wurde.
Das Ende der Ära Groër war ja dann kein Ruhmesblatt für die Katholische Kirche in Österreich. Im profil erschien ein Artikel, in dem ein ehemaliger “Zögling” des erzbischöflichen Seminars in Hollabrunn, Josef Hartmann, Kardinal Groër vorwarf, ihn mehrfach sexuell missbraucht zu haben. Es folgte Verleugnung und Verschweigen, der Kardinal selbst reagierte nicht auf die Vorwürfe. Wie viele andere kirchliche Einrichtungen auch schrieb die Diözesanleitung der Katholischen Jungschar damals dem Kardinal einen Brief und bat ihn, endlich zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Ihn zum sofortigen Rücktritt aufzufordern, dazu langte der Mut damals nicht ... Was dann folgte, ging eigentlich über unsere so zurückhaltenden Forderungen weit hinaus. Groër zog sich nach Maria Roggendorf zurück und der bisherige Weihbischof Schönborn folgte ihm als Erzbischof unserer Diözese nach. Der als tatkräftig bekannte damalige Caritas-Direktor Helmut Schüller wurde zum Generalvikar ernannt, sodass sich die Hoffnung auf Erneuerung breit machte.
Ungehorsame Jungschar?
Jetzt kann man natürlich die berechtigte Frage stellen, ob das Beispiele für wirklichen Ungehorsam sind. Außerhalb der Kirche würde man das nicht so sehen, denn eigentlich ging es bei den drei Beispielen immer darum, sich für eine gewisse Normalisierung der Verhältnisse einzusetzen: Gewalt gegen Kinder und Diskriminierung von Mädchen beseitigen, den Zölibat in einen historischen Zusammenhang stellen, das ist das gar nicht so revolutionär. Die Jungschar gehört ja zur katholischen Kirche und die ist im Großen und Ganzen eine recht “brave” Institution. Als Kinderorganisation mischt die Jungschar das ruhige Bild manchmal auf, und dies sowohl in den Pfarren als auch auf Diözesanebene. Vielleicht ermutigt das auch dich, das eine oder andere in Pfarre oder deinem Umfeld infrage zu stellen und eine kreativen, wohltuenden und befreienden “Ungehorsam” zu praktizieren - der eigentlich ein guter Gehorsam gegenüber höheren Werten ist.
Gerald Faschingeder
kumquat "Ungehorsam" 1/2012