Überlegungen zum Verkündigungscharakter des Sternsingens
Jänner 1995. Über einem Vorarlberger Bergdorf ist eine Lawine abgegangen. Ein guter Teil des Dorfes ist unter den Schneemassen verschwunden, viele Häuser sind zerstört. Bei einem Haus machen die Helfer/innen eine Entdeckung: Obwohl das Haus wie in einem Chaos von Schnee, Gatsch und Holztrümmern liegt, ist der Segen noch zu sehen, so unversehrt wie das Haus unter dem Schnee: C + M + B. Christus Mansionem Benedicat: Christus segne dieses Haus. So haben es die Sternsinger am 6. Jänner des Jahres mit Kreide an den Türstock geschrieben. Die Leute sagen: Der Segen hat das Haus geschützt.
Der Segen als existenzielle Erfahrung
In einer solchen existenziellen Situation bekommt der Segen der Sternsinger/innen eine neue, eine tiefere Bedeutung. Vielleicht sind dir die banalen Probleme rund um den Sternsingersegen bekannt: Auf einem weißen Türstock sieht man die weiße Kreide nicht; die farbige Kreide wurde aber im Pfarrheim vergessen. Leute öffnen die Türe, die zwar den Sternsinger/innen zuhören, aber nur ja nicht dieses „Kreidegekritzel“ wollen. Oder sie wollen keinesfalls ein Lied hören, aber unbedingt den Segen. Im Jungscharbüro rufen rund um die Sternsingeraktion immer wieder Leute an, die sich darüber beschweren, dass auf ihre Türe ein Segen geschrieben wurde, obwohl sie den Sternsinger/innen gar nicht geöffnet haben. Ein ander Mal aber rief eine Dame an, die sich dafür herzlich bedankte: „Der Segen, ja, der Segen, der ist wichtig!“ Sie hatte die Sternsinger/innen verpasst, aber auf den Segen gehofft.
Der Segen ist ein wichtiger Aspekt des Sternsingens, wenn auch nicht der einzige. Drei Dinge sind aus meiner Sicht beim Sternsingen zentral: die gelebte Solidarität, die Pflege und Weiterentwicklung des Brauchtums und eben die Verkündigung der Frohen Botschaft durch den Segen. Diese drei Aspekte sollten in einer Balance zueinander stehen, manchmal wird es aber auch ein Spannungsfeld sein. Wichtig ist, dass niemals einer der drei Aspekte völlig ausfällt oder verdrängt wird. Der Segen ist dabei ein besonderer Schatz; er kann auch Kraftquelle sein, wenn er gut gepflegt wird.
Gutes sagen
Banal ist die Frage des Segens also keinesfalls, wenn auch nicht alle Menschen einen Zugang dazu haben. Segnen, das bedeutet Gutes sagen. Das Wort kommt vom lateinischen „signare“, bezeichnen; auf Latein heißt segnen „benedicere“, was eben nichts anderes als „Gutes sagen“ meint. Wir können annehmen, dass der Segen eine der ältesten Formen des Gebetes überhaupt ist. Kein Gebet geht einfacher, als einem Menschen einen guten Wunsch zu sagen: ein Kreuz auf die Stirn des einschlafenden Kindes, auf die Stirn des/der verreisenden, geliebten Partner/in. Wir kennen den Segen auch feierlicher, etwa am Ende der Messe, wo alle aufstehen, der Priester die Arme weit ausbreitet und gut vorbereitete Worte mit Anmut und Würde spricht. Wenn diese Anmut fehlt, wirkt es komisch, was auch vorkommen soll. Man hat dann das Gefühl, das war jetzt kein „richtiger“ Segen. Segnen braucht Aufmerksamkeit, denn segnen ist Zuwendung. Niemand kann gleichzeitig segnen und mit dem Handy telefonieren.
Beim Sternsingen ist es mit dem Segen freilich so eine Sache: Die Kinder sind oft schon müde. Da kann es sein, dass sie den Segen richtiggehend hinkritzeln, ihn vielleicht sogar gerne auslassen. Der Segen wirkt aber auch, wenn er nicht in Schönschrift verfasst wurde. Eine Alternative ist es, wenn die Begleitperson ihn aufschreibt. Wenn du als Begleitperson mit jüngeren Kindern unterwegs bist, wird es ohnehin nötig sein, dass du selber den Segen an die Türe schreibst, weil die Kinder kaum zum Türstock kommen. Andrerseits kann es auch gerade ein schönes Erlebnis sein, wenn ein jüngeres Kind von dir oder den anderen gehoben wird, um den Segen schreiben zu können.
Es kann aber auch sein, dass die Kinder soviel Energie haben, so aufgeregt sind, dass sie gerne schon zur nächsten Türe wollen, ohne den Segen zu schreiben. Ich denke, es ist gut, hier den Kindern zu vermitteln, dass der Segen einfach dazu gehört: „Dafür nehmen wir uns Zeit, denn Segnen ist wichtig.“
Fetter Segen
Der Segen ist eine Form, die Zuwendung Gottes zum Ausdruck zu bringen. Für viele Menschen ist er daher ganz wichtig. In einigen Landgemeinden wurde das Kürzel C+M+B so übersetzt: Kaas, Milch und Butter. Um das zu verstehen, müssen wir uns in die frühere Zeit zurückversetzen, als es Käse, Milch und Butter nicht als Waren der Überflussgesellschaft in den Kühlregalen der Supermärkte gab. Wer ausreichend Milch hatte, dass er oder sie auch Käse und Butter daraus machen konnte, durfte sich glücklich schätzen. Käse und Butter mit ihrem hohen Fettgehalt waren Garanten einer ausreichenden Ernährung. Gott ist wie Butter, Gottes Zuwendung ist uns geschmackvoller Käse – welch kulinarischer Lobpreis auf den Herrn! Es gibt dazu auch einen hübschen Bibelvers: „Darum sprach er zu ihnen: Geht hin und eßt fette Speisen und trinkt süße Getränke und sendet davon auch denen, die nichts für sich bereitet haben; denn dieser Tag ist heilig unserm Herrn. Und seid nicht bekümmert; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke.“ (Nehemia 8, 10). Auch im Orient des Alten Testaments galten fette Speisen als göttliches Geschenk. Viele sehen das heute anders, was in einer Überflussgesellschaft auch nicht überraschend ist. Gott als Diätprodukt mag ich mir aber nicht vorstellen.
Sternsingen als Sakrament
Die Pointe des ganzen ist dieses schöne Geheimnis: Das Sternsingen ist ein tiefer sakramentaler Vollzug. Das Sternsingen als Sakrament? Ja, ganz richtig; es gibt ja doch mehr als die sieben bekannten Sakramente. Ein Sakrament bringt Gottes Gegenwart zum Ausdruck – etwas ist sichtbar (die Sternsinger/innen), etwas bleibt unsichtbar, ist aber genauso anwesend (das Heilige). Sakrament ist Geheimnis und Offenbarung zugleich.
Wie kann dieser Gedanke, dass Sternsingen ein Sakrament ist, mit unser aller Erfahrung vereinbart werden, dass sternsingende Kinder herumtollen, Späße machen, raunzig werden und andere nicht besonders würdevoll-anmutige Verhaltensweisen mehr an den Tag legen? Ich würde sagen, Gott kennt eben auch Spaß; und er kennt die Wechselfälle der Gefühle. Die Bibel ist voller sehr emotionaler Gottesbilder und Gotteserfahrungen.
Segen wirkt über kulturelle Grenzen
Zuletzt noch ein Hinweis: Der Segen kann auch eine Brücke für interkulturelle Kommunikation sein. Es stimmt, dass in manchen städtischen Regionen der Segen eine Art „paradoxe Intervention“ darstellt, weil sich viele Menschen der säkularisierten Gesellschaft damit nichts anzufangen wissen und mit etwas für sie ganz Neuem konfrontiert werden. Beim Sternsingen trifft man aber mitunter viele nicht-christliche Migrant/innen, die ihrer Religion sehr verbunden sind. Sie erkennen im Segen das, was er ist: eine freundliche Zuwendung von Gott und den Menschen. Manchmal wissen daher Migrant/innen besser mit dem Segen umzugehen als ihre säkularisierten Mitbürger/innen.
Vorschläge für die Praxis
Und ganz zuletzt möchte ich noch ein paar sehr konkrete Hinweise für die Praxis geben, vielleicht auch als eine Art Zusammenfassung:
- Versuche den Kindern zu vermitteln, was ein Segen ist und was er den Leuten bedeuten kann, denen ihr beim Sternsingen begegnet.
- Eine Möglichkeit dazu ist, mit den Kindern gemeinsam zu überlegen, was für sie „gute Wünsche“ sind: Gesundheit, viele Freund/innen, nette Nachbar/innen, ...
- Mache die Kinder darauf aufmerksam, dass jeder eurer Besuche für die Besuchten einmalig ist. Für die Kinder mag es so sein, dass sie Dutzende oder vielleicht auch Hunderte Haushalte besuchen. Für die Besuchten gibt es die Sternsinger/innen jährlich nur einmal an ihrer Türe. Daher wäre es gut, wenn dieser Besuch auch stimmig abläuft und der Segen erfahrbar wird.
- Als Übung vor dem Sternsingen könntest du anregen, dass ihr euch gegenseitig segnet. Dazu muss allerdings die Atmosphäre passen. Vielleicht könnt ihr in eine Kapelle oder einen Meditationsraum eurer Pfarre gehen. Ihr könnt es zuerst mit einem stillen Segen probieren: Eine/r legt dem/der anderen die Hand auf die rechte Schulter; ihr steht dabei im Kreis und denkt euch Gutes für die anderen. Dann wiederholt ihr das einzeln: Jede/r geht durch den Raum und legt immer nur einer Person die Hand auf; oder macht ihr ein Kreuz auf die Stirn, das alles schweigend. Für Geübtere ist es möglich, diese Segen auch auszusprechen. Formeln können dabei helfen („Jesus schaut auf dich.“, „Gott segne dich.“), sie können aber auch Distanz schaffen. Zuletzt könntet ihr ein Segenslied singen, wie es in den diversen Liedermappen ja viele gibt. Intensiver wird die Segenserfahrung bei einem solchen Lied, wenn an einer Stelle alle ihre Arme zum Segen erheben und damit die ganze Runde segnen.
Und zuallerletzt:
Der gute Vater im Himmel segne eure Wege als Sternsinger/innen!
Gerald Faschingeder
[aus dem kumquat "bewegen" 2006]