Kinder, Bibel und Befreiung

Wie kann man Kindern die Bibel vermitteln?

Die Bibel – ein Buch mit sieben Siegeln, insbesondere für Kinder? Das muss nicht so sein! Die Bibel steckt voller Geschichten; sie ist so etwas wie das verschriftlichte Gedächtnis der jüdisch-christlichen Kultur. Mythen und Legenden, Chroniken und Lehrgedichte wechseln einander ab. Die Bibel wurde in verschiedenen Sprachen verfasst und gelangte über Umwege und mehrere Sprachen erst in jene deutschsprachige Fassung, die wir heute kennen. Die Bibel ist ein Buch voller Geschichten, aber auch ein Buch mit Geschichte.

Tiergeschichten, Menschengeschichten

Für Kinder ist gerade dieser Aspekt, dass sich in der Bibel so viele Geschichten finden, ein besonders interessanter. Viele dieser Geschichte gehören zum selbstverständlichen Wissen der meisten 8- bis 10-jährigen Kindern, auch wenn sie vielen Kindern oft nur in Zusammenfassungen oder Nacherzählungen bekannt sind.

Die Erzählung von der Erschaffung der Welt in sieben Tagen gehört hier ebenso dazu wie das Leben des Mannes Mose, der Exodus des Volkes Israel oder auch das Leben einiger Propheten. Sehr beliebt ist es, Kindern jene biblischen Geschichten zu erzählen, in denen Tiere vorkommen, wie etwa die Szene, als Daniel in einer Löwengrube sitzt oder wie der Prophet Jona vom Wal geschluckt und wieder ausgespieen wird.

Zumeist werden diese Szenen verniedlicht, als wären hier Stofftiere im Einsatz gewesen. Liest man den Text, so erkennt man, dass die Geschichte des Jona eine schreckliche Geschichte ist, weil der Wal eigentlich ein schreckliches Monster ist. Damit soll ausgedrückt werden, in welche tiefe Verzweiflung der Prophet Jona verfällt, als er sich seinem Auftrag, Niniwe vor dem Untergang zu warnen, entzieht.

Kinder kennen viele biblische Geschichten, und das stimmt auch für viele nicht-christliche und auch nicht-religiös erzogene Kinder. Ein gewisser Korpus biblischer Geschichte gehört zum allgemeinen kulturellen Gedächtnis dazu, in dem wir leben. Filme wie auch Werbung nehmen gerne darauf Bezug, weil diese Geschichten so bekannt sind. „Adam und Eva“ zum Beispiel warben schon für gesunde Äpfel wie auch für Versicherungen.

Wie kann man Kindern die Bibel vermitteln?
Das Christentum ist eine Erzählgemeinschaft. Die Erinnerung an die alten Erzählungen aus der Bibel, aber auch über das Leben von bestimmten Heiligen, macht einen wichtigen Kern der kirchlichen Gemeinschaft aus. Freilich kann die Bibel wie jedes Buch gelesen bzw. vorgelesen werden, aber ich denke doch, dass man Kindern biblische Geschichten erzählen sollte.

Das macht den Reiz der Sache aus: Immer wieder dieselben Geschichten erzählen, immer wieder ein bisschen anders, aber im Kern doch ihrem Inhalt treu bleibend. Zum Erzählen gibt es viele Möglichkeiten. Leider ist es so, dass wir heute das Erzählen fast zur Gänze an automatisierte Instanzen abgegeben haben:

Das Kino ist eine Erzählmaschine, die (wie auch TV-Serien) an diese alte Sehnsucht anknüpfen, eine Geschichte erzählt zu bekommen. Erzählen will geübt werden, aber es lässt sich lernen. In unserem menschlichen Kern berühren uns am meisten jene Geschichten, die uns von Menschen ganz unmittelbar erzählt werden. Davon leben heute noch die Theater und genauso die berühmte Kultur des „G’schichtldruckens“.

In meiner Heimatpfarre gibt es einen Priester, der sich selbst nicht als großer Prediger versteht. Als Predigt erzählt er immer die Bibelstelle nach, die er selbst soeben erst vorgelesen hat. Manchmal bin ich über diese Einfallslosigkeit verärgert, dann aber freue ich mich, dass hier das Erzählen und nicht das Moralisieren im Zentrum steht.

Das Erzählen hat einen Vorteil: Es macht nicht eindeutig, was eigentlich mehrdeutig ist. So ist es möglich, dass ein und dieselbe Geschichte von verschiedenen Personen unterschiedlich erlebt und verstanden wird. Erzählen ist einfach lebendig!

Den Sitz im Leben suchen
Während des Erzählens wird mir manchmal deutlich, dass die biblischen Geschichten sehr nahe an Erfahrungen des Lebens sind. Sicherlich sind es nicht die ganz alltäglichen Alltagserfahrungen, die ich auf jeder Seite der Bibel finde.

Vielmehr begegne ich den existenziellen Fragen: Wie ist es, in der Fremde zu leben? Wie fügen sich Unterdrückte in ihre Unterdrückung? Viele aus dem Volk Israel findet sich in Ägypten mit ihrer Lage recht gut ab. Wie schwierig ist es, sich von etwas Vertrautem zu lösen? Auch nachdem das Volk Israel das Rote Meer durchschritten hat, wird Mose immer wieder in Diskussionen verwickelt, ob es in Ägypten nicht eigentlich doch besser war. Befreiung, Emanzipation ist eine anstrengende Angelegenheit.

Es gibt noch viele weitere Aspekte, hier nur am Beispiel des Buches Exodus angedacht, wie biblische Situationen auch Erfahrungen aus unserem heutigen Leben spiegeln. Ich möchte noch etwas hinzufügen: Wie mir bei meiner letzten Lektüre des Exodus-Berichtes aufgefallen ist, besteht das Buch rein quantitativ vor allem aus Regeln und Gesetzen, die Gott in immer ausführlicherer Art und Weise dem guten Mose diktiert, der sie dann dem Volk weitergibt.

Ich lese heute hier heraus, dass mit zunehmender Entfernung von der Ursprungsidee die Bürokratisierung und der Verwaltungsaufwand auf eine erschreckende Art und Weise zunehmen. Es ist wie mit der Europäischen Union, es ist wie mit den Stellen, die mir meine Fördergelder anweisen. Bürokratie kennt keine Grenzen. Ich selber werde mir fremd dabei, von mir getrennt, zu einem Selbst-Verwaltungsakt, denn anders sind all die Regeln, Vorgaben und Richtlinien niemals einzuhalten. Einfache Ideen, lebendige Erfahrungen wie „Gott ist die befreiende Liebe“ werden ersetzt durch Reinheitsgebote und Vorschriften über alles und jedes.

Gut, das ist gewiss nicht der Sitz im Leben, den ich mit meiner Kindergruppe suchen würde. Aber die Kinder finden auch ihre Spuren darin. Die Bibel legt Textfäden unserer Existenz, noch ehe wir selbst uns in Sprache hüllen konnten.

Die Geschichte der Befreiung
Ich kehre zurück zu einem entbürokratisierten Gott: Er wollte nicht die totale Verwaltung, er wollte und will die Befreiung. Die Erzählung von Auszug des Volkes Israel aus Ägypten ist nur eine von zahlreichen Berichten, die darstellen, wie Gott in die Geschichte eingreift. Gott wandelt Geschichte, das ist eines der Themen dieser Berichte. An anderen Stellen mag er ziemlich machtlos wirken, bei der Teilung des Roten Meeres ist er es nicht.

Wir können diese Stelle heute nicht mehr als realistischen Bericht lesen. Bedeutsamer als das von Gott damals vermeintlich vollbrachte Wunder ist die Erfahrung der Menschen, dass Befreiung denkbar ist. Wenn ich „denkbar“ schreiben, dann meine ich, dass hier alleine die Vorstellung, dass Freiheit möglich wäre, eine Befreiung ist. Sie ersetzt nicht die konkrete, politische Befreiung.

Aber wie viel Enge herrscht, weil in den Köpfen nicht vorstellbar ist, dass es etwas anderes als Enge gäbe? Transzendenz, die Grenzüberschreitung, findet in der Hoffnung statt: Ja, es geht auch anders. Solche Sätze alleine sind selbst eine Veränderung der Geschichte.

An die Kraft dieser Hoffnung knüpft die Befreiungstheologie an. Die entstand in den 1970er Jahren in Lateinamerika und verband die Analyse der konkreten politischen und sozialen Situation mit dieser Botschaft der Befreiung. Hoffnung auf die Kraft der Hoffnung. Hoffnung auf diesen Gott, der mit den leidenden und unterdrückten Menschen geht.

Auch wenn nicht zu erwarten ist, dass Gott überraschenderweise eine Landreform einleiten wird oder eine Militärdiktatur beendet, weckte die Befreiungstheologie doch Hoffnung, weil sie den Armen vermittelte, dass Gott parteiisch ist. Er steht auf der Seite der Armen und Unterdrückten.

Lässt sich dieser Gedanke auch ins heutige Österreich übertragen? Natürlich lässt sich das, auch wenn die Erfahrungen von Unterdrückung und Befreiung andere sind. Dazu lohnt es sich, in der Gruppenleiter/innenrunde, mit der Kindergruppe oder auch alleine nachzudenken.

Und konkret?
Mit der Bibel, über die Bibel, unter und hinter der Bibel in der Gruppenstunde zu arbeiten, dafür gibt es viele Möglichkeiten. Die Jungschar hat eine ganze Menge Behelfe dazu herausgegeben, in denen man dazu viele konkrete Ideen findet, wenn man sich etwas mehr damit auseinander setzen möchte.

An dieser Stelle, nachdem ich über den befreienden Gott geschrieben habe, liegt es nahe, für die Gruppenstunde die Erzählung vom Exodus zu empfehlen. Sie ist Kindern meist gut bekannt, spannend, facettenreich. Und sie geht gut aus, zumindest für das Volk Israel.

Für die Theologie der Befreiung wurde diese Geschichte zu einer der zentralen Erzählungen, an denen sie sich orientiert: Gott befreit die ausgebeuteten Landarbeiter/innen, die Bewohner/innen von Elendsvierteln, die Straßenkinder und die in ihrem Überleben bedrohten Indianer/innen, wie er das Volk Israel aus der Knechtschaft in Ägypten befreit.

Ich stelle zum Abschluss drei Möglichkeiten vor, zum Thema Exodus zu arbeiten:

1. Handpuppen erzählen

Am Anfang steht das Erzählen. Ich liebe es, mit Handpuppen zu erzählen. Es gibt kaum Menschen, ob jung oder alt, bei denen das nicht ankommt. Auch Stabpuppen sind gut geeignet. Du baust eine einfache Bühne und spielst die zentralen Stellen vor: Mose ärgert sich über einen Aufseher und erschlägt ihn. Mose diskutiert mit dem Pharao. Mose macht Zeichen und Wunder.

Der Durchzug durch das Rote Meer lässt sich nicht so leicht darstellen. Dafür bräuchte es mehr Statisten. Ein alter Trick aus der Theatergeschichte ist die sogenannte „Mauerschau“, im Griechischen „Teichoskopie“ genannt: Jemand steht hinter einer Mauer und beobachtet die Szene, erzählt sie neugierigen und verwunderten Leuten um ihn herum weiter. Oder aber du wendest das Prinzip des „Botenberichtes“ an: So könnte etwa ein entkommener Sklave zu Hause erzählen, wie die Armee des Pharaos im Meer versank. Oder du spielst eine (erfundene) Szene, in der die ersten Leute der Moses-Gruppe zu einer Gruppe Hirten kommen und ihnen alles berichten.

Wie auch immer: Wichtig ist es, das Erzählen zu üben. Die Geschichte sollte „sitzen“, sonst wird es fad. Einfacher ist es, zu zweit oder zu dritt zu spielen.

2. Mit dem eigenen Leben verbinden

Je nach Alter bieten sich hier verschiedene Methoden an. Im Kern steht die Frage, was die Exodus-Erzählung für uns heute heißen kann. Hintergrundfragen dazu sind:

  • Was unterdrückt? Was engt ein?
  • Wovon sind Menschen abhängig? Wovon will ich / wollen wir loskommen?
  • Wie schaut das aus, wenn man sich emanzipiert, sich lossagt?

Diese Fragen müssen ganz konkret übersetzt und in Methoden übertragen werden. Für jüngere Kinder könnte etwa formuliert werden:

  • Fällt dir etwas aus der Schule ein, wo sich jemand eingeengt gefühlt hat, nicht so sein konnte, wie er/sie möchte und es gut wäre, dass er/sie sein darf?
  • Wieso ist das so?
  • Wie kann man das ändern?

Auf ein Plakat hast du eine grobe Landkarte gezeichnet, wie du sie im hinteren Teil der Bibel-Einheitsübersetzung findest: Im Westen Ägypten, im Osten das Gelobte Land, dazwischen das Rote Meer, die Wüste und der Berg Sinai. Dort, wo Ägypten liegt, schreibt ihr die Antworten auf die 1. Frage dazu – je jünger die Kinder sind, desto eher schreibst du selber. Wenn sie etwas älter sind, könntest du Zetteln austeilen, auf denen die Kinder ihre Ideen draufschreiben und anschließend vorlesen und nach „Ägypten“ legen.
Zu jeder Notiz überlegt ihr, wieso das so ist.

Zuletzt überlegt ihr, wie man das ändern kann. Dies schreibt ihr über das „Rote Meer“, wieder entweder direkt auf die Karte oder auf Zetterln.

3. Exodus! Aufschreie in den grauen Alltag der Entfremdung
Vielleicht etwas für Ältere: Wir machen Plakate für Demos, oder Werbeschilder „Für Befreiung“. Wir führen die Kampagne „Es reicht!“ durch.

Nach dem Erzählen der Exodus-Geschichte sammelt ihr in der Gruppe, was denn heute so ungut ist, wie damals die Leibeigenschaft für das Volk Israel in Ägypten. Diese Dinge schreibt ihr auf A3-Zetteln, die auf Kartons fixiert werden, die auf Besenstangen montiert werden. Daraus lässt sich eine Ausstellung für das Jungscharheim machen. Oder ihr macht eine Bildreportage über eine Demo mit diesen Forderungen.

Ein Möglichkeit für die vertiefende Diskussion wäre folgende gemeinsame Überlegung, als eine Art Fantasiereise: Wie wäre es, wenn diese Demo-Plakate im Rahmen der Fronleichnamsprozession gezeigt werden? Wenn die Pfarrgemeinde und jene Leute, die gerne Fronleichnamsprozessionen vom Fenster aus verfolgen, sie sehen. Wie würden die Leute reagieren? Was könnt ihr aus den Reaktionen herauslesen? Waren die Forderungen zu brav? Oder waren sie zu radikal? Was solltet ihr ändern? Was braucht es, um zu übermitteln, wie man die befreiende Botschaft der Bibel heute versteht? ...

Gerald Faschingeder

[aus dem kumquat "laut" 2007]